Tüftler machen mobil

Nirgendwo anders werden so viele Patente angemeldet wie in der Region Stuttgart. Zu den Pionieren gehört auch die Fried Kunststofftechnik GmbH in Urbach. Die Firma geht neue Wege, um Menschen mit Handicap mobiler zu machen.

© Reiner Pfisterer Elektrischer Rollstuhl von Freee (Foto: Reiner Pfisterer)
Foto: Reiner Pfisterer

Rot ist die Farbe, für die sich Andreas und Gerhard Fried entschieden haben. So rot wie der Brustring der Kicker vom Cannstatter Wasen, denen die beiden Unternehmer aus Urbach die Treue halten, seit sie als Jugendliche in den Vereinsfarben hinunter gepilgert sind ins damalige Neckarstadion. „Eine wunderbare Zeit“, sagt Andreas Fried und denkt dabei an Spieler wie Ohlicher, Allgöwer oder die Förster-Brüder. Zwar läuft es in der aktuellen Bundesligasaison alles andere als gut für den VfB, an der Friedschen Farbenlehre vermag das aber nichts zu ändern. „Einmal ein Roter, immer ein Roter“, sagt Gerhard Fried.

Nun haben die beiden Geschäftsführer an diesem Vormittag natürlich nicht die Tore ihrer Werkshallen am Rande von Urbach unweit von Stuttgart geöffnet, um über Fußball zu reden. Sie wollen vielmehr eine Innovation Marke Eigenbau vorführen, ein rollendes Etwas, das sie mindestens mit der gleichen Leidenschaft entwickelt haben: den Elektro-Rollstuhl Freee F2, der vollkommen anders aussieht als bisher bekannte Gefährte dieser Art und sich auch vollkommen anders fährt. „Wir wollten einen Rollstuhl entwickeln, der geländetauglich ist, also problemlos durch Sand, Kies und über Waldwege fährt, und dazu auch noch sportlich aussieht“ erzählt Gerhard Fried, der Betriebswirt im Familienunternehmen. „Das Design war ein ganz wichtiger und zentraler Punkt dabei.“

Rot ist die Farbe, für die sie sich schließlich entschieden haben. Genauer gesagt: signalrot. „Wir haben auch über Grün oder Orange diskutiert, wollten aber ganz bewusst eine möglichst dynamische und sportive Farbe für unseren Rollstuhl“, betont Andreas Fried, der studierter Maschinenbau-Ingenieur ist und zusammen mit den Mitarbeitern seiner Firma die Entwicklung des F2 vorangetrieben hat. Herausgekommen ist nach einiger Tüftelei schließlich ein Gefährt, das auffallend an einen Segway zum Sitzen erinnert. Und genau das ist der F2 auch: ein selbstbalancierendes und dabei geländegängiges Fahrzeug, das ausschließlich über die Körperneigung beschleunigt, gelenkt und gebremst wird.

Warum konstruiert ein erfolgreiches und bodenständiges Unternehmen für Kunststofftechnik plötzlich Rollstühle? Die Antwort auf diese Frage verknüpft Andreas Fried mit einer traurigen Geschichte. Sie handelt von seinem Bruder Thomas, einem sportlichen und aktiven Mann, der im Alter von 33 Jahren plötzlich an einer Virenerkrankung leidet, die eine Querschnittslähmung zur Folge hat und ihn in den Rollstuhl zwingt. Welche massive Einschränkungen damit verbunden sind, hat in den Wochen und Monaten danach auch Andreas Fried erfahren, nicht nur beim Spaziergang durch schwäbischen Altstädte mit ihrem mittelalterlichen Kopfsteinpflaster oder auf holprigen Waldwegen. Nach langer und vergeblicher Suche nach einem geländetauglichen Rollstuhl sei in ihm schließlich der Gedanke gereift: „Das machen wir selber.“

Im Januar 2013 wurden im Familienrat die ersten Gespräche geführt und Überlegungen angestellt, ob und wie eine solche Idee zu realisieren ist. Im Herbst vergangenen Jahres stand dann der erste F2 auf dem Hof, wie er heute in Kleinserie montiert wird. Der Bruder von Andreas Fried, der bei der Entwicklung beteiligt war und den Ingenieuren unter anderem von seinen alltäglichen Erfahrungen und Problemen mit Barrieren aller Art berichten und Anregungen beisteuern konnte, übernahm die ersten Probefahrten. Seit er in seinem signalroten F2 unterwegs ist, sagt Andreas Fried, werde sein Radius wieder immer größer und auch seine Lebensfreude. „Mein Bruder gewinnt Stück für Stück seine persönliche Freiheit zurück.“

Für das Spezialfahrzeug werden in Urbach 270 Einzelteile verbaut. Wichtigste Komponenten sind das Fahrwerk und der Motor, die als Originalteile des US-amerikanischen Herstellers Segway von einem österreichischen Händler geliefert werden. Die restlichen Teile, die zur Herstellung des High-Tech-Rollstuhls notwendig sind, werden von Zuliefern direkt aus der Region um Stuttgart bezogen. Bei der ersten Entwicklungsvariante gab es noch kleinere Probleme mit der Stütztechnik, die von den Ingenieuren aber schnell gelöst wurden. Seither fahren per Knopfdruck zwei Parkstützen aus, die elektronisch gesteuert werden und sich automatisch dem unterschiedlichsten Terrain anpassen. „Der Fahrer muss sich absolut sicher fühlen“, betont Andreas Fried. „Dazu muss der Rollstuhl trotz seiner zwei Räder zuverlässig überall stabil stehen.“

Für die Vermarktung ihres Gefährts haben die Unternehmer die Freee Mobility GmbH gegründet und unter anderem Anna Schaffelhuber verpflichtet, die fünffache Paralympics-Siegerin auf dem Monoski, die der anvisierten Zielgruppe nahesteht, wie Gerhard Fried sagt. Die Kunden seien oft Menschen, die einen Arbeitsunfall hatten, mit dem Motorrad verunglückt sind oder beim Ausüben einer Extremsportart. „Die wollen nicht mit einem Krankenfahrstuhl herumfahren, sondern möglichst viel Bewegungsfreiheit haben.“

Voraussetzung für diese Art der Freiheit ist eine gewisse Stabilität im Rumpf, um den Rollstuhl steuern zu können. Der F2 sei aber auch für Menschen mit Hüftproblemen oder nach Operationen und ist bis zu einem gewissen Stadium auch für MS-Patienten geeignet, sagt Gerhard Fried. Die Batterie mit zwei Lithium-Ionen-Akkus, die an jeder Steckdose geladen werden kann, reicht knapp 40 Kilometer weit. Und mit seinen beiden autonom gesteuerten Elektromotoren kommt das Gefährt auch starke Steigungen hinauf. Der Umgang mit dem Sitz-Segway ist im Vergleich zu herkömmlichen Rollstühlen zwar gewöhnungsbedürftig, andererseits aber auch schnell gelernt. „Bei den Probefahrten dauert es in der Regel nicht lange bis zum ersten Aha-Erlebnis“, sagt Andreas Fried.

Mehr als 20 Elektro-Rollstühle haben die Unternehmer bisher verkauft. „Wir träumen von einer Stückzahl von einigen Hundert im Jahr“, sagt der Betriebswirt Gerhard Fried, dessen Urgroßvater das Familienunternehmen einst als Wagnerei gründete. Heute beliefert die Fried GmbH mit ihren 240 Mitarbeitern insbesondere die Medizintechnik und den Maschinenbau mit Kunststoffteilen. In die Entwicklung des F2 haben die beiden einen sechsstelligen Betrag gesteckt, der sich in den Jahren nach Möglichkeit auch wieder amortisieren soll. Dazu wollen sie ihr Gefährt sukzessive weiter entwickeln, neue Ideen umsetzen, die Zubehörpalette ausbauen und die Anregungen der Kunden aufgreifen. Einer habe jüngst darum gebeten, eine Halterung für Krücken anzubringen, erzählt Andreas Fried. Ansonsten bekommen die beiden Unternehmer vor allem viel Lob zu hören, nicht zuletzt auch für die schicke Lackierung. Gut also, dass sie sich für die Farbe rot entschieden haben.

fried.de

© Bild: Reiner Pfisterer
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