Symbiose von Ingenieurswissen und Instrumentenbau

Die Forschungsorgel des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP in Stuttgart wurde als Ort im Land der Ideen ausgezeichnet

© Paavo Blafield
Eine Orgel für die Wissenschaft (Foto: Fraunhofer IBP / Roman Wack )

In der Weihnachtszeit kommt die Königin der Instrumente noch mehr zum Einsatz als sonst und wohl die wenigsten Menschen können sich ihrer Wirkung entziehen. Orgeln sind hochkomplexe Maschinen und daher Gegenstand vielfältiger Untersuchungen. Die Wissenschaftler des Stuttgarter Fraunhofer Instituts für Bauphysik (IBP) widmen sich seit vielen Jahren der Erforschung europäischer Musikinstrumente, insbesondere der Orgel.

Kunst trifft Wissenschaft – so kurz ließe sich die Arbeit mit der Forschungsorgel am Fraunhofer Institut beschreiben. Den Stuttgarter Wissenschaftlern steht seit 2012 erstmalig ein Instrument zur Verfügung, mit dem die Verknüpfung von Physik und Musik praxisnah getestet werden kann. Im Gegensatz zu Orgeln in Kirchen und Konzertsälen ist das Innenleben der Forschungsorgel leicht einsehbar. So lassen sich die physikalischen Vorgänge, die dem Orgelklang zugrunde liegen, in allen Einzelheiten erforschen. Das Instrument eröffnet den Stuttgarter Wissenschaftlern völlig neue Perspektiven der akustischen Forschung.

Dafür wurde das Fraunhofer-Institut für Bauphysik als "Ausgewählter Ort 2012" im Wettbewerb "365 Orte im Land der Ideen" ausgezeichnet. Im Fokus der Forscher steht die wissenschaftlich fundierte Orgel- und Kirchenakustik, ebenso wie die Bewahrung und Weiterentwicklung des Orgelklangs mit Hilfe moderner Technologien.

Viele Messungen waren bisher an einem so komplexen und fest installiertem System wie einer Kirchenorgel nicht oder nur eingeschränkt möglich. Einzelne Arbeitsschritte mussten gesondert im Labor an Orgelmodellen erfolgen. Auch neu entwickelte Teile konnten nur im Labor an Modellen getestet werden. Die neue Forschungsorgel repräsentiert die Symbiose von Ingenieurswissen und Instrumentenbau. Experten der unterschiedlichsten Fachrichtungen zeigen sich angetan von der Möglichkeit, neue Verbindungen von Physik und Musik, von Wissenschaft und Kunst zu erkennen.

Um einen versierten Orgelbauer zu finden, mussten die Wissenschaftler nicht weit gehen. Der Orgelbau in der Region Stuttgart hat eine lange Tradition. Johann Eberhard Walcker, der 1780 in Cannstatt seine Werkstatt begründet hatte, gilt als der bedeutendste deutsche Orgelbauer des 19. Jahrhunderts. Sein Sohn, der das Unternehmen nach Ludwigsburg verlegte, erlangte mit der Ausstattung der Frankfurter Paulskirche ersten Ruhm. Carl Gottlieb Weigle, der bei Walcker in die Lehre ging, begründete 1845 sein eigenes Unternehmen in Stuttgart, das bis 1985 Bestand hatte.

Gebaut wurde die neue Fraunhofer-Forschungsorgel in der renommierten Werkstätte für Orgelbau Mühleisen aus Leonberg. Das kleine aber feine Orgelbauunternehmen gründete Konrad Mühleisen im Jahr 1986 in Leonberg – mit ehemaligen Mitarbeitern, nachdem die traditionsreiche Firma Orgelbau Friedrich Weigle ein Jahr zuvor aufgelöst wurde. Seitdem hat der Orgelbauer allein in der Region Stuttgart mehr als 30 Orgeln ausgeliefert. Hinzu kommen in derselben Zeit unzählige Restaurierungen oder Umbauten. In der Budapester Neuen Philharmonie stehen Mühleisen-Orgeln ebenso wie an Hochschule für Kirchenmusik Regensburg oder in der Stuttgarter Stiftskirche.

http://www.ibp.fraunhofer.de