Mahle macht mobil

Das Stuttgarter Unternehmen Mahle gehört zu den 20 größten Automobilzulieferern weltweit. Im Zuge des Technologiewandels hin zum Elektroantrieb hat der Stuttgarter Konzern einen Kulturwandel eingeläutet.

© Bild: Reiner Pfisterer Mahle von aussen
Mahle von aussen
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Mahle

Der Weg in die mobile Welt von morgen führt vorbei an den Geschichten von gestern, die einen in der Unternehmensausstellung „Mahle Inside“ Stufe für Stufe nach oben begleiten. Die Geschichten erzählen von einer kleinen Werkstatt im alten Cannstatt der 1920er Jahre, in der mit Zweitaktmotoren experimentiert wurde. Von zwei Brüdern, der eine visionärer Techniker, der andere versierter Kaufmann, denen einst der legendäre Henry Ford höchst selbst die Handgeschüttelt hat. Von Kolben aus Aluminium, die den Motorenantrieb revolutioniert haben. Von Patenten für Nockenwellen, Wohnsiedlungen im Sommerrain und Werken auf allen fünf Kontinenten dieser Welt.

Immer mal wieder erzählt Uwe Mohr diese und andere Anekdoten aus der Firmenhistorie des Stuttgarter Automobilzulieferers Mahle, wenn er etwa Delegationen aus Shanghai oder Detroit durch die informative Unternehmensausstellung in dem markanten Neubau gleich gegenüber der Firmenzentrale in der Pragstraße führt. Sie wurde im September 2008 eröffnet, entworfen wurde sie von den Stuttgarter Architekten Heinisch, Lembach und Huber, die das mit dem Deutschen Designpreis ausgezeichnete Gebäude mit einer glänzenden Außenhaut überzogen haben. Die verschiedenen Metalle sollen darauf verweisen, was unter der Hülle ist: Technische Errungenschaften aller Art, die in den vergangenen 90 Jahren entwickelt wurden. „Hier wird deutlich, wie Mahle die Entwicklung des Automobils mitgeprägt hat“, sagt Uwe Mohr, Leiter der Zentralen Forschung und Vorausentwicklung bei Mahle. „Und das ist heute erst recht der Anspruch, den wir an uns selbst stellen.“

Auch die großen Automobilhersteller Daimler und Porsche haben aus diesem Antrieb heraus spektakuläre Museen in der Landeshauptstadt gebaut, frei nach dem Schriftsteller und Gelehrten Wilhelm von Humboldt, der einst erkannt hat: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft. „Auf diese vorbereitet zu sein, ist wiederum der Job von Uwe Mohr, der sich dafür mitunter eine Glaskugel wünscht. „Die hat aber niemand“, sagt er mit einem Augenzwinkern: „Auch Mahle nicht“. Das Stuttgarter Unternehmen ist Weltmarktführer in der Entwicklung und Produktion von Kolben und Motorkomponenten, Filtersystemen sowie Thermomanagementlösungen – und ist damit zwangsläufig direkt mit dem Wandel hin zu alternativen Antriebstechnologien konfrontiert. Ob Hybrid, Elektromobilität oder Wasserstoff: „Wir beschäftigen uns mit allen Technologien, die in der Zukunft eine Rolle spielen könnten“, sagt Mohr.

Der Wandel, der nach Einschätzung nicht weniger Experten eine ganze Branche grundlegend umwälzen wird, hat allerdings längst begonnen. „Was sich derzeit im Bereich der Mobilität tut, ist enorm“, sagt Uwe Mohr. Zu den großen Trends gehört unter anderem die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge, Fachleute sprechen von Connectivity, die sich auch in der ganzen Fahrzeugtechnik bemerkbar macht, so Uwe Mohr. „Immer mehr Systeme und Komponenten sind im Fahrzeug miteinander vernetzt. Das erfordert ein tiefes Verständnis für das Gesamtsystem Auto“, betont er. „Wir haben diese Expertise und wir bauen sie konsequent weiter aus. Das erkennt man auch an den jüngsten Zukäufen. Denn auch auf solche künftigen Entwicklungen müssen wir uns einstellen.“

Die Zeiten, in denen der von den weitsichtigen Brüdern Hermann und Dr. Ernst Mahle geführte Betrieb sein Geld vor allem mit der Herstellung von Leichtmetallkolben verdient hat, sind lange vorbei. Aus dem einst schwäbischen Familienunternehmen, das sich den 1. Dezember 1920 als Geburtsstunde in die Annalen geschrieben hat, ist längst ein internationaler Weltkonzern geworden, der zu den 20 größten Autozulieferern und wichtigsten Entwicklungspartnern der Motorenindustrie zählt. Die Zahlen, auf die der Konzern verweisen kann, sind durchaus beeindruckend: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen mit rund 76.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 11,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. In mehr als 30 Ländern betreibt Mahle mehr als 170 Produktionswerke. Und an 15 großen Entwicklungsstandorten in Deutschland, Großbritannien, Luxemburg, Slowenien, den USA, Brasilien, Japan, China und Indien sind für das Unternehmen rund 6.000 Entwicklungsingenieure und Techniker beschäftigt.

Viele von ihnen sind nach wie vor damit beschäftigt, die Optimierung des konventionellen Verbrennungsmotors voranzutreiben. „Wir arbeiten intensiv daran, die Motoren noch effizienter zu machen. Das bedeutet mehr Fahrspaß bei weniger Verbrauch und Emissionen. Gleichzeitig arbeiten wir an alternativen Antrieben wie Elektromotor und Brennstoffzelle“, sagt Mohr. Der gebürtige Oldenburger, der Maschinenbau studiert und am Max-Planck-Institut in Düsseldorf promoviert hat, sieht auf absehbare Zeit kein „Entweder-Oder“, wie er sagt, sondern vielmehr ein Nebeneinander ganz unterschiedlicher Technologien, von denen jede ihre Daseinsberechtigung hat. Die notwendige Entwicklung neuer Antriebe sei bei Mahle in Stuttgart entsprechend der möglichen Vielfalt organisiert. „Wir fahren nicht volle Kraft voraus in nur eine Richtung, sondern wir bündeln das Ingenieurswissen und die verschiedenen Möglichkeiten für die Entwicklung in Gesamtsystemen.“

Ein Ergebnis des gebündelten Ingenieurswissens und der technischen Möglichkeiten steht im ersten Stock des „Mahle Inside“ und hört auf den Namen „Range Extender“ – zu Deutsch: Reichweitenverlängerer. Dahinter verbirgt sich ein kompakter Zweizylinder-Ottomotormit 0,9 Liter Hubraum, den die Stuttgarter Ingenieure zusammen mit der englischen Tochter Mahle Powertrain entwickelt haben. Das Besondere an dem Antriebsaggregat ist, dass die Entwickler im Kurbelgehäuse einen Generator integriert haben, der bei Bedarf die Batterie aufladen kann. Damit, so Uwe Mohr, könne man eines der Hauptprobleme bei der Elektromobilität lösen: die begrenzte Reichweite. Das Prinzip des Hybridmotors ist so simpel wie genial. Ist die Batterie im Elektrofahrzeug leer, startet automatisch der kleine herkömmliche Motor mit eigenem Tank, der die Batterie wieder lädt. „Das ist die garantierte Rückversicherung, dass man mit dem Elektrofahrzeug nicht mehr liegen bleiben kann“, sagt Mohr.

Sein Unternehmen hat auf der Internationalen Automobilausstellung 2015 eine Lösung vorgestellt, mit der Hochleistungsbatterien immer in einer idealen Umgebungstemperatur optimal arbeiten können. „Das ist eine Grundvoraussetzung für die Elektromobilität. Wir gehen davon aus, dass die Batterietechnologie in den kommenden Jahren große Entwicklungssprünge vollziehen wird. Darauf stellen wir uns schon heute ein“, so Mohr.

In seinem Büro am Forschungscampus an der Pragstraße muss er mit seinen „Trendscouts“ dafür umso intensiver der Frage nachspüren, wie die mobile Welt aussehen könnte, wenn die Technologie erst einmal richtig Fahrt aufgenommen hat. Allein hundert seiner knapp 240 Mitarbeiter sind im Bereich der Vorausentwicklung damit beschäftigt, Szenarien zu entwickeln, Machbarkeitsanalysen durchzuführen, Trends zu erkennen, nach neuen Entwicklungsfeldern zu suchen und natürlich neue Technologien zu entwickeln. „Mr. Robot“ nennt sich eines der Zukunftsszenarien, bei dem es um autonom fahrende Autos geht. In anderen Modellen haben die Unternehmensforscher weitere Visionen entwickelt, wie die Mobilität im Jahr 2050 aussehen könnte.

Wird es eine City-Maut geben? Welche Auflagen und Vorschriften wird der Gesetzgeber machen? Wie sieht das Zusammenspiel der verschiedenen Verkehrsträger aus, der S-Bahnen, Busse, Stadtbahnen, der Pedelecs, Stadtstromer und Zweiräder, der Flugzeuge, Fernzüge und Regionalexpresszüge? Welchem Takt wird der Nahverkehr folgen? Wird es den Verbrennungsmotoren gehen wie den Dinosauriern? In welchem Umfang wird Nachhaltigkeit gefördert? Und wie sehen die Städte von übermorgen überhaupt aus, wie leben und bewegen sich die Menschen darin? „Wir beobachten Magetrends wie beispielsweise die Urbanisierung sehr genau und bieten schon heute Alternativen“, so Mohr. „Wir bieten Elektromotoren für Roller, die beispielsweise in Spanien und Italien seht gut ankommen. Deshalb arbeiten wir aktuell an weiteren Motorvarianten.“

Die Kunst der Gegenwart besteht nun darin, die richtige Strategie für die Zukunft aufzustellen. „Wir müssen die richtigen Themen vorantreiben“, sagt der 60 Jahre alte Manager, der schon seit 1986 bei Mahle ist und dort unter anderem die Versuchsabteilung, Labore und ein Forschungs- und Entwicklungszentrum geleitet hat und jetzt Koordinator für sämtliche Forschungs- und Entwicklungszentren aller Unternehmensbereiche weltweit ist. „Ein so einschneidender Technologiewandel bedeutet für uns auch eine große Chance, die wir auf gar keinen Fall verpassen dürfen“, betont er.

Um dem Technologiewandel gut vorbereitet begegnen zu können, hat Mahle längst einen Kulturwandel im ganzen Unternehmen eingeläutet. Dazu gehört beispielsweise auch, die Ausbildung umzustellen, andere Qualifikationen als früher zu fördern. Der Fokus liegt zwischenzeitlich insbesondere auf dem weiten Feld der Mechatronik, dem Zusammenspiel von Elektronik, Mechanik und Informatik. „Bisher haben wir vor allem Maschinenbauer gebraucht, die sich gut mit Verbrennungsmotoren auskennen“, sagt Mohr. Heute sind vor allem Mechatroniker, Elektroniker und Software-Fachleute gefragt. Als Ausbildungspartner der Dualen Hochschule Baden-Württemberg hat Mahle bereits auf die neuen Anforderungen reagiert und andere Ausbildungsschwerpunkte als früher gesetzt. „Zudem fördern wir das Denken über den Tellerrand hinaus. Gibt es Kollegen aus anderen Fachbereichen, die vielleicht eine Lösung für die Themen haben? Vernetzung im Unternehmen ist heute wichtiger denn je“, sagt Mohr.

Über der großen Weltkarte in seinem Büro hat der Zukunftsmanager gleich vier Uhren hängen, die ein wenig anders gehen. Mohr konferiert regelmäßig mit Mitarbeitern und Firmen in Detroit, São Paulo und Shanghai, die Chronometer zeigen ihm die jeweilige Ortszeit an. Er ist viel unterwegs in Ländern wie China und Brasilien, deren Märkte dynamischer sind und wichtige Signale senden, die es zu deuten gilt auf ihre Relevanz für künftige Trends, wie er sagt. Viele der globalen Zukunftsprojekte, an denen in der Zentrale Forschung und Vorausentwicklung gearbeitet wird, laufen unter der Rubrik „streng geheim.“

Auf den Weg hat sich das Unternehmen bereits gemacht, indem unter anderem damit begonnen wurde, elektrische Nebenantriebe aller Art zu entwickeln. Viele der Komponenten unter der Motorhaube, die früher mechanisch funktioniert haben, werden zwischenzeitlich elektrisch betrieben: von der Wasserpumpe über den Klimakompressor bin zu den Turboladerklappen. „In diesem Bereich steckt unerhört viel Potenzial“, sagt Mohr. Um das technische Know-how weiter auszubauen, hat Mahle sich bei Unternehmen in Slowenien und Japan eingekauft, die viel Erfahrung bei der technischen Anwendung von Elektronik mitbringen. „Anfang Januar ist daraus das Geschäftsfeld Mechatronik entstanden. Dort wird in wenigen Jahren ein Umsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro erzielt werden“, sagt Uwe Mohr.

Schon seit Anbeginn war Mahle entscheidend beteiligt an der Entwicklung im Automobilbau und dem epochalen Aufschwung, der das Leben der Menschen verändert hat. Auch davon erzählen die Geschichten, die einen auf dem Weg durch das „Mahle Inside“ begleiten. Nun will das Stuttgarter Unternehmen, das unter anderem mehrere Rennställe in der Formel 1 mit Kolben beliefert und erst jüngst die Kooperation mit der Scuderia Ferrari ausgebaut hat, ein neues Kapitelschreiben und auch die nächste Revolution mit seinen Innovationen vorantreiben. „Die Zukunft wird elektrisch angetrieben“, sagt Mohr, der selber oft mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu seiner Arbeitsstelle kommt. Der Forschungscampus an der Pragstraße ist der Motor für den technologischen Wandel bei Mahle. In direkter Nachbarschaft will das Unternehmen in naher Zukunft ein weiteres Gebäude nutzen, denn es fehlt an Platz für Versuchseinrichtungen, Labore und Büros. „Mahle ist für die weitere Entwicklung der Autoindustrie gut aufgestellt“, sagt Uwe Mohr. „Wir haben die notwendige Größe, die breite Themenvielfalt und Expertise, um weiter eine prägende Rolle zu spielen.“

 

Dieser Text ist dem Magazin „nemo – Neue Mobilität in der Region Stuttgart“ entnommen, das Sie auf Issuu online lesen können.