Beispielhaftes Bauen in Stuttgart Teil I: von Baumhäusern und Eisspeichern

Die Architektenkammer Baden-Württemberg zeichnet regelmäßig Alltagsgebäude aus, die besondere Ansprüche erfüllen

Fluchttreppenhäuser am Pragsattel (Foto: Peter Horn)

Stuttgart ist als Architekturstadt bekannt. Der vorbildhafte Fernsehturm und die organische Baustruktur der Liederhalle, die wegweisende Weißenhofsiedlung und die elegante neue Landesmesse haben zu diesem Ruf beigetragen. Gute Architektur bedeutet nicht, Säcke voller Geld in die Baugrube zu werfen oder nur spektakuläre Großbauten zu inszenieren. Vielmehr erweist sich gute Baukultur auch in der Gestaltung von Gebäuden für das alltägliche Leben mit einem Mehr an geistigem Aufwand und Engagement, welches von Architekten und Bauherren gleichermaßen geleistet wird.

Um das Bewusstsein für die Baukultur im Alltag zu schärfen, lobt die Architektenkammer Baden-Württemberg seit vielen Jahren die "Auszeichnung Beispielhaftes Bauen" aus und dokumentiert die Ergebnisse in einer Datenbank, die auch im Internet zugänglich ist. Der Preis soll beispielhafte Architektur im konkreten Lebenszusammenhang aufspüren und Architekten und Bauherren für ihr gemeinsames Engagement auszuzeichnen. Jungen Architekten und Architektinnen bieten die Auszeichnungsverfahren die Chance, durch prämierte Objekte bekannt zu werden und sich zu etablieren.

In einer kleinen Reihe werden im folgenden vor allem Gebäude vorgestellt, die in den vergangenen Jahren ausgezeichnet wurden und auch öffentlich zugänglich sind. Die meisten Privathäuser lassen sich hingegen im Internet besser besichtigen.

Katholische Kirche Sankt Georg, Stuttgart
Architekt: Peter W. Schmidt Architekt BDA, Pforzheim

Der Kirchenbau erregte Aufsehen und wurde 1930 als gelungenes Beispiel moderner Kirchenkunst in Deutschland gefeiert. Auch die künstlerische Ausgestaltung des Inneren der Kirche mit Mosaikbildwerken des Münchener Künstlers Professor Josef Eberz, der aus der Stuttgarter Hölzel-Klasse hervorgegangen ist, fand große Beachtung. Die Mosaiken gelten heute als wichtige Vor- und Zwischenstufen auf dem Weg zur Moderne. Weil der Bau nicht mehr allen Anfordernissen genügte, wurde das schöne, schlichte Gotteshaus auf den neuesten Stand gebracht. Ein einladender neuer Eingang aus Sichtbeton wurde dem vorhandenen Portal gegenüber gestellt. So formt sich ein Ort der Zurückgezogenheit als Gegenpol zum Vorplatz an der belebten Heilbronner Straße. Das Bild der "Offenen Kirche" wird durch die neuen Blickachsen gestärkt. Alle für die Liturgie wichtigen Stationen heben sich in dunklem Basalt auf hellem Terrazzo hervor. Die Jury der Architektenkammer hob hier insbesondere hervor, dass hier ein behutsamer Umgang mit der historischen Bausubstanz zustande kam. Hinzu kommen Barrierefreiheit, neue Sitzmöbel und anstatt des ehemaligen Windfangs lädt ein ständig zugänglicher Gebetsraum zum Besuch ein. Dem weißen Putz sind Quarzsplitter beigemischt, so dass die Wände je nach Lichteinfall unterschiedlich hell schimmern. Dem leichten lichtdurchfluteten Raum stellt der hellgraue geschliffene Betonestrich mit Splitzuschlag einen erdenden Pol gegenüber. In diesem befindet sich die Fußbodenheizung, die mit einem hohen Effizienzgrad und geringer Aufheizzeit zur Behaglichkeit beiträgt.

Feuerwehrhaus Plieningen, Stuttgart-Plieningen
Architektur 109, Arnold + Fentzloff Architekten BDA, Stuttgart

Das neue Feuerwehrhaus in Stuttgart-Plieningen behauptet sich auf eindrucksvolle Weise als hochmoderner kristalliner Kubus aus Profilglas, das zur Straßenseite eingeschnitten wird – so einfach entsteht die Ausfahrt für die Fahrzeuge. Die umlaufende Industrieverglasung spiegelt das städtebauliche Umfeld. Das mit rubinroten Holzplatten verkleidete Eingangsfoyer dient als "Schaufenster" zum Parkplatz und signalisiert eine übersichtliche Orientierung im Haus.

Hörsäle, Zentrale Verwaltung und Prüfungsamt der Universität im Westflügel von Schloss Hohenheim
Architekten: Vautz Mang Architekten BDA, Stuttgart

So imposant die historischen Bereiche des Hohenheimer Schlosses auch sind, moderne Materialien, klare Linien und ein frischer Anstrich steht ihm ebenso gut zu Gesicht. Frisches Frühlingsgrün, Lichtstreifen, Akustikpaneele und Glasbänder verbinden den Flur sowie die dahinter liegenden Räume in einem Horizont. Die frei eingestellte, sehr reduzierte Möblierung stört die jeweiligen Räume in ihrer Gesamtheit nicht. Das gestalterische Ziel lautete, die teilweise hart nebeneinander stehenden Kontraste der wechselvollen Baugeschichte in ein stimmiges Gesamtbild zu überführen. Für alle Räumlichkeiten vom Hörsaal bis zum Büro wurden eigens zugeschnittene Möbel und Einbauten entwickelt, wie etwa spezielle Beratungstische, Akustikelemente, die zugleich Raumbeleuchtung und Schaukastenflächen aufnehmen und in die historische Gesamtsituation einfügen oder Informationsmöbel mit integrierten Computerterminals. Neben der auf den Bestand und die neuen Nutzungen abgestimmten Farbigkeit wurden in Anlehnung an die historischen Beispiele stellenweise florale Ornamente entwickelt und als DRcuk oder Schablonenmalereien aufgetragen.

Stadtarchiv Stuttgart, Stuttgart-Bad Cannstatt
Architekten: agn Niederberghaus & Partner GmbH, Ibbenbüren

Seit Januar 2011 besitzt Stuttgart ein neues Stadtarchiv. Statt wie bisher an vier verschiedenen Standorten werden die wertvollen Dokumente, Bücher, Urkunden und Datenträger nun an einem einzigen Standort im Stadtteil Bad Cannstatt "artgerecht" untergebracht. Hier, in dem sanierten Lagerhaus-Ensemble am Bellingweg, finden sie optimale Rahmenbedingungen vor: konstante Temperaturen und gleichbleibende Luftfeuchtigkeit. Ohne dass der außergewöhnliche Charakter des denkmalgeschützten Fabrikbaus aus dem Jahr 1921 verloren ging, wurden wesentliche Elemente wie die Eisenbahneinfahrt oder Gleise geschickt in die neue Nutzung integriert und geben dem Lesesaal eine eigene Identität. "Insgesamt überzeugt der Umbau durch einen sensiblen Umgang mit wertvoller alter Bausubstanz", so begründete die Jury, die Auszeichnung des Stadtarchivs. Ungewöhnlich zeigt sich das Energiekonzept. Ein Eisspeicher in Kombination mit gasbetriebenden Absorber-Wärmepumpen optimiert die Kühlung und Beheizung des Archivs, da Geothermie aufgrund der sensiblen Mineralwasservorkommen an diesem Ort nicht möglich war. Insgesamt wurde so saniert, dass die den Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) genügen, dennoch bleiben die Ziegelfassaden bleiben dank innen liegender Dämmung sichtbar. Zusätzlich sind moderne Arbeitsplätze für Verwaltung und Werkstätten, ein öffentlicher Lesesaal mit angeschlossener Freihandbibliothek sowie diverse Gruppen- und Medienräume eingerichtet worden.

Spielplatz an der Keltenschanze, Stuttgart-Vaihingen
Architekten: Kukuk GmbH, Kunst Kultur Konzeption, Stuttgart

Zwischen den großen Wohnblöcken im lichten Pfaffenwald bilden fünf grob behauene, aufgerichtete Steinblöcke den zentralen Ort an der Keltenschanze und erzeugen bei Erwachsenen die entsprechende Assoziation. Für die Kinder sind es hingegen attraktive Kletterfelsen – was in jungen Jahren wichtiger ist als intellektuelle Bildung. Auch die Kletterwand und das Schaukelgerüst sind ungewöhnlich massiv, aus einheitlich quadratischen Eichenbalken, die archaisch anmuten und doch anregendes, aufforderndes Spielzeug sind. Der Spielplatz nimmt die archaische Formensprache des Themas Keltenschanze auf und interpretiert sie. Dabei berücksichtigt die Anordnung der Spielanlage die örtlichen Gegebenheiten. Im angrenzenden Wald befindet sich eine historische Kelterschanze, deren Anlage durch den Spielplatz heraus gearbeitet wurde. Die Kletter- und Spielwand weist in ihrer Beschaffenheit auf den bestehenden Wall und Graben hin. Sie verbindet die freie Grünfläche zwischen den hohen umliegenden Wohngebäuden mit dem Wäldchen, in dem sich das Bodenmonument befindet. Ein Fußgängerweg durchschneidet den Spielplatz auf historischem Boden. Im teilweise wieder hergestellten Graben der Keltenschanze ist der Kleinkinderbereich eingebettet. Auch die Baumaterialien sind bewusst gewählt: Eiche und Granit muten archaisch an. Das unbehandelte, splintfreie Eichenholz wurde ein Jahr gelagert und im eingeschnittenen Zustand nochmals einige Wochen getrocknet. Der Granit stammt aus einem heimischen Steinbruch.

Eingang mit Shop und Ausstellungsräume Alte Staatsgalerie, Stuttgart
Architekten: Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Heinz R. Schmitt

Der historische Bau des Museums von Gottlob Georg Barth stand lange im Schatten des bunten Neubaus von James Stirling. Das Erdgeschoss in den Altbauflügeln war nicht mehr strahlender Eingang,sondern wurde als Verwaltungs- und Lagertrakt genutzt. Seit der Sanierung dient der klassische Museumsbau wieder seiner eigentlichen Aufgabe. Hier entfalten sich d hintereinander gereihten Ausstellungsräume, die sich durch ihre Einfachheit und noble Zurückhaltung hervorragend für Wechselausstellungen eignen. Der Eingang, vor dem Umbau eingezwängt in den schmale Zentrum des Gebäude, hat durch die Verlegung der Information und Kasse an die Rückwand an Großzügigkeit gewonnen. Die alte Staatsgalerie ist dem benachbarten Stirlingbau nun wieder ein ebenbürtiger Partner.

Auch der Eingangsplatz wurde umgestaltet, um die städtebauliche Bedeutung des historischen Museums an diesem Platz stärker zu visualisieren und die Bedeutung der Staatsgalerie für Stuttgart stärker zu akzentuieren. Die neu mit Granit gepflasterte Fläche präsentiert das historische Reiterdenkmal. Eine halbkreisförmige Sitzbank und eine dezente Beleuchtung betonen die historische Kontur. Platzrahmende, flächige Buchspflanzungen rahmen den Platz und die Gebäudearchitektur, deren Fassaden saniert und restauriert wurden. Der neue, verglaste Besucheraufzug ermöglicht auch den Transport großformatiger Kunstwerke. Im Zentrum der Eingangshalle erleben die Besucher einen großzügigen Empfang, der von dem einheitlich gestalteten Terrazzoboden und einem gläsernen Windfang unterstrichen wird. Wärmegedämmte Außenwände sowie die Quellluftklimaanlage stellen mit der Wärmerückgewinnung auch einen Beitrag zur Energieeinsparung dar. Die großen Raumhöhen des historischen Gebäudes, der museumsgerechte Innenausbau und die technische Raumausstattung haben dem historischen teil der Staatsgalerie eine neue Präsentationsqualität ermöglicht.

Fassadensanierung Parkhaus Galeria Kaufhof, Stuttgart
Architekten: wulf architekten, Prof. Tobias Wulf, Kai Bierich, Alexander Vohl, Stuttgart

Der in die Jahre gekommene, unansehnliche Zweckbau hat sich von der schmuddeligen Hinterhofadresse, deren wackelige Außenverkleidung herabzufallen drohte, zu einem markanten Bau entwickelt, der seinen Nutzen als Parkhaus nicht leugnet. Mit vordergründig einfachen, aber raffinierten Mitteln ist es den Architekten gelungen, die Optik der Fassade umzudrehen. Aus einer vormals hellen Fassade mit unbehaglich dunklen Öffnungsschlitzen ist eine markante schwarze, grob verputzte Fassade mit glänzend weiß abgesetzter Bandstruktur der Öffnungen geworden. Das neue Gesicht des an sich banalen Parkhauses hat die Lautenschlagerstraße und den sich stetig weiter entwickelnden Standort in zentraler Lage zwischen Hauptbahnhof und Königstraße stark aufgewertet. Der Inhalt des Gebäudes wird inszenieren und nicht verhüllt. Prägend für das Parkhaus ist die horizontale, offene Bandstruktur. Die Öffnungsschlitze wurden betont, die Fassadenfläche des Baukörpers hingegen sehr zurückhaltend behandelt. Das Gebäude erhielt einen schwarz-blauen, groben Fassadenputz, der das Volumen zurückweichen lässt. Bei Nacht wird die Tiefe des Gebäudes durch Anstrahlen der hellen Decken betont, man nimmt das Innere wahr und nicht das Äußere. Durch diese Umkehrung entsteht sein besonderer architektonischer Reiz.

Kinderhaus St. Hedwig, Stuttgart-Möhringen
Architekten: Günter Hermann Architekten, Dipl.-Ing. Günter Hermann, Stuttgart

Ein Kindergarten wie ein Baumhaus – so präsentiert sich auf schrägen Stelzen der mit Holz verkleidete Bau in Möhringen, der Entwurfsidee des Baumhauses gerecht zu werden. Zur Straße hin schottet sich die Front optisch ab, während sich die Gruppenräumen im Obergeschoss dem Besten, was der Standort zu bieten hat öffnen. Große alte Bäume prägen den Innenhof. Spielhöfe verbinden die Gruppenräume und geben dem langgestreckten Baukörper zusammen mit den Oberlichtkuppeln Licht und Sonne. Die Umgebung zieht sich durch das Gebäude im EG durch,formt eine terrassierte Landschaft und endet in einer bewegt geformten Dach.

Verkehrsbauwerk B10-Tunnel Pragsattel-Löwentor, Stuttgart
Architekten: SCALA Esefeld-Nagler, Freie Architekten/Stadtplaner BDA SRL, Stuttgart

Der Pragsattel bildet eines der meistbefahrenen Eingangstore nach Stuttgart. Früher markierten ehrfurchtsgebietende Stadttore die Grenze zwischen Stadt und Umgebung. Heute begrüßt man die Besucher mit unübersehbaren Farbakzenten an den Tunnelportalen in kräftigen Rot- und Orangetönen, die je nach Standpunkt ihre Wirkung ändern. Roten Balken zeichnen oberirdisch den Verlauf des 720 m langen Bauwerks nach. Zusätzlich hat man aus der Not eine Tugend gemacht. Die drei Fluchttreppenhäuser und das Lüfterbauwerk ergänzen die Absicht, das große, unterirdische Bauwerk im Stadtraum zu erklären. Übergroße Fluchtmännchen auf der Industrieverglasung erklären eindeutig Sinn, Funktion und Zweck des Gebäudes. Ein eigens entwickeltes Lichtkonzept lässt alle baulichen Elemente auch nachts wirken. Die liegenden und stehenden Scheiben werden angestrahlt und ausgeleuchtet, das Metallgewebe läßt diese Elemente auch bei Dunkelheit neu erleben, Treppenhäuser und Lüfterbauwerk werden von innen ausgeleuchtet, sodass das grün schimmernde Glas mit den Fluchtmännchen beinahe als übergroße Lampenobjekte im Stadtraum erscheinen. Ergänzt wird dieses Konzept durch farbige, von innen ausgeleuchtete, mit farbigen Plexigläsern bekleidete Portalgeländer, die als Leuchtkörper über der Straße zu schweben scheinen.

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