Die historische Verantwortung der regionalen Wirtschaft

Welche Verantwortung trugen Unternehmen aus der Region Stuttgart während des Zweiten Weltkrieg und Nationalsozialismus – und wie haben sie sich später mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt?

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„Unser Unternehmen und seine damaligen Akteure waren ebenfalls verstrickt. Das Gedenkjahr wollen wir zum Anlass nehmen, um zurückzublicken, aber auch um zu fragen, welche Lehren aus dem Geschehenen für die heutige Zeit gezogen wurden.“

Das schreibt Mercedes-Benz im Jahr 2020 zum 75. Jahrestags des Kriegsendes in Europa zur eigenen Unternehmensgeschichte und der Verantwortung für die Verstrickungen in Totalitarismus und Weltkrieg.

Fünf Jahre später, am 08.05.2025 jährt sich die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus bereits zum 80. Mal. Vierzig Jahre zuvor, am 08.05.1985, prägte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, geboren in Stuttgart, vierzig Jahre nach dem noch als Tag der Niederlage begriffenen Kriegsendes erstmals öffentlich den Begriff vom Tag der Befreiung. Der Tag befreite aber nicht davor, Verantwortung für die eigene Geschichte zu übernehmen. Im Gegenteil: Auch heute sind diese Gedankengänge noch nicht abgeschlossen.

Welche Rolle spielten Unternehmen der Region Stuttgart in den Machtstrukturen und Wirtschaftsmodellen des Regimes? Welche Auswirkungen hatten die eigenen Entscheidungen auf Unterworfene und Ausgebeutete? Welche Lehren lassen sich daraus für jetziges und künftiges Handeln ziehen?

Die Häuser Daimler, Porsche und Bosch haben in den 1980er Jahren die eigenen Unternehmensgeschichten wissenschaftlich aufgearbeitet. Historiker wie Manfred Pohl und Wolfram Pyta stehen für einen langen Prozess der Aufarbeitung, obwohl sie nach wie vor Ausnahmen in einer kargen Forschungslandschaft sind, der es oft an Quellen und Zugängen, Ressourcen und Zeitzeugen mangelt.

Die im Stuttgarter Franz Steiner Verlag erschienene Studie „Die Daimler-Benz AG in den Jahren 1933 bis 1945“ und die publizierte Folgestudie „Zwangsarbeit bei Daimler-Benz“ sind wegweisend. Auch die Darstellung der „Geschichte eines Weltunternehmens“ der Firma Bosch genügt wissenschaftlichen Standards und ist ein weiteres Beispiel für konsequente Aufarbeitung während des Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg.

„Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke“ begleitete und beleuchtete der Stuttgarter Lehrstuhlinhaber und Leiter der „Forschungsstelle Ludwigsburg“ Pyta den Aufstieg Porsches in der Zeit des Nationalsozialismus, ebenfalls mit unbeschränkter Einsicht in Unternehmensbestände.

Um dies auch anderen Unternehmen der Region Stuttgart zu ermöglichen, wurde ein Lehrstuhl für Unternehmensgeschichte an der Universität Stuttgart eingerichtet. Auch wenn das dortige Archiv noch vor Kriegsende fast vollständig verbrannte, konnte 2017 eine umfassende Darstellung auch der eigenen Verantwortung und Verstrickung vorgelegt werden, deren Veröffentlich der Anlass einer Bitte um Entschuldigung war, die der damalige Rektor Ressel (seinerzeit auch Vorsitzender des Hochschul- und Wissenschaftsregion Stuttgart e.V.) an die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Stuttgart aussprach und damit zeigte: Eine unpolitische Wissenschaft gibt es ebenso wenig wie eine unpolitische Wirtschaft.

Der damaligen Technischen Hochschule folgte auch die damalige Landwirtschaftliche Hochschule mit einem Projekt zur Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Folgen an der Universität Hohenheim 2018 unter dem Titel „Erschreckend einwandfrei“. Von Zwangsarbeit über Entnazifizierung hin zu Erinnerungspunkten auf dem Campus und einer Videodokumentation auf der Website wurde die eigene Geschichte umfassend und unabhängig öffentlich dargelegt.

Mit dem Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg ist an der Universität Hohenheim auch eine Anlaufstelle verortet, die Unternehmen die sachgerechte Aufbewahrung eigener Nachlässe ebenso garantiert wie die Möglichkeit der fachgerechten Aufarbeitung durch Forschende. Denn Hemmnisse einer noch umfassenderen Erforschung der historischen Verantwortung der regionalen Wirtschaft sind neben fehlendem öffentlichem und akademischem Interesse auch oft fehlende öffentlich zugängliche und akademisch aufbereitete Zeugnisse der Jahre 1933 bis 1945.

Im Bundesarchiv findet sich die Dokumentation der vielleicht bekanntesten Unternehmensgeschichte aus dieser Zeit: Über biografische Umwege fand ein Koffer mit einem Original von „Schindlers Liste“ von Stuttgart den Weg dorthin und weiter nach Yad Vashem.

„Die Gedenkstätte dankte dem Bundesarchiv für seine Arbeit und übersandte ihm einen der Original-Durchschläge von ‚Schindlers Liste‘, bestehend aus 19 Seiten mit den Namen der von Schindler geretteten Männer und Frauen.“

Auch damals noch kleinere Familienunternehmen aus der Region Stuttgart wie Ritter (dessen Gründer nach dem Weltkrieg von den Alliierten als Bürgermeister von Waldenbuch eingesetzt wurde), Kärcher (das sich bis heute im Rahmen seines Kultursponsorings auch der Denkmalpflege verschrieben hat) und Trumpf verweisen in Festschriften zwar auf Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft, konnten diesen Teil der Unternehmensgeschichte bisher noch nicht umfassend aufbereiten.

Als vorbildhaft dient ein Beispiel, dem noch viele Unternehmen folgen sollten, die seit Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ im Jahr 2000 beigetreten sind und sich zur gemeinschaftlichen Entschädigung bekannten.

„Auf persönlichen Wunsch von Berthold Leibinger tritt Trumpf im Dezember 1999 der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘ bei. Diese leistet ihren Beitrag zur finanziellen Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter.“

Diese Übersicht von Unternehmen, die sich bereits mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt haben, hilft dabei, die Verantwortung der Wirtschaft als auch Wege, ihr gerecht zu werden, aufzuzeigen. Der Verband Region Stuttgart hat entsprechende Stimmen für Demokratie und Vielfalt gesammelt und verschafft ihnen hier Gehör.