Der Entwickler

Mit zwölf hat er seinen ersten Computer gekauft, mit 15 sein erstes Programm geschrieben. Jetzt ist Frank Frauenhoffer 46 und arbeitet an der Software für ein millionenschweres EU-Forschungsprojekt, bei dem sich Mensch und Roboter einen Job teilen.

© Michael Ohnewald Frank Frauenhoffer (Foto: Michael Ohnewald)
Frank Frauenhoffer (Foto: Michael Ohnewald)

Das Büro liefert nichts Brauchbares über den Mann, der es leitet. Ein paar Tische, ein paar Rechner. So beginnen manchmal große Geschichten. Im Silicon Valley, wo die Mythen im Wüstensand blühen, haben David Packard und William Hewlett mit einem Startkapital von 538 Dollar in einer Garage angefangen. Nicht weit entfernt startete auch ein gewisser Steve Jobs, der keinen Uniabschluss hatte, dafür aber eine Vision. Heute prägen seine Smartphones und Rechner die digitale Moderne.

Die Handwerkstraße in Stuttgart-Vaihingen ist nicht die Addison Avenue in Palo Alto, aber zumindest gedanklich ist man gar nicht so weit entfernt. Frank Frauenhoffer will in seiner kleinen Softwareschmiede Produkte schaffen, mit denen sich die Welt verändern lässt. Im Silicon Valley gilt dieses Credo nicht minder als moralischer Anspruch, wenngleich hier wie dort die Gesetze eines unerbittlichen Marktes gelten, die aus Adlern schnell mal Suppenhühner machen.

Es ist einer dieser Tage, an denen das Licht über der Stadt immer gleich ist, grau und kalt. Flugsand der benachbarten Baufirma trüben den Fensterblick auf eine verwaiste Pferdekoppel, nicht aber die Stimmung. Frank Frauenhoffer sitzt an seinem Schreibtisch vor einem Wasserglas, das halb voll ist. Er ist happy mit seiner neuen Firma Amorph Systems, weil er jetzt wieder tut, was er immer tun wollte. Unlängst haben sie die Zusage für ein gefördertes europäisches Verbundprojekt bekommen, um die Steuerungssoftware für einen Roboter zu entwickeln, der am Fließband zum Kollegen des Arbeiters werden soll. 265.000 Euro an Förderung hat seine Firma dabei über das EU-Rahmenprogramm Horizon 2020 erhalten, das in den nächsten fünf Jahren rund 80 Milliarden Euro in die Forschung pumpt.

Der schwäbische Ingenieur arbeitet mit 14 ausländischen Partnern zusammen, der Austausch findet meist über Telefonkonferenzen statt. Deutsche, Spanier, Finnen, Ungarn, Schweden, Österreicher und Griechen feilen gemeinsam an einer Idee, aus der am Ende ein zukunftsweisendes Produkt entstehen soll. „Das Schöne ist, dass es bei diesem Projekt nicht darum geht, den Menschen aus der Produktionskette zu drängen, sondern darum, ihm einen Roboter an die Seite zu stellen, der die Monotonie der Montageprozesse aufbricht und flexibel gesteuert werden kann“, erzählt Frauenhoffer, der für solche Visionen brennt.

Dem Ziel, die Produktion in Firmen zu verbessern, hat er sich schon länger verschrieben. Mit zwölf hatte der gebürtige Göppinger seinen ersten Rechner bekommen, auf den er lange eisern gespart hatte. Texas Instruments, Modell 99 – damit hat er angefangen und wenig später als Autodidakt für das Stuckateurgeschäft des Großvaters eine kaufmännische Software entwickelt, mit der man Angebote schreiben, Aufmaße erstellen und Rechnungen ausdrucken konnte. Mehr als 15 Jahre lang tat das Erstlingswerk des Enkels gute Dienste in Opas Firma.

Später hat er auf dem Technischen Gymnasium mit größeren Rechnern hantiert, eine Steuerung für Märklin- Eisenbahnen programmiert und nebenbei auch bei Drees & Sommer in die Tasten gehauen, wo der Vater als Ingenieur arbeitete. Der Sohn hatte noch kein Abitur, war aber schon Software-Entwickler in Teilzeit. Frauenhoffer studierte Elektrotechnik mit Schwerpunkt Technische Informatik an der Uni Stuttgart. Als frischgebackener Diplom-Ingenieur heuerte er Mitte der 1990er-Jahre bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Stuttgart an, wo er sich mit der Mikrochip- und Elektronik-Fertigung beschäftigte und schließlich promovierte. Mit Kollegen arbeitete er an einer Plattform für Planung und Steuerung automatisierter Produktionen. Man kann sich das vorstellen wie beim Softwarehersteller SAP, der mit der Rundumversorgung bei Geschäftsanwendungen groß wurde. Alles aus einer Hand, adaptiert an die Bedürfnisse des Kunden und seiner Fabrikation.

Der Ingenieur kam viel in der Welt herum und reiste unter anderem immer wieder nach Asien, um die Weichen für die vollautomatische Fabrik zu stellen, die damals in aller Forschermunde war. Auf einer Messe in Singapur wurde ihm bewusst, dass sein Name einen guten Klang hat. Eher beiläufig überreichte er einem Kollegen seine Visitenkarte. Plötzlich wurde er in einen edlen Raum gebeten und alle verneigten sich vor ihm. Es dauerte eine Weile, bis Frauenhoffer klarstellen konnte, dass er nicht der Chef der Fraunhofer-Gesellschaft sei, der größten Organisation für anwendungsorientierte Forschung in Europa, sondern nur ein einfacher Angestellter mit einem sehr ähnlich lautenden Nachnamen.

Nach sieben Jahren machte sich der Softwarespezialist mit einigen Kollegen als Ausgründung der Fraunhofer- Gesellschaft selbstständig. acp-IT, wie die Firma hieß, blieb der Vision der Plattform treu, verdiente aber auch mit der Beratung von Unternehmen gutes Geld. Nach drei Jahren war aus fünf Gründungsgesellschaftern ein Team aus 20 Mitarbeitern gewachsen. Neben Stuttgart wurden Standorte in Dresden, Villach und in Timisoara, der zweitgrößten Stadt Rumäniens, eröffnet. Sie verkauften Lizenzen, spezialisierten sich auf Fotovoltaiksowie Halbleiter-Firmen und stockten die Belegschaft auf 95 Mitarbeiter auf.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er damals Nein zu diesem Großauftrag in Brasilien gesagt hätte, bei dem es um die Produktion einer gewaltigen Chipfabrik ging. Frauenhoffer wollte alles richtig machen, aber es ist in seiner Branche ein bisschen wie in den Nachrichtensendungen, bei denen der Sprecher die News verkündet, während unten bereits auf einem kleinen Streifen die noch aktuellere Wirklichkeit vorbeizieht. Die Fotovoltaik in Deutschland ging rasant zugrunde und gleichzeitig der Investor der Chipfabrik über Nacht pleite. „Das hat uns das Genick gebrochen“, sagt Frauenhoffer im Rückblick. acp-IT musste im Herbst 2013 Insolvenz anmelden.

„Das war eine schlimme Zeit in meinem Leben“, sagt er. „Das kann jetzt nicht das Ende sein“, sagten einige Kollegen – und richteten ihn auf. Mit ihnen gründete er noch in der Insolvenz die Amorph Systems GmbH, deren Geschäftsführer er ist. „Wir sind ein kleines Team, das eisern zusammenhält“, sagt der Vater von zwei Töchtern. Frauenhoffer war jetzt nicht mehr Manager und Verwalter, sondern konnte sich als Gestalter dem operativen Geschäft zuwenden und selbst wieder an Software arbeiten und Industriekunden bei der Einführung moderner Informationssysteme beraten. Alte Kontakte lebten auf. „Netzwerken ist ganz wichtig“, sagt er.

Sie kämpften sich langsam zurück, ohne Bankkredit, aber mit festem Glauben an sich und die eigenen Produkte. Mittlerweile stehen wieder 27 Mitarbeiter auf der Lohnliste und zu den Kunden gehören Unternehmen wie Audi oder ZF in Friedrichshafen. Auch für den Frankfurter Großflughafen lieferten die Stuttgarter ein IT-System, das zuverlässig den Passagierfluss errechnet und vorhersagt, wie lange die Wartezeiten an einzelnen Abfertigungsschaltern innerhalb des Flughafens sein werden.

Wie lange die eigene Warteschleife ist, bis die ganz große Idee zum Verkaufsschlager wird, weiß Frank Frauenhoffer nicht. Dafür gibt es keine Software, nur die Hoffnung, dass es irgendwann mal klappt mit dem großen Wurf. Was im Silicon Valley möglich ist, kann auch in Stuttgart-Vaihingen oder anderswo in Europa gelingen. Das Robotik-Projekt ist jedenfalls ein vielversprechender Schritt. Anderthalb Jahre lang hat er sich darum bemüht. „Das ist gelebtes Europa“, schwärmt Frank Frauenhoffer. „Wer sonst könnte so viele Spezialisten aus verschiedenen Nationen zusammenbringen?“

Text: Michael Ohnewald

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.