Szenen eines Lebens

Die Heiler Software AG hat ihren Umsatz im vergangenen Jahr um 48 Prozent gesteigert. Hinter dem Stuttgarter Unternehmen steckt ein Mann, der vom Versicherungsmakler zum Softwarearchitekten wurde. Die Geschichte eines bemerkenswerten Aufstiegs.

© Reiner Pfisterer Rolf Heiler (Foto: Reiner Pfisterer)
Rolf Heiler (Foto: Reiner Pfisterer)

Genau zwei Menschen sind dabei, als an einem tristen Wintertag in 2.400 Metern Höhe eine Idee ins Fliegen kommt. Es ist der 31. Dezember 1987. Auf dem Hörnli in Arosa friert ein junges Paar. „Ich muss mich entscheiden“, sagt er. „Ich gehe deinen Weg mit“, sagt sie.

Dies ist, wenn man so will, die Schlüsselszene im biografischen Film von Rolf J. Heiler, dem Chef der Heiler Software AG. Der Mann kennt sich aus mit Fotos und Filmen. Seit seiner Jugend hat er ein Faible für Kameras, erwärmt sich an ihrer Technik und hält das Familienleben im Bild fest. Sein ganz persönlicher Film besteht aus Szenen, die nur in seinem Kopf konserviert sind. An diesem Morgen gibt er sie in einem Weilimdorfer Konferenzraum frei.

Heiler sitzt an einem ovalen Tisch, an dem für gewöhnlich eckige Probleme gelöst werden. Er trägt ein blaues Jackett zur beigen Hose. Wache Augen blicken unter der Randlos-Brille aus einem neugierigen Gesicht. Heiler schenkt sich einen Kaffee aus einer Thermoskanne namens „President“ ein, bevor er den Film abspielt, in dem er die Hauptrolle spielt und gleichzeitig Regie führt.

Die Rückblende beginnt mit der Nahaufnahme eines Studenten, der sich an der Berufsakademie in Stuttgart mit Betriebswirtschaft befasst. Seine Tage sind ausgefüllt und meist auch die Nächte. Morgens verkauft der Student Versicherungen, mittags sitzt er in Vorlesungen und nachts schreibt er für sein Büro aufwändige Programme am Computer.

Rolf Heiler, der umtriebige Student, wurde 1959 in Göppingen geboren und hat das Gymnasium zunächst nach der Mittleren Reife verlassen, um eine Lehre als Versicherungskaufmann zu machen. Seine Leidenschaft sind Kameras. Mit 13 hat er vom Vater seinen ersten Apparat bekommen, eine Kodak instamatic, 35-mm- Kleinbildfilm. Mit 15 jobbte er sechs Wochen in einer Korntaler Kistenfabrik und kaufte sich vom Lohn seine erste Canon. Später wird er sich dem Filmen widmen und modernste Technik anschaffen, die es ihm ermöglicht, eigene Welten zu schaffen.

Bevor es so weit ist, befasst er sich im Hörsaal mit Marktwirtschaft und wird zu ihrem glühenden Verfechter. Regulierte Märkte sind ihm suspekt. Wer die Nase vorne haben will, prägt er sich ein, darf nie stehen bleiben. Heiler kauft sich einen Computer für sein Büro. Als Selfmade- Softwerker schreibt er Programme für den Hausgebrauch. Irgendwann klopft eine Zahnradfabrik an, die Hunderte von Teilen anbietet und den Einkauf automatisieren will. Heiler entwickelt in vielen Nachtschichten die neue Unternehmenssoftware.

Nach dem Studium betreibt er sein Versicherungsbüro weiter und taucht nebenbei immer tiefer in die Welt der Programmierkunst ein. 1987 entscheidet er sich auf dem Hörnli in Arosa, das alte Leben hinter sich zu lassen. In einem Zimmer der Wohnung fängt er an. Es gibt mancherlei Gründe, warum gute Ideen nicht zünden. Einer davon ist das Verzagen. Heiler denkt nicht ans Scheitern. „Man muss es so sehr wollen“, sagt er, „dass man sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr fragt, ob es schiefgehen könnte.“

Der Autodidakt entwickelt eine programmierbare Textverarbeitung und eine Grafik-Bibliothek, die ihm viele Kunden beschert. Mitte der 1990er-Jahre klingelt das Telefon und am anderen Ende der Leitung meldet sich der Chefentwickler des Walldorfer Softwarekonzerns SAP. Das renommierte Unternehmen will Heilers Textverarbeitung ins Hauptprogramm einbauen. Ein großer Auftrag.

Der nächste kündigt sich an einem regnerischen Samstag im Wohnzimmer an, wo ihm seine Frau plötzlich einen Zeitungsartikel zeigt. „Kapital sucht Risiko“ lautet die Überschrift. Eine Wirtschaftsinitiative fahndet im Auftrag des Landes nach innovativen Geschäftsideen. Heiler setzt sich spontan an den Computer und tippt seine Gedanken herunter. In seinem Kopf nimmt ein Web-Shop Gestalt an, den Firmen individuell nutzen können, ohne dafür programmieren zu müssen. Sein Entwurf wird prämiert, der Geschäftsführer von Hewlett-Packard Deutschland, Klaus-Dieter Laidig, meldet sich und coacht die junge Firma. Wenig später steht eine Investment-Bank aus England parat, und auch die Walldorfer Softwareschmiede zeigt Interesse an einer Beteiligung. Im Jahr 2000 geht die Heiler Software AG an die Börse.

Der Chef ist auf Wolke sieben. Von der Datencloud der Zukunft ahnt er noch nichts, wohl aber von den gegenwärtigen Chancen, die in der Warenwirtschaft des Internets liegen. „Im Prinzip sind wir Maschinenbauer“, sagt er über seine Branche. „Wir nehmen stupide Arbeit weg von Menschen und überantworten sie einem programmierten Gerät.“ Gesegnet mit der Gabe, nicht alles bis ins letzte Detail planen zu wollen, verwandelt der Betriebswirt sein Softwarehaus in eine Internetfirma. Dabei gibt es Aufs und Abs im neuen Markt, auch für die Investoren. Manche gehen, Heiler bleibt. Für große Unternehmen entwickelt er ausgeklügelte Beschaffungssysteme auf der Basis von elektronischen Katalogen. Er setzt dabei auf Komplettlösungen. „Die Kunden wollen nicht zum IT-Spezialisten werden“, sagt er, „sie wollen nur die Software nutzen.“

Die Company in Weilimdorf wächst, stellt Mitarbeiter ein, fasst Fuß in den USA, arbeitet für Unternehmen wie Daimler und Coca Cola. Früher als andere erkennt der Vorstandsvorsitzende, dass immer mehr Datenfriedhöfe in den unendlichen Weiten des Internets entstehen. Viele Betriebe haben diverse Datentöpfe, aus denen sie sich bedienen. Manche davon sind längst verrostet. Heiler spezialisiert sich darauf, die vagabundierenden Produktinformationen in eine Datenquelle umzuwandeln, die zyklisch gepflegt wird, auf dass gereinigte Produkte am Ende in alle Absatzkanäle sprudeln. Das spart Geld und steigert den Absatz.

Ein harter Job in einer harten Branche. Heiler entspannt sich am Wochenende, indem er Filme mit hochmodernen Kameras dreht, die er sich jetzt leisten kann. Mit ihnen erzählt er vor allem Urlaubsgeschichten. Seine Frau und die drei Kinder sind die Hauptdarsteller. In der Familie erdet er sich. Zu Hause sucht er die innere Mitte zwischen beruflichen Hochs und Tiefs. Seine Frau hilft ihm dabei. „Sie ist mein Kompass“, sagt er.

Der biografische Film geht zu Ende. Im Konferenzraum nebenan debattieren IT-Spezialisten hinter einer Glaswand über das nächste Projekt. 150 Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile auf der Lohnliste. Im vorigen Jahr hat die Firma den Umsatz um 48 Prozent auf knapp unter 20 Millionen Euro gesteigert.

Abspann. Der Hausherr lehnt sich zurück und kneift dabei für einen Moment die Augen zu wie der nachdenkliche Robert Redford in „Der Pferdeflüsterer“. Rolf Heiler hat seine Geschichte erzählt. „Es geht jeden Tag darum, die Welt ein bisschen zu verbessern“, sagt er zum Abschied. Das nächste Drehbuch ruft. Es zieht ihn an den Schreibtisch.

 

Text: Michael Ohnewald

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.