Rosige Aussichten in Lila

Mit drei Angestellten hat Michael Müller vor 20 Jahren angefangen, jetzt arbeiten mehr als 1.100 bei den lila Logistikern aus Besigheim, die nicht nur farblich ein bisschen anders sind. „Eine Spur zu hinterlassen“, sagt der Chef, „ist das, was zählt.“

© Bild : Reiner Pfisterer Michael Müller  (Foto: Reiner Pfisterer)
Michael Müller (Foto: Reiner Pfisterer)

Es gibt Stadtkinder, die Kühe lila malen. Kein Scherz ist das, sondern Resultat einer erfolgreichen Werbekampagne. Die Ursprünge der lila „Kuh-munity“ gehen auf eine Zugreise im Herbst 1971 zurück. Auf der Rückfahrt von der Lörracher Suchard-Schokoladenfabrik zeigten sich drei Werbeleute irritiert von der Farbgebung im Süßwarenwerk. Alles war lila in den Milka-Hallen. Als die Werber aus dem Zugabteil blickten und an grasendem Fleckvieh vorbeirauschten, war eine folgenreiche Idee geboren. Seitdem hat Schokolade eine neue Farbe und Kindern gehen nachts fliederfarbene Rindviecher durch den Kopf.

Lila ist auch für Michael Müller der Stoff, aus dem Träume sind. Ihm hat es diese Farbe derart angetan, dass er sich seit zwei Jahrzehnten bevorzugt mit ihr umgibt. 1991 hat Müller, ein geschickter Alchimist, das Blau der Analyse mit dem Rot der Emotion zu einem preisgekrönten Unternehmen verschmolzen, dessen Name schon das halbe Programm ist: Müller – Die lila Logistik AG.

Der Nachmittag geht, der Chef öffnet seine Tür. Wie ein Fels in der Brandung steht er in seinem Büro, das über einem Hof in Besigheim liegt, auf dem Waren umgeschlagen werden. Lila Lastwagen karren Güter in Boxen heran, Gabelstapler picken Paletten auf. Kommen und gehen, rein und raus. Müller hat den Hof im Blick, der wie ein Drehzahlmesser ist, an dem man ablesen kann, wie viele Umdrehungen die Firma macht.

94 Millionen Jahresumsatz fährt er mit seiner Unternehmensgruppe auf einem hart umkämpften Markt ein. „Ich bewege gerne was“, sagt Müller, der sein Leben als fortgesetzten Versuch versteht, die Prozessketten in seiner Branche neu zu denken. Frei nach Albert Einstein. „Mache die Dinge so einfach wie möglich – aber nicht einfacher.“

Er ist bisher gut damit gefahren, was auch daran liegen mag, dass er in der Nachschubbranche früh Wurzeln ausgetrieben hat. Müller, Jahrgang 1966, wuchs in Zuffenhausen als Sohn eines Managers auf, der sein Geld bei einem internationalen Speditionsunternehmen verdiente.

Der Vater hatte „kurze Arme“, wie der Sohn im Rückblick schmunzelnd erzählt. Bei kostspieligen Wünschen der Kinder sei er „nur schwer an seinen Geldbeutel gekommen“. Also jobbte Müller junior schon mit 13 zum ersten Mal in der Spedition, um selbst was zu verdienen. Ablage, Lager, Stapler fahren. Manchmal schimmerte dabei die große Freiheit durch, wenn gestandene Trucker aus ihren Lastzügen kletterten und die Lagerhallen fluteten mit ihren Anekdoten von den Asphaltpisten dieser Welt.

Müller folgte seinem persönlichen Routenplan, machte Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium in Stuttgart, danach eine Lehre als Speditionskaufmann. Auch beim Studium blieb er in der Spur: Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Logistik. Er war schon damals mehr dem Tätigen zugeneigt als dem Untätigen. Das bekam ein Reisender aus Hamburg zu spüren, der eines Abends auf dem Husarenhof in einer Besenwirtschaft neben ihm saß. „Was schaff’sch?“ Diese Frage saugt man in Schwaben mit der Muttermilch auf und also stand sie plötzlich im Raum. Er sei für die Logistik eines großen Unternehmens verantwortlich, erklärte der Fremde und durfte aus berufenem Studentenmunde vernehmen, dass man in seiner Branche viel Geld sparen könne. Der Reisende konterte mit der Bitte um ein Konzept. Michael Müller, als Fußballtorwart im Fangen unverhoffter Bälle geübt, griff zu. Sein erster Auftrag und der Beginn einer rosigen Zukunft in Lila.

In Heilbronn mietete er 1991 eine Holzbaracke mit Umschlagplatz für Verpackungen an. Die Logistikbranche war im Umbruch, die Liberalisierung der Märkte zwang viele Betriebe in den Ruin. Müller verwischte die Trennlinie zwischen Beratung und Umsetzung und ging gleich mit zwei Geschäftsbereichen an den Start: Lila Consult und Lila Operating. „Wir vereinten die Kraft des Denkens mit der Kraft des Handels.“

Die Banken waren in jener Zeit noch mutiger und der junge Betriebsleiter, Torero und Stier zugleich, nutzte seine Chance. 1997 waren aus drei Angestellten 80 geworden. 2000 wurde die GmbH zur AG und zog nach Besigheim in die neue Firmenzentrale. 2002 hatte die Unternehmensgruppe 500 Beschäftigte. 2004 wurde die Marke von 1.000 Mitarbeitern durchbrochen.

Müller schwamm auf seine Art mit dem Strom der Güter und manchmal auch dagegen. „Die zunehmend komplexeren Prozesse in Unternehmen verlangen von der Logistik vor allem eine ganzheitliche Betrachtungsweise“, sagt er. Das klingt hübsch in der Theorie. In der Praxis lassen sich Konzerne aus der Automobil-, Elektronik- und Pharmabranche nicht so leicht von Grundsätzen blenden, wenn damit nicht entsprechende Umsätze einhergehen, von denen auch was übrig bleibt. Müller ließ den Worten überzeugende Konzepte folgen. Eines davon brachte ihm 1997 den Europäischen Transportpreis ein. Der Vordenker hatte mit seinem Team zwei Kunden dazu ermuntert, bei ihren aufwändigen Lkw-Touren nach Italien gemeinsam neue Brummis und Boxentypen einzusetzen. Auf diese Weise sparten sie 68 Prozent der Fahrstrecke und eine Million Liter Diesel pro Jahr. „Die besten Lösungen“, sagt Müller und grinst, „sind die einfachsten.“

Auf 15 Standorte ist die Aktiengesellschaft mittlerweile gewachsen, was den Vorstandsvorsitzenden in der Ansicht bestärkt, dass er mit seiner lila Philosophie richtig liegt, die in der Wertschöpfung auch ökologische und soziale Belange berücksichtigt. Müller tut auch das auf seine Art, indem er Wege verkürzt, Strom in den Büros spart, Stellen für 60 Lehrlinge vorhält, eine Stiftungsprofessur für Logistik mitfinanziert und seinen Kollegen an allen Standorten einmal im Jahr ans Herz legt, für ein paar Stunden ehrenamtlich in Kinderheimen zu arbeiten. Das hat seiner Firma 2011 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis eingetragen.

Wer klug ist, hütet sich davor, die Arbeit zur Geliebten zu küren. Der Chef, verheiratet und Vater zweier Töchter, weiß um die Gefahr. Vor vier Jahren hat er sich deshalb bewusst für einige Wochen verabschiedet, um die mehr als 3.500 Kilometer lange Strecke der Tour de France unter die Räder nehmen. Nach wenigen Etappen suchte ihn ein fieses Magenvirus heim. Vier Kilo verlor er in einer Nacht und setzte sich am nächsten Morgen trotzdem wieder auf den Sattel. „Was ich anfange, das bringe ich auch zu Ende.“

Es ist spät geworden über der Geschichte eines ungewöhnlichen Firmengründers. Zum Abschied reicht er einen Regenschirm. „Hoffentlich brauchen Sie ihn nicht“, sagt Müller. Für den Fall, dass sich doch tiefgraue Wolken entladen, möge man ihn in guter Erinnerung behalten, gibt er seinem Besuch mit auf den Weg. Der Regenschirm, wie könnte es anders sein, ist von oben bis unten lila.

 

Text: Michael Ohnewald

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.