Mit dem Kopf im Himmel

Monika Auweter-Kurtz ist vieles: Pionierin, Forscherin, Professorin. Als Raumfahrtexpertin hat sie kometenhafte Aufstiege erlebt und harte Landungen. Jetzt baut sie in der Region Stuttgart eine Akademie für Luft- und Raumfahrt auf.

© Michael Ohnewald Monika Auweter-Kurtz (Foto: Michael Ohnewald)
Monika Auweter-Kurtz (Foto: Michael Ohnewald)

Das kleine Büro liefert nichts Brauchbares zu einer Frau, von der es heißt, sie mache ihrem Beinamen alle Ehre: „Raketen-Moni“. Die berufliche Nähe zum Himmelfahrtkommando hat ihr diesen Titel eingetragen. Monika Auweter-Kurtz kann damit leben. Es gibt schlechtere.

An diesem Nachmittag sitzt sie vor einem schlichten Schreibtisch und erzählt von einer Raumfahrtprofessorin, die noch immer genug Schub hat, um wichtige Projekte hochzubringen. Draußen vor ihrem Fenster pinselt die Junisonne tanzende Schatten auf den Asphalt. Drinnen lässt eine erschöpfte Orchidee ihren Kopf hängen, neben der zwei rote Äpfel in einer Schale auf den kleinen Hunger einer Powerfrau warten, die 61 Jahre alt ist und kein bisschen müde.

Die Akademie für Luft- und Raumfahrt auf dem Flugfeld in Böblingen/Sindelfingen ist ihr aktuelles Projekt. Im Herbst soll es losgehen mit berufsbegleitenden Studien. „Es macht mich zufrieden, wenn aus dem, was ich anpacke, etwas Neues entsteht“, sagt die Stuttgarterin, die in ihrer Freizeit zu Hause gärtnert, was ihrer inneren Haltung entspricht. Im grünen Winkel vor dem Eigenheim nimmt sie sich immer wieder neue Ecken vor, die umgepflügt werden. „Irgendwann blüht alles, und ich freue mich daran.“

Beruflich wollte sie ursprünglich einen anderen Garten beackern, droben in Hamburg. Doch die Böden in der Hansestadt sind anders als in Schwaben und vielleicht ist deshalb die Saat nicht aufgegangen. „Raketen-Moni betätigt den Schleudersitz“, hieß es vor zwei Jahren in den Zeitungen. Damals war sie noch Präsidentin der Hamburger Universität, zuständig für 38.000 Studenten und 800 Professoren. Ihre Mission endete mit dem vorzeitigen Ausstieg. Äußere Verletzungen hat sie keine davon getragen, innere schon. „Das war eine harte Zeit.“

Wer nach oben will, muss manchmal den Ballast des eigenen Willens abwerfen. Das ist nicht ihre größte Stärke. „Ich bin vielen auf die Füße gestanden“, bekennt die Wissenschaftlerin, die sich mit leiser Stimme durch die Szenerie einer bemerkenswerten Biografie bewegt. Höhenflüge und Abstürze inbegriffen.

Geboren am 29. Juli 1950, wächst Monika Auweter in Stuttgart-Gablenberg auf. Die Eltern sind Bankkaufleute, was sich auch dahingehend auswirkt, dass ihre Tochter auf dem Heidehof-Gymnasium mit Zahlen keine Not hat. Nach dem Abitur studiert sie Physik an der Uni Stuttgart, wo sie in ihrem Fach die einzige Frau ist, und bessert nebenbei an ihrer alten Schule die Kasse auf. Dort traut man der 20-jährigen Studentin so viel zu, dass man ihr gleich einen halben Lehrauftrag für Mathematik anbietet. Es ist die Zeit, in der Monika Auweter die ersten Grenzen verschiebt, die einem gesetzt sind als Frau in einer Gesellschaft, in der Männer allzu selbstverständlich bestimmen, wo es langgeht.

1975 schließt sie ihr Studium ab, um sich der Forschung am Institut für Raumfahrtsysteme zu widmen. Sie beschäftigt sich mit Lichtbogenphysik und elektrischen Raumfahrtantrieben, das Thema ihrer späteren Promotion. An der Universität lernt sie den Ingenieur Helmut Kurtz kennen. Er wird ihr Mann fürs Leben.

Es sind bewegte Zeiten in der Raumfahrt. Was den Amerikanern ihr Space Shuttle, soll den Europäern ein kleinerer Raumtransporter namens Hermes werden. Das Problem ist die Hitze. Welches Material hält Temperaturen von 1.600 Grad aus? Die Ingenieurin soll Antworten liefern. Sie bekommt den Auftrag, an der Universität eine millionenschwere Testanlage für Hitzeschutzmaterialien aufzubauen.

Monika Auweter-Kurtz macht sich bald einen Namen in der Branche. Sie leitet ein ehrgeiziges Projekt, habilitiert nebenbei an der Fakultät für Luft- und Raumfahrt, meldet Patente an, veröffentlicht ihre Forschungsergebnisse. Die Anfragen häufen sich und auch die Reisen. Sie wird Dekanin, Frauenbeauftragte der Universität Stuttgart, Direktorin der National Space Development Agency of Japan. Ein Leben mit dem Kopf im Himmel und zugleich mit den Füßen auf der Erde.

Es ist eine Männerwelt, in der sie sich bewegt. Monika Auweter-Kurtz tut es auf ihre Art. Als sich eine hochschwangere Studentin bei ihr meldet, die sechs Wochen vor dem errechneten Termin auf die Entbindungsstation muss, legt sich die Frauenbeauftragte umgehend ins Zeug. Die Studentin berichtet, dass sie wegen der frühen Niederkunft eine Prüfung verpasst, was zur Folge habe, dass auch die schon absolvierten Prüfungen verfallen. Bei Krankheit wäre es anders, aber Schwangerschaft gilt nicht als Krankheit. Monika Auweter-Kurtz setzt alle Hebel in Bewegung. Ihr Einspruch bringt am Ende eine Gesetzesänderung in Gang, die vielen Studentinnen hilft. Der streitbaren Professorin wird dafür später das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Am 1. November 2006 krönt die renommierte Forscherin ihre Karriere und wechselt als Präsidentin an die Universität Hamburg. Mit eisernem Willen stößt sie an der fünftgrößten deutschen Hochschule überfällige Reformen an. Die neue Präsidentin will die Verhältnisse durchrütteln, aber die Verhältnisse wollen nicht durchgerüttelt werden, jedenfalls nicht in der Geschwindigkeit der „Raketen-Moni“. Es endet mit Studentenprotesten, mit politischer Ränke und mit Rücktrittsforderungen von Professoren, denen sie sich im Sommer 2009 beugt. „Wenn das Vertrauen nicht mehr da ist und man den Eindruck hat, dass sich nichts mehr bewegen lässt, muss man Konsequenzen ziehen“, sagt die Vertriebene, für die es kein Trost ist, dass ihr alter Arbeitgeber längst wieder neue Schlagzeilen produziert. „Die Hamburger Universität steckt seit Jahren in einer Qualitäts- und Identitätskrise. Am Versuch, das Ruder herumzureißen, war zuletzt vor zwei Jahren die aus Stuttgart herbeigerufene Präsidentin gescheitert“, berichtete jüngst die „Zeit“.

Lange her ist das alles. Jedenfalls kommt es ihr so vor. Monika Auweter-Kurtz ist mit ihrer Geschichte in der Gegenwart gelandet. Nach Hamburg hatte sie eine Auszeit genommen und dabei für sich entscheiden: „Ich bin noch nicht reif für den Ruhestand.“ Plötzlich stand Rolf-Jürgen Ahlers vor ihr, der Vorsitzende des Forums für Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg. Er suchte eine Direktorin für die „German Aerospace Akademie“. Sie hat nicht lange gezögert.

Sie ist jetzt wieder viel unterwegs. Bevor ihr neues Projekt im September steigt, muss die treibende Kraft noch Geld sammeln. Das Startkapital liegt bei zwei Millionen Euro. Es ist die letzte Mission der Raumfahrtexpertin und sie glaubt fest daran. Der Countdown läuft. „Ich bin sicher, dass sich die Akademie in fünf Jahren selbst tragen wird“, sagt Monika Auweter-Kurtz. Ready for take-off.

Text: Michael Ohnewald

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.