Der Buchmacher

Als Verleger ist Matthias Ulmer in der Nische erfolgreich. Dass seine Branche vor dem Umbruch steht, macht ihm keine Angst, eher Lust. „Da ist eine Welle“, sagt er, „und ich bin als Surfer aufgesprungen.“

© Michael Ohnewald Matthias Ulmer (Foto: Michael Ohnewald)
Matthias Ulmer (Foto: Michael Ohnewald)

Es gibt ziemlich viel auf der Welt, für das man kämpfen kann. Matthias Ulmer kämpft für sich. Genau genommen kämpft er für Bücher, von denen seine Familie in der fünften Generation lebt. Die Zeichen stehen auf beschleunigten Wandel. Ist das Druckwerk aus Papier dem Untergang geweiht? Werden Zeilen, die sich Autoren mühsam aus ihren Hirnen meißeln, bald schon tänzeln auf lesefreundlichen Bildschirmen handlicher Kleincomputer?

Solche Fragen sind es, die einen Verleger wie Matthias Ulmer umtreiben. In Hohenheim sitzt er an diesem Morgen vor einem ovalen Tisch, an dem sonst eckige Probleme gelöst werden, und doziert über Esel und solche, die dazu werden können, wenn sie störrisch an ihren alten Geschäftsmodellen festhalten. Ulmer mag Esel, aber nur solche mit langen Ohren. Er hat gerade ein Buch über die Spezies verlegt.

Vor mehr als 140 Jahren ist der Ulmer’sche Familienverlag gegründet worden. Das erste Werk stammte aus der Feder von Eduard Lucas, der ein Pionier des Obstund Gartenbaus war. Diesem Thema blieb der Verlag treu. Mehr als 1.200 Bücher, 23 Zeitschriften, 50 Websites und Datenbanken gehören heute zum Programm. Aktuell geht es ums „Gärtnern im Quadrat“, um Heilpflanzen und Selbstversorger, um Weinbergmauern und Privatwald, um Wellensittiche, Grabschmuck und Ökostrom.

„Wer sich nicht positioniert“, so lautet ein alter Lehrsatz, „der wird positioniert.“ Matthias Ulmer will nicht positioniert werden, er will sich selbst positionieren. Deshalb arbeitet er mit seinen 150 Mitarbeitern leidenschaftlich an den Büchern von morgen, die denen von heute nicht sehr gleichen. „Man hat keine Zukunft, wenn man nur die eigene Substanz aufzehrt“, sagt er.

Manche seiner Kollegen ducken sich weg, wenn es um die Frage geht, wie man darauf reagieren soll, dass junge Menschen zunehmend ohne Papier groß werden. „Mich hält die alte Zeit noch aus!“ Auf dieses Credo verlegen sich die Zauderer in der Branche. Matthias Ulmer will mehr. „Da ist eine Welle und ich bin als Surfer aufgesprungen“, sagt er, wohl wissend, dass es nicht ganz ungefährlich ist. Ein Surfer kann stürzen, ein Verleger zu viel Geld für die Entwicklung neuer Medien ausgeben, die vielleicht später keiner kaufen will. Ulmer hat auch darauf eine Antwort: „Das Glücksgefühl auf der Welle ist weit größer als meine Angst, unter den Strudel zu geraten.“

Vielleicht denkt man so, wenn man in einer Welt groß geworden ist, in der wie selbstverständlich beim Abendessen in Schönberg die Autoren am Tisch saßen, die Vater Roland mit nach Hause brachte. Matthias Ulmer, Jahrgang 1964, ist aufgewachsen im Dunstkreis eines Familienbetriebs, umgeben von unzähligen Büchern und zwei Geschwistern. Der Bruder wurde später Kunsthistoriker, die Schwester Juristin mit Schwerpunkt auf Urheberrecht.

Matthias ging aufs Karlsgymnasium in Stuttgart. Als er dorthin kam, schwärmten die Jungs von Fußball. Er schwärmte von der Buchmesse in Frankfurt, zu der ihn sein Vater mitgenommen hatte. Da liegt es nahe, nach dem Abitur eine Lehre als Verlagsbuchhändler zu machen. Danach studierte er in Regensburg und München Volkswirtschaft und Soziologie, um 1992 mit dem nötigen Abstand zum Patron in Paris eine Dependance aufzubauen. Fünf Jahre lebte Matthias Ulmer im Quartier Latin. Damals brachte er seine Bücher noch selbst in die Läden.

Die Verlegerfamilie konservierte auch in Frankreich den Erfolg in der Nische und arbeitete sich bei den landwirtschaftlichen Publikationen zum Marktführer hoch. 1997 kam der Sohn aus Paris zurück und übernahm wenig später den Verlag des Vaters. „Eine anstrengende Zeit“, sagt er im Rückblick. Solche Stabwechsel sind nicht leicht in einem Geschäft, das stark von der Persönlichkeit eines Verlegers lebt. Matthias Ulmer hat nicht den Drang, Eselhalter in der Welt aufzuspüren, ultimativer Themenscout zu sein oder alleiniger Programmentwickler, und bei alldem am Ende auch noch die Farbe des Umschlags festzulegen. „Ich setze die Leitplanken für unsere Lektoren“, sagt er. „Und sie machen ihre Arbeit.“

Wichtiger ist es ihm, Trends zu erspüren, die in die Zukunft weisen, und Anfeindungen zu begegnen, die diese Zukunft gefährden. Als in der Unibibliothek Darmstadt die wichtigsten 100 Lehrbücher eingescannt und den Studenten kostenlos zum Download angeboten wurden, darunter auch eines aus seinem Haus, hat er nicht nur eine Streitschrift über das Ende des Lehrbuchs geschrieben, sondern auch eine Klage vor den Bundesgerichtshof getragen. Bis das Urteil gesprochen ist, darf sich keiner mehr nach Belieben am geistigen Eigentum des Verlags bedienen.

Einbrechende Absatzzahlen zu verhindern, ist eine Sache, neue Absatzmärkte zu erschließen, eine andere. Nicht nur an seiner dreijährigen Tochter, die spielend mit dem iPad umgeht, ist Ulmer bewusst geworden, dass einige seiner Umsatzbringer schon bald auf Nimmerwiedersehen verschwinden könnten. Lehrbücher und Ratgeber sind durch den schnellen Zugriff im Internet ebenso bedroht wie klassische Kochbücher mit 20 Pasta-Rezepten, die man sich mit einem Klick erschließen kann. Jamie Oliver hat das verinnerlicht und die Kochbücher als erster gegen den Strich gebürstet, indem er sie mit Reiseberichten und Anekdoten würzte. Anders als früher geht es nicht mehr allein um den Nutzwert. „Der Nutzwert ist die Basis“, sagt Ulmer. „Aber Bindung entsteht über die Emotion. Daran arbeiten wir.“

In den Zeitungen, die unter schwindender Auflage leiden, ist das ganz ähnlich. Nach allem, was man weiß, werden die Blätter in Zukunft weniger gekauft werden, weil man sie kaufen muss, sondern weil man sie kaufen will. Dies bedingt neue Konzepte für Optik und Inhalt. Mehr Reportagen, berührende Stücke. Das bindet. Nicht nur die Zeitungen werden sich verändern. Auch die Bücher. Papier versus Elektronik: Da mag es Risiken geben, aber es gibt auch Chancen. Ulmer hat das früher als andere erkannt. Ein bisschen ist das bei ihm wie bei den ersten Aktivisten, die vor dem Klimawandel warnten. Keiner hat sie ernst genommen. Jetzt schmilzt das Eis. Er will es nicht so weit kommen lassen. Deshalb arbeitet er mit seinen Leuten am Bestehenden und zugleich am Neuen.

Die ersten Schulen bestellen schon heute statt dicker Wälzer schmale Tablet-PCs, um damit zu experimentieren. „Wir gehen davon aus, dass es in absehbarer Zeit in Berufsschulen keine Lehrbücher mehr gibt“, sagt Matthias Ulmer. Er hält dagegen mit einem hauseigenen Lernmanagement-System. Es setzt auf neue Formate für die papierlose Pädagogik. Eines Tages will er das Buch abschalten und mit dem Produkt ans Netz gehen. Keiner weiß, ob es funktioniert und der Markt darauf anspringt. Ulmer vertraut seinem Wissen und seiner Intuition. Manche stöhnen unter dem Druck des Wandels. Er begegnet ihm mit Neugier. „Im Augenblick jonglieren wir mit 25 Bällen“, sagt der Verleger mit der Zuversicht des einsamen Propheten, „und das macht unglaublich Spaß.“

 

Text: Michael Ohnewald

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.