Der Ideenfabrikant

Ulrich Dietz hat klein angefangen. Mit 17 gründete er als Maschinenschlosser seine erste Firma. Jetzt ist er 56 und Vorstandsvorsitzender des globalen IT-Unternehmens GFT Group, das 3.100 Mitarbeiter beschäftigt. Porträt eines latent Neugierigen.

© Bild : GFT Ulrich-Dietz (Foto: GFT)

Das Kinn auf die Faust gestützt, wirkt er ein bisschen wie „Der Denker“ des Bildhauers Auguste Rodin. Ulrich Dietz sitzt in seinem Büro, das er bald für ein neues verlassen wird. Auch so eine Idee von ihm. Dietz ist groß in Ideen. Er kann nicht genug davon bekommen.

„Ich bin neugierig darauf, wie Dinge gehen können, auf die noch keiner gekommen ist“, sagt er. „Das macht mir am meisten Spaß.“ Das geht schon länger so bei Ulrich Dietz, der ein „grottenschlechter“ Schüler war, weil ihn die Welt jenseits des Klassenzimmers brennend lockte. Mit 14 reparierte er Motorräder und machte damit ein paar Mark. Mit 17 gründete er als Maschinenbaulehrling seine erste Firma. Er hatte gemerkt, dass ihm ein gewisses Talent für technische Zeichnungen gegeben war. Er bot seine Dienstleistung an und hatte bald so viele Aufträge, dass er selbst welche vergeben konnte. Nebenbei borgte er sich bei der Oma ein bisschen Geld und kaufte eine Kopiermaschine, was den Umsatz des Jungunternehmers kräftig erhöhte.

Viele würden sich vermutlich einrichten in einer solchen Geschäftsidee. Dietz ist da anders. Er ist ein Entdecker, der sich jenseits der ausgetretenen Pfade bewegt, ein Gehender, dem sich der Weg unter die Füße schiebt. Statt sich als Zeichner zu verdingen oder in Pforzheim den elterlichen Schmuckbetrieb zu übernehmen, holte er auf der Abendschule das Abitur nach, studierte Maschinenbau in Reutlingen und heuerte für ein paar Monate bei seinem Patenonkel Berthold Leibinger an, dem Patron des Maschinenbauers Trumpf. Der gab ihm den Rat, beharrlich den Horizont zu weiten. Dietz hielt sich daran und hängte noch ein Studium an: Product Engeneering in Furtwangen. Dort gründete der Diplom- Ingenieur 1985 mit Absolventen ein Institut für Softwareentwicklung. Zwei Jahre später ging daraus das IT-Unternehmen GFT hervor.

„Vielleicht ist das ein wenig genetisch bedingt“, sagt Dietz über seine Neigung, sich auf ungewohntes Terrain zu wagen, an eine Vision zu glauben und sich dem Markt zu stellen. Sein Großvater hat schon vor dem Ersten Weltkrieg Schmuck in Italien produziert, was damals ziemlich revolutionär war. Der Enkel ist ähnlich veranlagt. Das hat ihn weit gebracht. Dietz verwandelte die anfangs drei Mitarbeiter zählende Softwarebude aus dem Schwarzwald in ein börsennotiertes globales Unternehmen, das Lösungen für Banken und Versicherungen entwickelt, neue Geschäftsfelder erschließt und Anwendungen für den Finanzsektor anbietet. Zu den Kunden gehören nahezu alle großen Banken in Europa, die Post oder auch der Maschinenbauer Trumpf. Die GFT Technologies AG musste gerade erst wieder per Ad-hoc-Mitteilung die Prognose für das laufende Jahr erhöhen und erwartet nun für 2014 einen Umsatz von 360 Millionen Euro. Die Gruppe beschäftigt derzeit 3.100 feste Mitarbeiter in elf Ländern.

„Gute Leute ziehen gute Leute an“, erklärt Dietz den Aufstieg der Firma, deren Chef von der Neugier getrieben wird wie der Teig von der Hefe. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass vor allem Baden-Württemberg auf den nachwachsenden Rohstoff der Ideen setzen muss, um weiter vorne zu bleiben. „Dieses Land braucht mehr Visionen“, sagt er. „Wir managen zu viel vor uns hin.“ Dietz wirkt bei solchen Sätzen an seinem Schreibtisch wie ein in sich ruhender Prophet, dem das Alter nur wenig anhaben kann, weil er sich jung hält durch Exkursionen in Gegenden, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Auf seinen Reisen hat er viele Menschen getroffen, die seinen Horizont geweitet haben, vor allem auch Künstler, solche, die gerne querdenken. Die mag er. Weniger gern hat er Bedenkenträger, solche, die an lähmenden Gewohnheiten festhalten, die lieber zurückblicken als nach vorne und alles Neue madig machen. Dietz hält als Artenschutzbeauftragter für Ideen dagegen. „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.“ Dieser Satz könnte von ihm stammen. Tut er aber nicht. Albert Einstein hat ihn geprägt.

Wie kein anderer setzt sich Dietz für eine neue, vernetzte Entdeckerkultur ein, die in geschützten Biotopen gedeihen kann. Vor diesem Hintergrund zieht die Firma von ihrem bisherigen Domizil in Stuttgart-Plieningen demnächst in ein Bürohaus, gelegen im Stuttgarter Fasanenhof, in dem neben den Büros für die eigenen Mitarbeiter auch 2.000 Quadratmeter für junge kreative Firmen reserviert werden, die Ideen rund um das Thema Mobilität entwickeln. Für ein Jahr dürfen die ausgewählten Gründer in dem deutschlandweit einzigartigen Innovationscampus nicht nur kostenlos Büroräume nutzen, sondern auch das Know-how der IT-Profis von GFT, die seit 2011 jedes Jahr auch einen internationalen IT-Innovationswettbewerb namens Code-n veranstalten. n steht für new. Gesucht werden, man ahnt es, viel versprechende Technologien, die in der Lage sind, den Markt zu revolutionieren. So manche Idee hat bereits Flügel bekommen und wurde von renommierten Firmen gekauft oder hat namhafte Partner gefunden.

In Zeiten, in denen der Quartalsbericht zur Firmenbibel wird und der Umsatz den Grundsatz verdrängt, ist eine solche Privatinitiative durchaus ein mutiger Schritt von einem mittelständischen Unternehmen, der freilich so ganz uneigennützig auch nicht ist. „Wir haben davon eine intellektuelle Rendite“, sagt Dietz. Die Firmengründer sollen nicht nur die GFT-Leute inspirieren, sondern auch den Kunden des Unternehmens bei Innovationsworkshops die Augen öffnen. Und wenn es eine allzu prickelnde Idee ist, kann sich der Firmenchef durchaus auch vorstellen, dass sich das Unternehmen daran beteiligt. „Man wird nicht dümmer, wenn man mit solchen Start-ups zusammen ist“, sagt Dietz, der sich noch gut an die Zeit erinnern kann, als er selbst ein Gründer war und mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg im Technologiezentrum von Sankt Georgen seine ersten Pläne geschmiedet hat.

Auf dem Schreibtisch liegt ein silbernes Buch. „The new New“. Ulrich Dietz hat es herausgegeben. Für das Werk hat er 18 Vorreiter besucht, die etwas zur Zukunft des Neuen beitragen. Physiker, Architekten, Forscher, Designer, Künstler. „Zahllose Menschen grübeln, tüfteln, basteln, forschen derzeit, um die Gegenwart mitzugestalten“, heißt es in dem 200 Seiten starken Band. „Ihr kostbarster Reichtum sind ihre Ideen, Netzwerke und Plattformen ihre Ideenbörsen. Aus diesem grenzenlosen Potenzial entsteht der Rock ’n‘ Roll unserer Zukunft.“

Der Ideenfabrikant blickt auf seine Uhr. Draußen wartet die Sekretärin mit Arbeit. Dietz hat noch einiges vor, fühlt sich nicht zu alt für das Neue, für die Choreografie der Entdeckung, die sich längst auch in die nächste Generation fortpflanzt. Neulich hat sein ältester Sohn, gerade 15, eine App entwickelt. Vielleicht kultiviert auch er das unabhängige Denken, das für große Ideen wie das Backpulver für den Kuchen ist. „Als Unternehmer im IT-Bereich beschäftige ich mich von Berufs wegen ständig mit neuen Technologien, Produkten und Märkten“, sagt Dietz. „Um global wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir permanent Neues finden und erfinden.“ Für einen Moment schaut er auf die Pinnwand vor dem Schreibtisch. Dort hängt ein Spruch des Künstlers Martin Kippenberger, den er mag: „Heute denken, morgen fertig!“

 

Text: Michael Ohnewald

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.