Nylonstrümpfe und Plastikflaschen aus Salat-Abfällen

Aus der Wurzel des Chicorée gewinnen Stuttgarter Wissenschaftler Chemikalien für die Kunststoffproduktion

© Universität Hohenheim Ob Strumpf oder Plastikflasche - Wissenschaftler der Universität Hohenheim ebnen den Weg für Qualitätsprodukte aus Chicorée-Abfällen (Foto: Universität Hohenheim)
Ob Strumpf oder Plastikflasche - Wissenschaftler der Universität Hohenheim ebnen den Weg für Qualitätsprodukte aus Chicorée-Abfällen (Foto: Universität Hohenheim)

Rund 800.000 Tonnen: diese Mengen an Wurzelrüben fallen jährlich europaweit bei der Produktion von Chicorée-Salat als Abfallprodukt an. Die Rüben werden bisher nach der Ernte des Salats auf dem Kompost oder in Biogasanlagen entsorgt. Viel zu schade, so die Ansicht zweier Forscherinnen der Universität Hohenheim in Stuttgart. Denn aus den Wurzeln lässt sich Hydroxymethylfurfural (HMF) gewinnen, das als Basisstoff in der Kunststoffindustrie verwendet werden könnte.

Ein fensterloser Raum in der Versuchsstation des Hohenheimer Universitätsgeländes: An den Wänden stehen Regaltürme voller Wannen, ausgekleidet mit Teichfolie. Darin stehen in Kunststoffkörben die 15 bis 20 Zentimeter langen Wurzelrüben, aus denen innerhalb von drei Wochen Chicorée-Salatknospen wachsen. Eine Aquariumpumpe umspült die Pflanzen mit einer Nährlösung. Es ist dunkel, damit die Salatblätter ihren gelben Pastellton behalten und keine der Chicorée-typischen Bitterstoffe bilden, die den Geschmack beeinträchtigen könnten.

Ähnlich wie in dieser Versuchsanlage – nur um ein Vielfaches größer – sieht es bei der kommerziellen Produktion von Chicorée-Salat aus. Die zweijährigen Pflanzen verbringen nur die ersten fünf Monate auf dem Acker. Mitte Oktober werden die Blätter entfernt, die Wurzeln geerntet, kühl gelagert und dann in Treibräume gebracht. Erst dort bilden sich die neuen Blattknospen, die als Chicorée-Salat genutzt werden.

Doch anders als in der Lebensmittelproduktion interessiert sich die Universität Hohenheim vor allem für den nicht-essbaren Rübenanteil. „Die Wurzelrübe macht circa 30 Prozent der Pflanze aus. Die Wurzelrüben können jedoch nur einmal für die Chicorée-Treiberei genutzt werden, fallen nach der Knospenernte als Abfallstoff an und müssen entsorgt werden“, erklärt die Agrarbiologin Dr. Judit Pfenning.

Wie wertvoll die Chicorée-Wurzel tatsächlich ist, zeigt Prof. Dr. Andrea Kruse wenige Schritte entfernt in einem Labor des Instituts für Agrartechnik. Im Hintergrund stehen Bleistift-große Rohrreaktoren aus Edelstahl, die mit Häckseln der Chicorée-Wurzelrübe und Wasser befüllt werden. Die Druckbehälter werden mit verdünnter Säure versetzt und bis zu 200 Grad erhitzt. Das wässrige Produkt wird anschließend in weiteren – geheimen – Schritten aufbereitet.

Am Ende erhalten die Wissenschaftler ein gelb bis braun gefärbtes Pulver: Hydroxymethylfurfural (HMF). Es ist eine von zwölf Basischemikalien, die zukünftig in der Kunststoffindustrie verwendet werden. Es dient als Ausgangsstoff für Nylon, Perlon, Polyester oder Kunststoffflaschen – sogenannten PEF-Flaschen im Gegensatz zu den PET-Flaschen. Der Wert im Chemikalien-Großhandel liegt aktuell bei 2.000 Euro das Kilo. Bisher werden solche Chemikalien aus Erdöl gewonnen.

Hochwertiger als die Chemikalie aus Erdöl

Ein Teil der Chicorée-Wurzeln wird heute verwendet, um daraus Biogas zu erzeugen. Doch diese Verwendung sei ökonomisch unterlegen, so Kruse: Aus den Rüben eines Hektar Ackers könnten nach aktuellem Forschungsstand fast drei Tonnen HMF gewonnen werden – bei heutigen Marktpreisen entspricht das mehr als 5,5 Millionen Euro. Strom aus Biogas dieser Menge Chicorée-Wurzeln würde jedoch nur rund 21.000 Euro einbringen.

„Die Chicorée-Wurzelrübe eignet sich nicht nur deshalb so gut zur Gewinnung von HMF, weil sie ein Abfallprodukt ist“, betont Kruse. „Sie produziert auch eine höherwertige Chemikalie als das Äquivalent aus Erdöl.“ Dadurch könnten PEF-Flaschen aus Chicorée-HMF beispielsweise dünner gezogen werden, als solche aus Erdöl-PET. Das spart Transportkosten und verbessert die Umweltbilanz noch weiter.

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