Wie man den Klang eines Unternehmen erfindet

Die Getränkeflasche zischt beim Öffnen, der Motor eines Sportwagens röhrt und das Handy gibt einen dezenten Klingelton von sich. Wer so naiv ist, zu glauben, dass diese Geräusche allein in der Natur der Dinge liegen, hat sich sehr getäuscht. Sounddesigner nehmen sich der Produkte an und bringen bestimmte Charakteristika in unsere Gehörgänge und unser Gehirn. […]

© Zaumel Helga www.klangerfinder.de

Die Getränkeflasche zischt beim Öffnen, der Motor eines Sportwagens röhrt und das Handy gibt einen dezenten Klingelton von sich. Wer so naiv ist, zu glauben, dass diese Geräusche allein in der Natur der Dinge liegen, hat sich sehr getäuscht. Sounddesigner nehmen sich der Produkte an und bringen bestimmte Charakteristika in unsere Gehörgänge und unser Gehirn. Das Stuttgarter Unternehmen Klangerfinder GmbH & Co. KG hat sich in diesem Segment eine besondere Position erarbeitet. Es zielt nicht allein auf einzelne Produkte, sondern arbeitet an einem allumfassenden Klangbild, mit dem sich ein Unternehmen nach außen hin darstellt.

Eines der spannendsten Projekte, an dem das Stuttgarter Unternehmen arbeitet, ist die Entwicklung des kompletten Sounddesigns für die Marke Audi. Rund 30 Mitarbeiter von Klangerfinder entwickeln in Zusammenarbeit mit dem Automobilhersteller seit drei Jahren den klanglichen Auftritt der Marke. Audi ist die erste Firma, die dem Klang als ausdrucksstarkes und verbindendes Element im gesamten Unternehmens einen solchen hohen Stellenwert einräumt. Was soll das und wie funktioniert es? „Das Bewusstsein für ein umfassendes Sounddesign ist allgemein noch wenig ausgeprägt und auch für Musiker und bedeutet für Komponisten noch viel Terra Incognita“, sagt Florian Käppler, Gründer und Geschäftsführer von Klangerfinder. Er hat selbst Komposition studiert, war jahrelang mit seiner Band unterwegs und betreibt seit 15 Jahren ein Tonstudio .

Sounddesign ist allumfassend

Die visuelle Design-Welt hat mittlerweile in nahezu jedes Unternehmen Einzug gehalten, mitsamt Logo, Unternehmensfarben, und vielen weiteren optischen Facetten, die den Wiedererkennungswert des Unternehmens bestimmen. Eine Klanglehre in diesem Sinne, die zudem noch analytisch betrachtet wird und wissenschaftlich basiert ist, steckt noch in den Kinderschuhen. Dabei ist die Markierung oder Charakterisierung durch Klänge keineswegs eine Erfindung unserer Zeit. Früher ließen sich Herrscher durch bestimmte Instrumente ankündigen, die, wie beispielsweise Trompeten, nur in ihrer Anwesenheit erklingen durften. Und jeder, der die Melodie eines bekannten Gummibärchen- und Lakritzfabrikanten summt, kann sicher sein, dass die Hörer wissen, welche Marke gemeint ist.

Bislang wurde alles, was mit Ton und Klang zu tun hatte, eher stiefmütterlich behandelt. Ein Soundlogo, wie das der deutschen Telekom, war geradezu revolutionär und ist mittlerweile in vielen Ohren verankert. „Aber Sounddesign bedeutet viel mehr als nur einen Jingle zu komponieren, einen Werbespot mit Musik zu unterlegen oder zu überlegen, wie es sich anhören soll, wenn eine Autotür zugeklappt wird. Sounddesign ist allumfassend“, stellt Käppler fest. Die Stuttgarter Klangerfinder entwickeln Klangkonzepte und Ideen, bieten Musikberatung, übersetzen Markenwerte in Klang und erstellen akustische Wettbewerbsanalysen. Mit Sounddesign lässt sich, parallel zur optischen Gestaltung, der Wiedererkennungswert eines Produkts erhöhen. Es beeinflusst unsere Wahrnehmung, meist ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst werden.

Wie klingt ein Automobilunternehmen?

„Als wir begonnen haben, für Audi zu arbeiten, fragten wir uns zuerst, wo und wie das Unternehmen hörbar auftritt,“ erzählt Käppler. Die Klangerfinder waren erstaunt, in wie vielen Bereichen sie fündig wurden: die Telefonwarteschleife, die Musik anlässlich einer Fahrzeugenthüllung, Musik und Klänge in sozialen Netzwerke, Werbefilme, Sounds für den Messeauftritt und nicht zu vergessen – die Autos selbst.
Dabei stellte Käppler fest, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht – hier eine Werbeagentur, dort ein Messeproductioner, und woanders die Marketingabteilung oder auch Einzelpersonen mit ihren individuelle Vorlieben. Es war sozusagen eine Kakophonie – das Unternehmen musizierte mit vielen Stimmen, die keinen harmonischen Gleichklang ergaben.
„Wir suchten dann zuerst einen Grundsound, der die Marke repräsentiert“, erläutert Käppler die Vorgehensweise. Für das Automobilunternehmen musste der Markenslogan „Vorsprung durch Technik“ in Klänge übersetzt werden. Man entschied sich unter anderem für das Pizzicato einer Viola, das durch Zupfen der Saiten klare und rhythmische Linien hervorbringt. Dennoch benötigt jedes Medium und jede Situation einen anderen Sound, der trotz allem das Unternehmensbild spiegelt.

Darüber hinaus wurden sämtliche Töne und Geräusche aufgenommen, die ein Auto von sich gibt und jedes Modell klingt ein wenig anders. Ob Schalter, oder Cabrioverdeck – jede Komponente wurde mit allen technischen Finessen aufgenommen. Hinzu kamen die Motorengeräusche. Sie wurden so aufgenommen, dass sowohl der Klang im Fahrzeuginnenraum wie auch der Klang im Außenraum realitätsgetreu wiedergegeben wird. „Eine Heidenarbeit mit viel Feintuning aller Aufnahmegeräte“, gibt Käppler zu, bei der das eine oder andere Mikrofon abgefackelt wurde, weil es nahe am Motorraum doch etwas heiß wurde. Filme und Fotos dieser aufwendigen Aktionen zeigen Autos, deren Karosserie mit Plüschmikrofonen gespickt sind und surrealen Kunstobjekten ähneln.

Sämtliche komponierten Sounds, wie auch Originalgeräusche, sind nun in einer Datenbank gespeichert, so dass alle Beteiligten weltweit jederzeit darauf zugreifen können. Die Mitarbeiter schöpfen aus dem riesigen Klangreservoir. Ihnen steht es frei, daraus neue Klänge und Melodien zu entwerfen, denn das Produkt und die Marke werden, abhängig von der jeweiligen Kultur, deren Vorlieben und Hörgewohnheiten in jedem Land anders dargestellt. „So wird ein Sounddesigner in Japan einen andere Hintergrundmusik für einen Werbespot oder als Eröffnungsmusik einer großen Konferenz komponieren als der deutsche Kollege. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass der grundsätzliche Markensound gewahrt bleibt, weil sich die Komposition in dem vorgegebenen Klangrahmen bewegt“, fasst Käppler zusammen.

Eigene technische Entwicklungen

Auch die Klangerfinder GmbH verfügt über ein eigenes Geräuscharchiv, wenn spezielle Einzelaufträge anstehen. Neben der üblichen High-Tech-Ausstattung eines Tonstudios entwickelt das Unternehmen immer wieder eigene Lösungen für Ton-Aufnahmen, wenn herkömmliche Geräte an ihre Grenzen stoßen. So etwa für Tonaufnahmen, die unter extremen Bedingungen entstehen, beispielsweise in Maschinen, an Rennstrecken, unter Wasser oder in extremer Höhe. „Während der Durchführung vieler Projekte zeigt sich immer wieder, dass die herkömmlichen Audiotechnologien schnell an ihre Grenzen kommen, sobald Funktionen benötigt werden, die innovativ und etwas abseits vom Mainstream liegen,“ sagt Käppler. „Deshalb entwickeln wir projektbezogen auch neue technische Anwendungen.“

Aus der noch jungen Entwicklungsabteilung von Klangerfinder stammen die Audiosteuerung der interaktiven Kugel im Deutschen Pavillon auf der Expo 2010 in Shanghai sowie zahlreiche virtuelle Software-Instrumente. Das stetig wachsende Know-how nützt dem kreativen Unternehmen aus Stuttgart bei nachfolgenden Projekten. „Diese Innovativen sichern uns einen großen Vorsprung zur Konkurrenz,“ stellt Käppler fest.

Klänge für Ausstellungen

Für eine aktuelle Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum hat Klangerfinder gemeinsam mit Studierenden der Fachhochschule Trossingen den ersten Audioguide mit Bildtracking entwickelt. Statt wie üblich eine Nummer einzugeben, um Informationen zum Bild abzurufen, wird ein eigens gestalteter QR-Code abgelesen. Der Museumsbesucher kann dann wahlweise den Text wählen, der von Mitgliedern des Jugendkunstclubs professionell verfasst wurde oder eine individuelle Komposition, zu der sich die Studenten vom jeweiligen Bild haben anregen lassen. Text und Musik gleichzeitig zu hören, ist ebenfalls möglich.

Die Projekte sind vielfältig. Im Haus der Geschichte Baden-Württemberg war im vergangenen November eine Klanginstallation von Florian Käppler zu hören, die die Namen mehrerer tausend deportierter Stuttgarter Juden in Noten umsetzte. Im Mythosraum des Mercedes Museum hat das Team die Raumklänge umgesetzt und für den neuen Rundgangstollen des Jungfrauchjochs in den Berner Alpen, der im April 2012 eröffnet wird, hat Klangerfinder die Soundinszenierung konzipiert und komponiert.

Für das derzeit entstehende Projekt Haus der Berge in Berchtesgaden sind die Stuttgarter Klangerfinder ebenfalls aktiv. Sie entwickeln parallel zum szenographischen Naturpanorama passende Klänge, die reaktiv eingesetzt werden und auf feinste Nuancen achten. Ob Vogelgezwitscher oder Gewitterregen, alle Geräusche der Natur sind so gesteuert, dass sie auf Aktionen und Besucherverhalten reagieren. Nur wenn es leise genug ist, zwitschern manche Vögel, ansonsten bleiben sie ruhig, ebenso während eines Gewitters. Wenn dieser „Effekt“ vorbei ist, zwitschern sie wieder fröhlich. Die Einspielung klingt dann ganz anders als zuvor, als brütende Hitze herrschte – ganz wie in der Natur.

Dem Klang wissenschaftlich auf der Spur

Dementsprechend zieren das erfolgreiche Stuttgarter Unternehmen viele Preise. Darunter sind so renommierte Auszeichnungen wie der red dot design award, unter anderem in der Kategorie „Communication Design 2010“ für das „Audi Corporate Sound“ – Projekt, diverse ADC-Auszeichnungen für den vielbejubelten deutschen Pavillon auf EXPO 2010 in Shanghai, sowie
der Grimme Online Award für die ARD-Trickfilmserie „TOM und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig“

Während die Klänge schon gut ankommen, sind die Mechanismen, die auf den Menschen wirken, bislang noch wenig erforscht. „Wir wollen dazu beitragen, dass das Potenzial von Musik und Klang erkannt und gleichzeitig strategischer eingesetzt wird,“ betont Käppler. Er ist seit mehreren Jahren an der Konzeption und dem Aufbau des Studiengangs Musikdesign der staatlichen Hochschule für Musik Trossingen beteiligt. Vor kurzem wurde er zusätzlich als Dozent für den Studiengang Audioproduktion an der neuen Hochschule der populären Künste Berlin (HdpK) verpflichtet. Die Stuttgarter Klangerfinder kooperieren darüber hinaus mit der Fakultät Digitale Medien an der Hochschule Furtwangen.

Das Stuttgarter Unternehmen kooperiert mit dem Fraunhofer Institut IDMT (Institut für Digitale Medientechnologie). Die Klangerfinder um Florian Käppler sind innovativen Raumklängen auf der Spur. Hier tun sich völlig neue Szenarien auf. Mittels einer komplexen Technologie ist es möglich – ähnlich wie mit Farben – durch Töne „Räume wärmer oder kühler erscheinen zu lassen, oder sie akustisch zu vergößern oder zu verkleinern“, klärt Käppler auf.

Astrid Schlupp-Melchinger

© Bild: Zaumel Helga
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