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Digithoughts – Harald Grumser von der Compart AG
„Künstliche Intelligenz braucht Augen und Ohren“ ... mehr In der Region Stuttgart dreht sich nicht alles nur um Autos. Die IT-Industrie ist auf dem Vormarsch. In unserer Video-Reihe "Digithoughts" stellen wir sieben Menschen aus der Region vor, die in der IT-Branche arbeiten. Persönliche Gedanken zur digitalen Zukunft und zum IT-Standort Region Stuttgart inklusive. In dieser Folge geht es um Harald Grumser, Gründer und CEO von der Compart AG. compart.com
Digithoughts - Hans-Ulrich Schmid vom Softwarezentrum Böblingen Sindelfingen
"Was jetzt ansteht, ist das Zusammenbringen von IT und Industrie" ... mehr In der Region Stuttgart dreht sich nicht alles nur um Autos. Die IT-Industrie ist auf dem Vormarsch. In unserer Video-Reihe "Digithoughts" stellen wir sieben Menschen aus der Region vor, die in der IT-Branche arbeiten. Persönliche Gedanken zur digitalen Zukunft und zum IT-Standort Region Stuttgart inklusive. In dieser Folge geht es um Hans-Ulrich Schmid vom Softwarezentrum Böblingen Sindelfingen. softwarezentrum.de
Digithoughts - Prof. Michael Resch vom Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart
"Wir haben zur Zeit in Deutschland so etwas wie einen digitalen Analphabetismus" ... mehr In der Region Stuttgart dreht sich nicht alles nur um Autos. Die IT-Industrie ist auf dem Vormarsch. In unserer Video-Reihe "Digithoughts" stellen wir sieben Menschen aus der Region vor, die in der IT-Branche arbeiten. Persönliche Gedanken zur digitalen Zukunft und zum IT-Standort Region Stuttgart inklusive. In dieser Folge geht es um Prof. Michael Resch vom Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart. uni-stuttgart.de
Digithoughts - Eberhard Frank von Amplify Design
"Maschinenoptimierung zum Gelingen des Menschseins" ... mehr In der Region Stuttgart dreht sich nicht alles nur um Autos. Die IT-Industrie ist auf dem Vormarsch. In unserer Video-Reihe "Digithoughts" stellen wir sieben Menschen aus der Region vor, die in der IT-Branche arbeiten. Persönliche Gedanken zur digitalen Zukunft und zum IT-Standort Region Stuttgart inklusive. In dieser Folge geht es um Eberhard Frank von Amplify Design in Stuttgart. amplifydesign.eu
#Wandel: Tanja Brändle
Die Mitinhaberin der Kfz-Mehrmarkenwerkstatt B+L AutoService und PflegeCenter GmbH in Stuttgart über den Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Der Wandel an meinem Arbeitsplatz ist ... mehr Die Mitinhaberin der Kfz-Mehrmarkenwerkstatt B+L AutoService und PflegeCenter GmbH in Stuttgart über den Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Der Wandel an meinem Arbeitsplatz ist eigentlich in einem Satz erklärt: Ohne Computer geht nichts mehr. Ohne Auslesegeräte ist man heutzutage aufgeschmissen. Für eine ordentliche Diagnostik muss man bei neueren Autos den Fehlerspeicher auslesen. Man könnte zwar den Motorraum öffnen und hineinschauen, aber man würde kaum etwas sehen. Bei vielen Modellen ist da nur eine blanke Platte. Man hat also gar keine Chance ohne die passende Technik. Dabei darf man aber nicht glauben, dass das Lesegerät direkt ausspuckt, was defekt ist. Es liefert nur eine Richtung. Für das Reparieren, den Kundenservice und die kundenfreundlichste Diagnose ist der Mensch nach wie vor unabdingbar.“ Tanja Brändle leitet zusammen mit ihrem Mann Mario die 2003 gegründete Autowerkstatt B+L im Stuttgarter Westen. Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
#Wandel: Dragan Ambrozi
Der Fahrer eines Elektro-Hybrid-Busses in Esslingen über den Wandel an seinem Arbeitsplatz: „Für mich als Fahrer hat sich im Elektrobus eigentlich nur das Fahrgefühl verändert. ... mehr Der Fahrer eines Elektro-Hybrid-Busses in Esslingen über den Wandel an seinem Arbeitsplatz: „Für mich als Fahrer hat sich im Elektrobus eigentlich nur das Fahrgefühl verändert. Vorne habe ich immer noch genau dieselben Knöpfe und Bedienelemente. Das Anfahren ist jetzt aber viel sanfter und es gibt kein Schalten mehr. Alles ganz ruckelfrei und gleitend. Das ist genial und vor allem für ältere Fahrgäste toll. Die Stimmung unter den Fahrgästen hat sich aber geändert. Die Leute sind heute hektischer. Sie müssen schneller und pünktlicher irgendwo sein. Ihre Tagesabläufe sind enger getaktet. Da fallen dann schon zwei Minuten Verspätung ins Gewicht. Gleichzeitig sind viel mehr Autos auf der Straße. Das widerspricht sich natürlich. Die meisten Fahrgäste schauen heute nicht mehr hoch, wenn sie einsteigen. Alle gucken auf ihr Smartphone. Früher sagte man beim Einsteigen „Guten Morgen“. Das hat sich total verändert. Wir haben jetzt USB-Ladestationen für die Handys im Bus.“ Dragan Ambrozi ist Busfahrer beim Städtischen Verkehrsbetrieb Esslingen. Sein Elektro-Hybrid-Bus kann mit Oberleitung und im reinen Batteriebetrieb fahren. Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
#Wandel: René Losert
Der Mitarbeiter in der Fertigung bei der Hema Maschinenbau GmbH in Frickenhausen über den Wandel an seinem Arbeitsplatz: „Bei meiner praktischen Arbeit hat sich nichts verändert ... mehr Der Mitarbeiter in der Fertigung bei der Hema Maschinenbau GmbH in Frickenhausen über den Wandel an seinem Arbeitsplatz: „Bei meiner praktischen Arbeit hat sich nichts verändert und es wird sich wohl auch so bald nichts ändern. Die Einzelteilfertigung läuft nach wie vor ohne Automatisierung und Roboter ab. Denn bis man so einen Ablauf einprogrammiert hat, hat man das Werkstück längst von Hand gefräst. Automatisierte Vorgänge lohnen sich erst, wenn es ein paar Hundert Objekte sind, die genau gleich sein sollen. Was sich aber bei uns gewandelt hat, ist die hierarchische Struktur in unserer Firma. Das wurde vor gut drei Jahren verändert. Wir arbeiten jetzt in kleinen Teams und mit viel Eigenverantwortung. Früher gab es einen Meister, der den Einkauf regelte und uns sagte, was wir zu tun haben. Heute organisieren wir das alles selber. Das spart oft Zeit, weil jeder in seinem Fachbereich den besten Überblick hat.“ Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
#Wandel: Thomas Haumann
Der Ideenmanager der Landesbank Baden-Württemberg zum Wandel an seinem Arbeitsplatz: „Wandel macht mir keine Angst. Das liegt daran, dass ich ihn peu à peu miterleben kann. Mir ... mehr Der Ideenmanager der Landesbank Baden-Württemberg zum Wandel an seinem Arbeitsplatz: „Wandel macht mir keine Angst. Das liegt daran, dass ich ihn peu à peu miterleben kann. Mir wird nicht einfach irgendwas Neues hingestellt und dann soll ich damit umgehen, vielmehr gestalte ich selbst den Wandel mit. Allerdings erlebe ich bei manchen Mitarbeitern dieses Gefühl – daher ist es wichtig, Veränderungen Schritt für Schritt weiterzugeben und damit auch Begeisterung für neue Wege zu schaffen. Digitalisierung ist in meinem Beruf ein sehr großes Thema. Trotzdem brauche ich für mich selbst noch Papier. Ein Buch oder ein Konzept lese ich lieber auf Papier. So kann ich es auch als Arbeitspapier nutzen und Notizen machen. Andere mögen es vielleicht nur digital. Ich denke das ist auch abhängig von dem Inhalt und der Situation. Ich bin seit zwanzig Jahren Ideenmanager bei der LBBW. Früher gab es diesen Posten in vielen Unternehmen gar nicht. Heute werden immer öfter Stellen im Ideenmanagement geschaffen, wo es noch keine gab, und die bestehenden ausgebaut. Es ist schön zu sehen, dass man nicht überflüssig wird, sondern ganz im Gegenteil, mit den eigenen Ideen auch mit den Wandel begleiten kann". Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
Der unerwartete Helfer
Heiner Scholz ist gesegnet mit dem Gespür für gute Ideen. Mit acht hat er Tintenfische vermarktet, jetzt ist er 40 und revolutioniert das Arbeiten. „Wer andere voranbringen will“, ... mehr Ein paar Schönwetterwolken verlieren sich über dem Flugfeld in Böblingen. Ein guter Ort, um Ideen fliegen zulassen. „Hier lebst du deine Arbeit“, heißt es auf einem kleinen Schild neben einer langen Theke, auf der frisches Obst auf die Belegschaft der Dexina GmbH wartet. Es gibt eine Kaffeemaschine, die keine Wünsche übrig lässt, und daneben ein Schneidebrett mit frischem Ingwer, dazu Zitronen für den Tee, einen Elefanten, in dem man ungestört ein Nickerchen machen kann, und ein Kinderbüro, in dem Erwachsene die Wände vollkritzeln. Und als wäre das alles nicht schon genug, steht da auch noch dieser Typ in verwaschenen Jeans und blauen Turnschuhen, lugt vertrauensvoll durch seine Randlosbrille und erklärt einem die Welt, jedenfalls die von morgen. Es gibt Menschen, die sich Sorgen machen, wenn sie an den Wandel denken, an veränderte Mobilität, an das Wohnen und Arbeiten der Zukunft. Scholz ist da ein bisschen anders. Wenn die Lust aufs Neue ein Gesicht hat, dann gehört es ihm. Früher hat er sich steife Krawatten um den Hals geschnürt. Damals hat er gerne in Umsätzen gedacht, heute sind ihm die Grundsätze näher, zu denen er Smart Casual trägt. Das passt besser zur neuen Kultur des Arbeitens, die er jetzt vermarktet, wobei das so eigentlich gar nicht geplant war. Bei Nonkonformisten passieren eben öfter mal unvorhergesehene Dinge. Vielleicht lehnt er deshalb so locker an der Theke mit dem Behagen eines Mannes, der sich verwöhnt weiß von der Gunst der Stunde, die sich manchem offenbart, aber nicht von jedem erkannt wird. „Ich habe das nie gemacht, um einen Porsche zufahren, sondern um etwas zu schaffen und um Freude zu haben“ Das Gespür für gute Ideen und kommende Märkte hat er schon länger. Das erste Mal wurde ihm dies bewusst, als er mit seinen Eltern in Spanien urlaubte. Er war acht, sie hatten nicht viel, und er saß auf einem schmalen Handtuch und beobachtete kleine Iberer, die ins Meer tauchten, um zum Spaß Tintenfische zu jagen und sie danach wieder ins Wasser zu werfen. Da regte sich der Jungunternehmer in ihm und also lief er mit den Burschen zum nächsten Restaurant und brachte dem Koch den noch an der Harpune zappelnden Tintenfisch, woraufhin dieser seine halbwüchsigen Lieferanten mit Eis entlohnte. Es waren noch zwei Wochen Urlaub und irgendwann gab es Pesetas für die Fische und am Ende konnte er sich selbst eine Harpune samt Maske und Flossen kaufen. Das hat man in den Genen oder man hat es nicht. Ansonsten hatte der Heiner schulisch betrachtet eher durchschnittliche Gene. Er quälte sich durch die ersten zehn Klassen, ging für ein Jahr nach Amerika, wo man ihm in Mathematik eine besondere Begabung attestierte, die für Harvard gereicht hätte. Er kehrte gestärkt zurück, machte das Abitur und verlegte sich alsbald auf das, was er am besten konnte: Geschäftsideen fliegen lassen. Scholz schenkte sich das Studium und gründete lieber erste Firmen. Eher zufällig landete er bei einem britischen Headhunter, der Führungspersonal für IT-Firmen rekrutierte. Mit diesem Know-how gründete er 2006 gemeinsam mit einem Partner im heimischen Warmbronn die Dexina. „Das steht für Deus ex Machina“, erzählt Scholz, „für die im richtigen Moment auftauchenden, unerwarteten Helfer.“ „Wir haben für uns das Richtige getan und plötzlich gemerkt, dass auch andere so etwas wollen“ Zumindest den richtigen Moment hatten die Firmengründer erwischt. Als Projektmanager und IT-Spezialisten erzielten sie im ersten Jahr einen Umsatz von 350.000 Euro, im dritten Jahr waren es bereits 5,2 Millionen. Das Unternehmen wuchs, hatte zeitweise mehr als 100 feste und freie Mitarbeiter, Aufträge von Firmen wie Daimler, Audi, Würth oder Lidl. „Wir gehörten zu den Top Ten der deutschen Projektmanagement-Beratungsfirmen“, sagt Scholz, der sich dabei stets die innere Freiheit zu bewahren suchte. „Ich habe das nie gemacht, um einen Porsche zu fahren, sondern um etwas zu schaffen und um Freude zu haben.“ Weil sie in Warmbronn aus allen Nähten platzte, mietete sich die Dexina GmbH auf dem Flugfeld in Böblingen ein. Scholz wollte einen Platz schaffen, der auch Raum bieten sollte für das, „was anderswo zu Hause bleiben muss“. Er richtete viele individuelle Ecken ein: Plätze zum Denken, um Neues erschaffen zu können und Nischen, um auszuruhen und aufzutanken. Auch ein Kinderbüro wurde geschaffen, damit die Eltern nicht unter Stress kommen, wenn in der Kita mal wieder pädagogischer Tag ist. Das Team stellte fest, dass man auch zwischen spielenden Kindern denken kann und dass dies manchmal sogar inspirierend ist. Sie merkten, dass die Haptik aufgebürsteter Eichentische weit mehr die Kreativität beflügelt als die austauschbare Glätte des Furniertischs. Sie beschleunigten ihre Prozesse, indem sie alles verbannten, was Kommunikation erschwert. Flipcharts bekamen Hausverbot. Alle Wände können direkt beschriftet und gewischt werden. „Wir haben für uns das Richtige getan und plötzlich gemerkt, dass auch andere so etwas wollen“, sagt Scholz. Er hatte zwei Unternehmern, für die er zuvor als Projektmanager tätig war, die neuen Räume gezeigt. Zwei Stunden nach der Führung klingelte das Telefon. „Wir haben gerade unseren Firmenneubau gestoppt“, sagten die Chefs. Wie aus dem Nichts hatte Scholz den ersten Auftrag, sein neues Konzept auch außerhalb der eigenen Wände zu verwirklichen. Wie einst bei den Tintenfischen griff er zu. Das Projektmanagement der Dexina, das ohnehin nicht mehr so gefragt war, wurde zurückgefahren, der IT-Geschäftsbereich verkauft. Mit einem kleinen Team fing Scholz neu an. Seitdem berät er Firmen, die sich in ihren Arbeitswelten neu einrichten wollen und bietet „shared space“ an, gemeinschaftlich nutzbare Büroräume, in denen sich Kreativität entfalten kann, weil Leben und Arbeiten verschmelzen. Firmen wie Daimler haben sich bei ihm eingemietet, um die Mobilität der Zukunft an einem Platz zu erkunden, in dem das Arbeiten der Zukunft wohnt. Scholz vermietet pro Mitarbeiter und Monat und stellt alles zur Verfügung, was der Kunde braucht: von der Ananas bis zum Kopierpapier, vom offenen Gruppenraum bis zur abgeschlossenen Denkerzelle. „Wir reden nicht von einem Wandel, wir reden lieber von Weiterentwicklung“, sagt der Selfmade-Unternehmer. Sich neu zu erfinden sei spannend, findet er, auch wenn die Revolution manchmal über Nacht komme wie beiden Digitalkameras, welche das analoge Fotografieren ersetzt und eine ganze Branche begraben haben. Damals hätten die Manager zu sehr in kurzfristiger Rendite gedacht und zu wenig in langfristiger Entwicklung, meint Scholz, der dazu rät, mutiger zu sein auf den Pfaden, die in keiner Landkarte verzeichnet sind. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran. Wohin seine Reise führt, kann er nicht mit Gewissheit sagen. Er weiß nur, dass er überzeugt ist und Lust darauf hat. Weil das so ist, denkt er längst wieder größer. In Stuttgart-Feuerbach plant er mit Investoren ein Coworking-Areal namens „Live at Stuttgart“. Auf 36.000 Quadratmetern sollen bis zu 2.000 Menschen zusammen arbeiten können. Es soll ein gutes Restaurant geben, ein Hotel, ein hübsches Kaminzimmer, Platz für Kunst, ein Fitness-Studio und auch ein Schwimmbad. „Ein Ort, der für immer ändert, wie wir arbeiten“, sagt Scholz. In Böblingen auf dem Flugfeld ist derweil alles noch eine Spur kleiner. Während neben der Theke in der Küche die Lasagne im Ofen bruzzelt und im Kinderbüro die Stifte an der Wand tanzen, malt der Hausherr dicke Linien auf ein kleines Papier und philosophiert über die Zunft der Seiltänzer. Er mag das. Wenn er von den Artisten redet, redet er irgendwie auch von sich. Heiner Scholz ist eine Art Seiltanzunternehmer im Zirkus des Alltags. Stets in Bewegung, um in der Balance zu sein. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
#Wandel: Laura Arnold
Die Auszubildende zur Verfahrensmechanikerin für Beschichtungstechnik bei der Daimler AG zum Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Wandel gehört bei uns in der Ausbildung fest dazu. Ich ... mehr Die Auszubildende zur Verfahrensmechanikerin für Beschichtungstechnik bei der Daimler AG zum Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Wandel gehört bei uns in der Ausbildung fest dazu. Ich bin mit all den neuen Techniken, wie Smartphone und Tablet, aufgewachsen. In der Ausbildung nutzen wir beispielsweise Virtual Paint: Da können wir lackieren und die Handhabung der Lackierpistole üben, ohne Lack zu verschwenden. Dabei müssen wir keine Schutzkleidung tragen, es ist viel umweltfreundlicher und wir sehen das Ergebnis sofort, zum Beispiel, wo ungleichmäßig lackiert wurde, und das nicht erst nach dem Trocknen. Mit den neuen Messgeräten, wie zum Beispiel dem Schichtdickenmessgerät oder dem Glanzgradmessgerät können wir selbstständig Qualitätsprüfungen durchführen. Wir arbeiten täglich daran, uns zu optimieren. Dadurch, dass alles digital abläuft, können auch sämtliche Daten an einem Ort festgehalten werden. Unsere Schulnoten, unsere Lernerfolgskontrollen im Unternehmen, alles kommt ins System. Das ist schon ziemlich praktisch.“ Laura Arnold ist im zweiten Lehrjahr Auszubildende im Werk Sindelfingen der Daimler AG. Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
#Wandel: Stefanie Schneider
Die Landessenderdirektorin Baden-Württemberg beim SWR über den Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Früher konnte man vor allem aus Erfahrungen schöpfen. Das geht heute auch noch, ... mehr Die Landessenderdirektorin Baden-Württemberg beim SWR über den Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Früher konnte man vor allem aus Erfahrungen schöpfen. Das geht heute auch noch, reicht aber nicht mehr. Ich muss als Journalistin heute zum Beispiel jede neue Social-Media-Plattform kennen und verstehen. Ich kann mich also nicht mehr einfach zurücklehnen, nur weil ich seit 30 Jahren in diesem Beruf tätig bin. Ich muss – genau wie alle anderen – immer schauen, dass ich Schritt halte. Die größte Herausforderung sehe ich dabei aber nicht im technischen Bereich, sondern darin, immer wieder erklären zu müssen, wer wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind, was wir tun und warum wir wichtig sind. Das Misstrauen gegenüber den Medien hat dramatisch zugenommen. Wir müssen daher auf die Leute zugehen. Wir müssen erklären, wieso wir wichtig sind und wie es bei uns tatsächlich abläuft – auch wenn wir 2.000 Mal das Gleiche sagen, bis es jeder verstanden hat. Da müssen wir einfach von unserem hohen Ross runterkommen. Normal miteinander reden hilft da schon weiter, mit verständlichen Worten und nicht mit großen, leeren Worthülsen. Natürlich löst auch das nicht alle Probleme, aber es ist ein wichtiger Schritt.“ Stefanie Schneider arbeitet seit 1991 beim Südwestrundfunk. Seit 2014 ist sie Landessenderdirektorin. Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
#Wandel: Ingrid Hecht-Hatzis
Die Inhaberin der Apotheke am Torturm in Winnenden über den Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Die Menschen bestellen heute eine Menge online – auch Arzneimittel. Großpackungen ... mehr Die Inhaberin der Apotheke am Torturm in Winnenden über den Wandel an ihrem Arbeitsplatz: „Die Menschen bestellen heute eine Menge online – auch Arzneimittel. Großpackungen vieler Medikamente bleiben bei uns inzwischen im Regal liegen. Wir sind eigentlich nur noch die Akutversorger. Man kommt zu uns, wenn man dringend etwas braucht oder beraten werden will. Das ist auch okay, aber die Frage ist, ob sich Apotheken so überhaupt halten können. Es wird zur Zeit ja diskutiert, ob es in Deutschland erlaubt werden soll, auch rezeptpflichtige Medikamente über das Internet zu vertreiben. Das bereitet mir Sorgen. Schließlich handeln wir nicht mit Büchern, T-Shirts oder Smartphones. Das tauscht man eben um, wenn es nicht gefällt oder kaputtgeht. Bei uns geht es um die Gesundheit. Daher gibt es ja auch all die Kontrollen. Man würde vielleicht kurzfristig sparen, aber das ist zu kurz gedacht. Ich hoffe, dass unsere Regierung das auch so sieht und den Onlinehandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten weiterhin untersagt. Die Bürokratie ist in den Apotheken mehr geworden und die Kontrollen. Die Hygiene- und Qualitätsstandards steigen immer weiter. Die Anforderungen sind höher als noch vor ein paar Jahren. Und dann gibt es bürokratische Kleinigkeiten, die viel Zeit kosten. Ob man da nun ein Komma oder einen Punkt macht auf dem Rezept, wenn man etwas ausfüllt und ob es dann noch von der Kasse erstattet wird – solche Fragen müssen wir uns stellen. Das frisst unnötig Zeit.“ Ingrid Hecht-Hatzis führt seit 1994 die Apotheke am Torturm in Winnenden Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
#Wandel: Dr. Bertram Kandziora
Der Vorstandsvorsitzende der Stihl AG in Waiblingen über den Wandel an seinem Arbeitsplatz: "Früher hatte ich in meinem Büro Aktenschränke bis unter die Decke, wie man das ... mehr Der Vorstandsvorsitzende der Stihl AG in Waiblingen über den Wandel an seinem Arbeitsplatz: "Früher hatte ich in meinem Büro Aktenschränke bis unter die Decke, wie man das halt so kennt. Heute funktioniert das alles papierfrei. Als ich aus dem alten Büro auszog, waren die Schränke schon beinahe leer und unbenutzt. Ich habe gesagt, dass ich nur zwei Umzugskartons ins neue Büro brauche. Am Ende war es bloß einer – plus meine Tasche mit Waldarbeitskleidung und Schutzausrüstung. Wenn man sich anschaut, was ich früher alles auf Reisen mitgenommen habe. Aktenordner, Notebook, Wecker, Diktiergerät, Kamera. Heute steckt das alles in einem Gerät. Mein Gepäck ist viel leichter geworden. Neben dem üblichen Reisegepäck habe ich nur iPad und Handy dabei. Auch die Ladegeräte sind weniger geworden, weil alles über USB geht. Man sagt ja immer, früher waren die Menschen Jäger und Sammler. Anstatt Tieren jagt der moderne Mensch nun Steckdosen und anstatt Beeren sammelt er Strom.“ Bertram Kandziora ist seit 2002 im Vorstand der Stihl AG, seit 2005 ist er Vorstandsvorsitzender. Dieser Text ist Teil unserer Serie #Wandel, die der Frage nachgeht, wie Menschen aus der Region Stuttgart die Veränderungen in der Wirtschaft durch Digitalisierung und neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz ganz persönlich erleben. Die Aufzeichnung des Zitats und das Foto stammen von der Journalistin und Fotografin Lena Reiner.
Pulsmacher
"Innovativ, akribisch, leidenschaftlich": So beschreiben Jochen Schroda und Jens Kenserski ihre Arbeit. Seit 1999 begleiten sie mit ihrer Agentur Pulsmacher von ... mehr "Innovativ, akribisch, leidenschaftlich": So beschreiben Jochen Schroda und Jens Kenserski ihre Arbeit. Seit 1999 begleiten sie mit ihrer Agentur Pulsmacher von Ludwigsburg aus Unternehmen europaweit bei der Markenkommunikation - von den ganz Großen wie Daimler und Unilever bis zu den "local heroes" wie MHP oder Stuttgarter Zeitung. Viele Preise zeugen vom Erfolg ihrer Arbeit, darunter der Red Dot Design Award und der ADAM & EVA Award für herausragende Marketingevents. Auch bei den Veranstaltungen zum Auftakt und zum Abschluss der IBA-Plattform Region Stuttgart sorgten Schroda, Kenserski und ihr Projektteam mit viel Herzblut und scharfem Blick für den richtigen Puls.
SOKO Stuttgart
Ein starkes Team: In der seit 2009 produzierten Krimiserie "SOKO Stuttgart" verkörpern Yve Burbach, Peter Ketnath, Karl Kranzkowski, Astrid M. Fünderich und Benjamin ... mehr Ein starkes Team: In der seit 2009 produzierten Krimiserie "SOKO Stuttgart" verkörpern Yve Burbach, Peter Ketnath, Karl Kranzkowski, Astrid M. Fünderich und Benjamin Strecker eine sympathische Fahndertruppe, die allen Verbrechern das Fürchten lehrt. Mit einem beachtlichen Marktanteil von teilweise über 20 Prozent ist das Team eine feste Größe in der SOKO-Familie. Die Serie verschafft dem deutschen TV-Publikum einen Eindruck vom Leben in und um Stuttgart und stärkt den regionalen Medienstandort.
Der Entwickler
Mit zwölf hat er seinen ersten Computer gekauft, mit 15 sein erstes Programm geschrieben. Jetzt ist Frank Frauenhoffer 46 und arbeitet an der Software für ein millionenschweres ... mehr Das Büro liefert nichts Brauchbares über den Mann, der es leitet. Ein paar Tische, ein paar Rechner. So beginnen manchmal große Geschichten. Im Silicon Valley, wo die Mythen im Wüstensand blühen, haben David Packard und William Hewlett mit einem Startkapital von 538 Dollar in einer Garage angefangen. Nicht weit entfernt startete auch ein gewisser Steve Jobs, der keinen Uniabschluss hatte, dafür aber eine Vision. Heute prägen seine Smartphones und Rechner die digitale Moderne. Die Handwerkstraße in Stuttgart-Vaihingen ist nicht die Addison Avenue in Palo Alto, aber zumindest gedanklich ist man gar nicht so weit entfernt. Frank Frauenhoffer will in seiner kleinen Softwareschmiede Produkte schaffen, mit denen sich die Welt verändern lässt. Im Silicon Valley gilt dieses Credo nicht minder als moralischer Anspruch, wenngleich hier wie dort die Gesetze eines unerbittlichen Marktes gelten, die aus Adlern schnell mal Suppenhühner machen. Es ist einer dieser Tage, an denen das Licht über der Stadt immer gleich ist, grau und kalt. Flugsand der benachbarten Baufirma trüben den Fensterblick auf eine verwaiste Pferdekoppel, nicht aber die Stimmung. Frank Frauenhoffer sitzt an seinem Schreibtisch vor einem Wasserglas, das halb voll ist. Er ist happy mit seiner neuen Firma Amorph Systems, weil er jetzt wieder tut, was er immer tun wollte. Unlängst haben sie die Zusage für ein gefördertes europäisches Verbundprojekt bekommen, um die Steuerungssoftware für einen Roboter zu entwickeln, der am Fließband zum Kollegen des Arbeiters werden soll. 265.000 Euro an Förderung hat seine Firma dabei über das EU-Rahmenprogramm Horizon 2020 erhalten, das in den nächsten fünf Jahren rund 80 Milliarden Euro in die Forschung pumpt. Der schwäbische Ingenieur arbeitet mit 14 ausländischen Partnern zusammen, der Austausch findet meist über Telefonkonferenzen statt. Deutsche, Spanier, Finnen, Ungarn, Schweden, Österreicher und Griechen feilen gemeinsam an einer Idee, aus der am Ende ein zukunftsweisendes Produkt entstehen soll. "Das Schöne ist, dass es bei diesem Projekt nicht darum geht, den Menschen aus der Produktionskette zu drängen, sondern darum, ihm einen Roboter an die Seite zu stellen, der die Monotonie der Montageprozesse aufbricht und flexibel gesteuert werden kann", erzählt Frauenhoffer, der für solche Visionen brennt. Dem Ziel, die Produktion in Firmen zu verbessern, hat er sich schon länger verschrieben. Mit zwölf hatte der gebürtige Göppinger seinen ersten Rechner bekommen, auf den er lange eisern gespart hatte. Texas Instruments, Modell 99 - damit hat er angefangen und wenig später als Autodidakt für das Stuckateurgeschäft des Großvaters eine kaufmännische Software entwickelt, mit der man Angebote schreiben, Aufmaße erstellen und Rechnungen ausdrucken konnte. Mehr als 15 Jahre lang tat das Erstlingswerk des Enkels gute Dienste in Opas Firma. Später hat er auf dem Technischen Gymnasium mit größeren Rechnern hantiert, eine Steuerung für Märklin- Eisenbahnen programmiert und nebenbei auch bei Drees & Sommer in die Tasten gehauen, wo der Vater als Ingenieur arbeitete. Der Sohn hatte noch kein Abitur, war aber schon Software-Entwickler in Teilzeit. Frauenhoffer studierte Elektrotechnik mit Schwerpunkt Technische Informatik an der Uni Stuttgart. Als frischgebackener Diplom-Ingenieur heuerte er Mitte der 1990er-Jahre bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Stuttgart an, wo er sich mit der Mikrochip- und Elektronik-Fertigung beschäftigte und schließlich promovierte. Mit Kollegen arbeitete er an einer Plattform für Planung und Steuerung automatisierter Produktionen. Man kann sich das vorstellen wie beim Softwarehersteller SAP, der mit der Rundumversorgung bei Geschäftsanwendungen groß wurde. Alles aus einer Hand, adaptiert an die Bedürfnisse des Kunden und seiner Fabrikation. Der Ingenieur kam viel in der Welt herum und reiste unter anderem immer wieder nach Asien, um die Weichen für die vollautomatische Fabrik zu stellen, die damals in aller Forschermunde war. Auf einer Messe in Singapur wurde ihm bewusst, dass sein Name einen guten Klang hat. Eher beiläufig überreichte er einem Kollegen seine Visitenkarte. Plötzlich wurde er in einen edlen Raum gebeten und alle verneigten sich vor ihm. Es dauerte eine Weile, bis Frauenhoffer klarstellen konnte, dass er nicht der Chef der Fraunhofer-Gesellschaft sei, der größten Organisation für anwendungsorientierte Forschung in Europa, sondern nur ein einfacher Angestellter mit einem sehr ähnlich lautenden Nachnamen. Nach sieben Jahren machte sich der Softwarespezialist mit einigen Kollegen als Ausgründung der Fraunhofer- Gesellschaft selbstständig. acp-IT, wie die Firma hieß, blieb der Vision der Plattform treu, verdiente aber auch mit der Beratung von Unternehmen gutes Geld. Nach drei Jahren war aus fünf Gründungsgesellschaftern ein Team aus 20 Mitarbeitern gewachsen. Neben Stuttgart wurden Standorte in Dresden, Villach und in Timisoara, der zweitgrößten Stadt Rumäniens, eröffnet. Sie verkauften Lizenzen, spezialisierten sich auf Fotovoltaiksowie Halbleiter-Firmen und stockten die Belegschaft auf 95 Mitarbeiter auf. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er damals Nein zu diesem Großauftrag in Brasilien gesagt hätte, bei dem es um die Produktion einer gewaltigen Chipfabrik ging. Frauenhoffer wollte alles richtig machen, aber es ist in seiner Branche ein bisschen wie in den Nachrichtensendungen, bei denen der Sprecher die News verkündet, während unten bereits auf einem kleinen Streifen die noch aktuellere Wirklichkeit vorbeizieht. Die Fotovoltaik in Deutschland ging rasant zugrunde und gleichzeitig der Investor der Chipfabrik über Nacht pleite. "Das hat uns das Genick gebrochen", sagt Frauenhoffer im Rückblick. acp-IT musste im Herbst 2013 Insolvenz anmelden. "Das war eine schlimme Zeit in meinem Leben", sagt er. "Das kann jetzt nicht das Ende sein", sagten einige Kollegen - und richteten ihn auf. Mit ihnen gründete er noch in der Insolvenz die Amorph Systems GmbH, deren Geschäftsführer er ist. "Wir sind ein kleines Team, das eisern zusammenhält", sagt der Vater von zwei Töchtern. Frauenhoffer war jetzt nicht mehr Manager und Verwalter, sondern konnte sich als Gestalter dem operativen Geschäft zuwenden und selbst wieder an Software arbeiten und Industriekunden bei der Einführung moderner Informationssysteme beraten. Alte Kontakte lebten auf. "Netzwerken ist ganz wichtig", sagt er. Sie kämpften sich langsam zurück, ohne Bankkredit, aber mit festem Glauben an sich und die eigenen Produkte. Mittlerweile stehen wieder 27 Mitarbeiter auf der Lohnliste und zu den Kunden gehören Unternehmen wie Audi oder ZF in Friedrichshafen. Auch für den Frankfurter Großflughafen lieferten die Stuttgarter ein IT-System, das zuverlässig den Passagierfluss errechnet und vorhersagt, wie lange die Wartezeiten an einzelnen Abfertigungsschaltern innerhalb des Flughafens sein werden. Wie lange die eigene Warteschleife ist, bis die ganz große Idee zum Verkaufsschlager wird, weiß Frank Frauenhoffer nicht. Dafür gibt es keine Software, nur die Hoffnung, dass es irgendwann mal klappt mit dem großen Wurf. Was im Silicon Valley möglich ist, kann auch in Stuttgart-Vaihingen oder anderswo in Europa gelingen. Das Robotik-Projekt ist jedenfalls ein vielversprechender Schritt. Anderthalb Jahre lang hat er sich darum bemüht. "Das ist gelebtes Europa", schwärmt Frank Frauenhoffer. "Wer sonst könnte so viele Spezialisten aus verschiedenen Nationen zusammenbringen?" Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
MENSCHENBILDER: Samer (25) aus Homs (Syrien)
Samer aus Homs (Syrien), seit 2015 in Stuttgart. "Da, wo wir herkommen, herrscht überall Krieg", fasst Samer die Erfahrungen der Bewohner der Unterkunft für geflüchtete ... mehr Samer aus Homs (Syrien), seit 2015 in Stuttgart. "Da, wo wir herkommen, herrscht überall Krieg", fasst Samer die Erfahrungen der Bewohner der Unterkunft für geflüchtete Menschen im ehemaligenInterhostel in der Paulinenstraße in Stuttgart zusammen. Um den zu vergessen, sei es besonders wichtig, etwas zu tun. "Wir möchten alle nicht einfach herumsitzen. Dann denkt man nur an traurige Sachen." Derzeit besucht er einen sechsmonatigen Deutschkurs, um anschließend an einer hiesigen Universität seinen Master machen zu können. In Syrien hat er sein Studium mit einem Bachelor in "Communication Engineering" abgeschlossen, den passenden Studiengang zur Fortsetzung vor Ort hat er bereits entdeckt. Danach will er bei Daimler anfangen. "Mercedes", sagt er, "ist einfach die beste Firma". Der Weg steht ihm offen, eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis hat er bereits in der Tasche und er kann daher optimistisch in die Zukunft sehen. Jetzt sucht er eine Wohnung und wird bald eine Traineestelle annehmen, um neben dem Deutschkurs eigenes Geld zu verdienen. "Wir haben wirklich Glück hier - mit den Jobs, mit dem Ort, einfach mit allem." Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.

MENSCHENBILDER: Regina Anna (23) aus Takoradi (Ghana)
Regina Anna (23) seit 2015 in Stuttgart. Regina lebt seit zwei Monaten gemeinsam mit ihren beiden Kindern, sechs Monate und fünfeinhalb Jahre, im ehemaligen Interhostel in der ... mehr Regina Anna (23) seit 2015 in Stuttgart. Regina lebt seit zwei Monaten gemeinsam mit ihren beiden Kindern, sechs Monate und fünfeinhalb Jahre, im ehemaligen Interhostel in der Paulinenstraße. Sie fühlt sich wohl. Die Sozialarbeiter seien alle total nett, die Lage sei super, man müsse eigentlich nicht einmal den Bus nehmen, um ans Ziel zu kommen. Hier gebe es wirklich alles in unmittelbarer Nähe. "Es ist schön, dass es hier auch zentral viele Parks gibt. Da gehe ich gern mit den Kindern hin, um frische Luft zu schnappen." Ihr mittlerer Sohn geht in einen deutschen Kindergarten und bringt tägliche neue Wörter mit nach Hause. Ihren ältesten Sohn würde die dreifache Mutter gern auch nach Deutschland holen. Er ist acht Jahre alt und derzeit noch in ihrer bisherigen Heimat. "Das mache ich aber erst, wenn ich hier Arbeit habe und alles gut läuft." Momentan lernt sie die deutsche Sprache und hofft darauf, bald einen Job zu finden. Machen würde sie alles, Hauptsache, sie könne ihr eigenes Geld verdienen. Außerdem singt sie gern - meist christliche Lieder - und spielt öfter mal Netzball in einem der nahegelegenen Parks. Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Dušan (62) aus Ada (heute Serbien)
Dušan, seit 1974 in Deutschland. "Gott hat nicht nur die Sonne gemacht, manchmal regnet es eben auch", meint Dušan, dessen elfköpfige Familie drei Religionen und vier ... mehr Dušan, seit 1974 in Deutschland. "Gott hat nicht nur die Sonne gemacht, manchmal regnet es eben auch", meint Dušan, dessen elfköpfige Familie drei Religionen und vier Muttersprachen vereint, und meint diese Lebensweisheit durchaus positiv. Deutsch habe er nach der Schule zunächst von seinen türkischen Kollegen gelernt, mit seinem ersten und besten Freund auf deutschem Boden habe er immer Ungarisch gesprochen. Zuhause wird fliegend zwischen Ungarisch, Serbisch und Deutsch gewechselt: "Das ist alles da oben auf der Festplatte, funktioniert wunderbar." Heute engagiert er sich ehrenamtlich als Nachhilfelehrer für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, seit Kurzem auch in einer Abendschule für erwachsene Geflüchtete. Außerdem arbeitet er nun seit bald 25 Jahren in derselben Firma an einer CNC-Fräsmaschine, das sei "eben so ein Job", den man hier als Ausländer machen könne. Er ist diesem Land dankbar dafür, dass es ihm ein ganz normales Leben ermöglicht hat und in Schwaikheim habe er sogar Nachbarn gefunden, die Teil seiner Familie geworden sind. "Wenn irgendwas anfällt, dann helfen wir einander - und wenn es auch nur mal ums Blumengießen geht." Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Teuta (42) aus Ferizaj (Kosovo)
Teuta, seit 2015 in Deutschland. Teuta hat sich in Schorndorf sehr herzlich empfangen gefühlt. Man grüßt sich hier auf der Straße, das kennt sie von ihrer Heimat nicht. "Das ... mehr Teuta, seit 2015 in Deutschland. Teuta hat sich in Schorndorf sehr herzlich empfangen gefühlt. Man grüßt sich hier auf der Straße, das kennt sie von ihrer Heimat nicht. "Das Erste, was ich hier in Schorndorf gelernt habe, war 'Guten Morgen'." Es sei schön, so herzlich auf der Straße angesprochen zu werden. Auch sonst gefällt es ihr hier gut, sie fühlt sich wohl: "Du müsstest nur einen Tag im Kosovo verbringen, dann wüsstest du, wieso wir hier sein wollen." Ihr Sohn geht in die erste Klasse, lernt sehr schnell Deutsch, und die fünfjährige Tochter hat hier sofort einen Kindergartenplatz bekommen, den es zuhause in Ferizaj nicht gab. In ihrer Heimat hat Teuta als Friseurin gearbeitet, allerdings konnte sie davon nicht leben. Eine Ausbildung im deutschen Sinne hat sie nie gemacht. Sie habe ein Jahr einer Fachfrau über die Schulter geschaut, so sei das in Albanien üblich. Dass ihr damit ein anerkannter Berufsabschluss fehlt, bereitet ihr keine Sorgen. Sie schaut optimistisch in die Zukunft und arbeitet derzeit als Näherin in der Werkstatt "Zauberfaden" zweimal die Woche in der Manufaktur. Dorthin geht sie, weil sie hofft, darüber auch den Einstieg in einen voll bezahlten Job zu finden. Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: TIRHAS (19) aus Najka (Eritrea)
Tirhas, seit 2015 in Stuttgart. Tirhas spricht kaum Englisch und hat bisher noch keinen Platz in einem Deutschkurs bekommen, weshalb sie von Deutschland noch nicht viel ... mehr Tirhas, seit 2015 in Stuttgart. Tirhas spricht kaum Englisch und hat bisher noch keinen Platz in einem Deutschkurs bekommen, weshalb sie von Deutschland noch nicht viel mitbekommen hat. Überhaupt bleibt sie am liebsten drinnen und liest viel. Manchmal geht sie draußen spazieren. "Ich mag die Umgebung hier sehr, die ganzen Parks." Sport treibt sie keinen, sie findet es schöner, einfach herumzuschlendern. Seit drei Monaten ist sie nun in Stuttgart und verbringt die Zeit auf diese ruhige Art und Weise. "Ich lebe eben einfach vor mich hin." Eigentlich würde sie viel lieber arbeiten. In welchem Beruf ist ihr grundsätzlich egal, aber am liebsten wäre ihr eine Stelle in der Gastronomie, in irgendeinem Restaurant. In diesem Bereich hat sie auch in ihrer Heimat bereits Erfahrungen gesammelt, aber nie eine feste Stelle bekommen. Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de ). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Cesare (54) aus Piacenza (Italien)
Cesare, seit 1989 in Deutschland. Er ist insgesamt schon dreimal nach Stuttgart gezogen - das letzte Mal 1999. "Dann habe ich aufgegeben und bin geblieben", lacht der ... mehr Cesare, seit 1989 in Deutschland. Er ist insgesamt schon dreimal nach Stuttgart gezogen - das letzte Mal 1999. "Dann habe ich aufgegeben und bin geblieben", lacht der gebürtige Italiener, der seit letztem Jahr neben der italienischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Das sei sein Dankeschön an dieses Land, in dem er nun mit Unterbrechungen lebt und arbeitet. Er hat Germanistik und Anglizistik in seiner Heimat studiert und wollte eigentlich immer pendeln, öfter mal den Wohnort wechseln. Irgendwie sei es dann aber doch bei Stuttgart geblieben, wohin es ihn anfangs eher per Zufall verschlagen hatte. "Ich bin glücklich hier, andere Orte interessieren mich nicht mehr", meint er. Spannend findet er es, dass sich Deutschland "mediterranisiert" habe. "Selbst die Pommesbuden haben heute ihre Tische draußen, früher gab es das nur bei Biergärten." Das sei die positive Seite. Die Kehrseite des Trends sieht er jedoch auch, die typisch deutsche Korrektheit habe etwas nachgelassen über die Jahrzehnte. Er selbst - inzwischen in leitender Position beim italienischen Institut in Stuttgart - genieße sein Leben hier nach wie vor sehr, auch gern mal bei einem Glas Bier statt Wein, das möge er tatsächlich mehr. Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
Als es Klick machte
Thanh Mai Tran musste einige Barrieren überwinden. Als Kind vietnamesischer Einwanderer und in Deutschland aufgewachsen, saß sie schon immer zwischen den Stühlen. Sie wuchs mit ... mehr Thanh Mai Tran musste einige Barrieren überwinden. Als Kind vietnamesischer Einwanderer und in Deutschland aufgewachsen, saß sie schon immer zwischen den Stühlen. Sie wuchs mit zwei komplett unterschiedlichen Sprachen und Kulturen auf. Auch in der Schule und bei der Berufssuche fand sie nicht gleich den richtigen Weg. "Auf dem Wirtschaftsgymnasium habe ich gemerkt, dass ich mit Zahlen nichts anfangen kann. Lieber wollte ich in einer kreativen Branche und mit Menschen arbeiten", so die 24-Jährige aus Stuttgart. Bilder und Filme faszinierten sie schon immer, schon als Kind fotografierte sie gerne Familie und Freunde. In dem Studienfach Medienwissenschaft fand Thanh Mai Tran die ideale Kombination für sich, in der sie ihr Hobby und ihre Begabung verbinden kann. Tran produzierte schon Fernsehbeiträge für das ZDF und Imagefilme für Hochschulen und Unternehmen.
MENSCHENBILDER: Eric (36) aus Montreal (Kanada)
Eric, seit 1995 in Stuttgart. Eric Gauthier ist inzwischen ein Begriff in der Region und stand unlängst für das Modehaus Breuninger in schicker Herrenmode vor der Kamera. Bis er ... mehr Eric, seit 1995 in Stuttgart. Eric Gauthier ist inzwischen ein Begriff in der Region und stand unlängst für das Modehaus Breuninger in schicker Herrenmode vor der Kamera. Bis er neun Jahre alt wurde, war er - so sagt er selbst - ein ganz normaler Junge. Dann entdeckte er durch das Musical Cats sein Faible für den Tanz. Mit dem Wunschtraum, auch mal im Ensemble des Musicals auf der großen Bühne zu stehen, ließ er die Schlittschuhe für's Eishockey also links liegen und widmete sich einem ganz anderen Sport. Heute ist er Company-Chef, Choreograph, Tänzer, Rockmusiker und findet außerdem Zeit für soziale Projekte und seine Familie. Bei Cats ist er übrigens nie gelandet. Das Multitalent lebt seit seinem 18. Lebensjahr in der Region, zunächst als Tänzer am Staatstheater. Er sei dann eben "einfach hier" gewesen und irgendwie sei alles total gut geworden. Nun arbeitet er als Choreograph und Leiter von Gauthier Dance am Theaterhaus. "Es ist ein geiles Haus. Ich hab hier enorme künstlerische Freiheit. Das hat man selten", sagt Gauthier und begründet damit direkt auch, wieso er Angebote von anderswo gerne mal ausschlägt. Die gibt es nämlich durchaus auch. Überhaupt sei Stuttgart zu seiner Heimat geworden. Mit Kanada hätte dieses Land hier etwas ganz Wesentliches gemeinsam, findet er: "In beiden Ländern leben Menschen, die total bunt sind." Ihr größter Unterschied liege im Kulturbereich, meint der Künstler. In Kanada und den USA gehe man eben ins Ballett, damit man sagen könne, man gehe ins Ballett. In Deutschland genieße man die Kultur viel mehr, speziell in Stuttgart. "Wenn am Ende der Vorhang fällt, rennen in Kanada alle schnell zum Parkplatz los, Deutsche vergessen ihr Auto beim Applaus völlig." Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Naeem (36) aus Sialkot (Pakistan)
Naeem, seit 2014 in Stuttgart. Nach Deutschland kam Naeem vor fünf Jahren, zurück in die Heimat lässt ihn seine Familie nicht, weil es dort zu gefährlich für ihn ist - unter ... mehr Naeem, seit 2014 in Stuttgart. Nach Deutschland kam Naeem vor fünf Jahren, zurück in die Heimat lässt ihn seine Familie nicht, weil es dort zu gefährlich für ihn ist - unter anderem wurde er Zeuge eines Mords. Nachdem er eineinhalb Jahre hier war, erhielt er eine auf sechs Monate begrenzte Arbeitserlaubnis. Danach sei es irgendwie nicht weitergegangen. Er kämpfe darum, seine Rechte zu bekommen, denn als Geduldeter habe man praktisch keine. Man verliere sowieso erst einmal alles, wenn man als "asylum seeker" in ein Land komme. Den bisherigen Status, den bisherigen Beruf, aber am schlimmsten empfinde er es, dass man die Möglichkeit verliere, sich auszudrücken und man irgendwie kaum ernst genommen werde. "Um fair zu sein, muss ich zugeben, dass es für viele Neuankömmlinge hier schon gut ist", räumt Naeem ein. Wenn man einfach nur leben wolle, wenn man sich darauf einlasse, komplett bei Null anzufangen, dann könne auch alles gut werden. Die aktuellen Gesetzesänderungen hinsichtlich der Kürzung der Arbeitssperre und dergleichen sieht er als einen guten Anfang. "Man muss den Asylbewerbern volle Rechte geben, nur dann können sie sich auch einbringen", lautet seine Forderung. Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
Chamäleon der Sprachen
Reisen ist die Leidenschaft von Chris Ioannou. Auf Zypern geboren, in Kanada aufgewachsen und in Ägypten seine Frau kennengelernt, wohnt der 60-Jährige heute in Kirchheim unter ... mehr Reisen ist die Leidenschaft von Chris Ioannou. Auf Zypern geboren, in Kanada aufgewachsen und in Ägypten seine Frau kennengelernt, wohnt der 60-Jährige heute in Kirchheim unter Teck. Ioannou spricht mehrere Sprachen, Englisch unterrichtet er hauptberuflich. Der studierte Informatiker lebt und arbeitet seit 23 Jahren in der Region Stuttgart als selbstständiger Englischlehrer. Vor allem Unternehmen buchen den Kanadier gerne für Kurse und Schulungen. "Die Schwaben sind sehr präzise und zurückhaltend", charakterisiert Ioannou die Menschen hier. "Gute Kommunikation wird immer wichtiger, sowohl branchen- als auch länderübergreifend". Dies fördert er in seinen Business-English-Schulungen. Auch privat ist Ioannou ein Kommunikationstalent, als Folkmusiker bei Kneipenkonzerten oder auf Reisen mit seiner Frau und den gemeinsamen Töchtern.
MENSCHENBILDER: Reha (41) aus Zonguldak (Türkei)
Reha, seit 2001 in Deutschland. Reha ist Maschinenbauingenieur mit einem MBA und einer Promotion im Fach Wirtschaftsgeographie. Mit seiner deutschen Lebensgefährtin und zwei ... mehr Reha, seit 2001 in Deutschland. Reha ist Maschinenbauingenieur mit einem MBA und einer Promotion im Fach Wirtschaftsgeographie. Mit seiner deutschen Lebensgefährtin und zwei Kindern lebt er in Leutenbach, wo er bei der letzten Gemeinderatswahl für die Grünen kandidiert hat: "Auch wenn ich nicht glaube, dass ich je gewinnen werde, finde ich es wichtig, sein Gesicht dafür herzugeben." 2001 zog er für sein Masterstudium aus seiner Wahlheimat Istanbul - ursprünglich stammt er aus Zonguldak, dem "Ruhrpott der Türkei" - nach Stuttgart. Die typischen Türkenklischees mag er nicht erfüllen: "Frag mich nicht, ob ich Schweinefleisch esse oder Alkohol trinke - das ist doch alles veraltet." Seine Mutter habe auch nie Kopftuch getragen, betont er. Er fühle sich hier im Süden Deutschlands wohl, auch wenn man hier schwerer mit Menschen in Kontakt komme, als in der Türkei. Dafür könne man "einfach sein Leben leben". Und überhaupt: "Wenn Türken und Deutsche betrunken sind, sind sie gleich: da tanzen beide auf den Tischen." Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
Mit Fleiß und Schweiß
Schlossermeister, Geschäftsführer des eigenen Unternehmens und Familienvater mit 29 Jahren: Seine größten Träume konnte sich Husein Oleik bereits erfüllen. Als er mit 15 Jahren ... mehr Schlossermeister, Geschäftsführer des eigenen Unternehmens und Familienvater mit 29 Jahren: Seine größten Träume konnte sich Husein Oleik bereits erfüllen. Als er mit 15 Jahren nach Deutschland kam, hatte er nichts. Der Sohn eines libanesischen Gastarbeiters fing in Stuttgart bei null an, konnte weder die Sprache, noch hatte er Freunde. "Als ich ankam, hatte ich automatisch schlechtere Chancen als Gleichaltrige", erinnert sich Oleik, "Ich musste fleißig sein und lernen." Oleik machte seine Mittlere Reife, eine Ausbildung zum Schlosser und dann die Meisterprüfung. Vor einigen Monaten lernte er Gerhard Schickler kennen, Inhaber der Bauschlosserei Schickler, der seit Jahren einem Nachfolger für seinen Familienbetrieb suchte. Seit diesem Jahr ist Husein Oleik neuer Geschäftsführer der Schlosserei und Chef von vier Mitarbeitern. Die Firma fertigt unter anderem Treppen, Balkone, Geländer und Tore. schlosserei-schickler.de
MENSCHENBILDER: Ines (25) aus Kroatien
Ines, seit 2014 in Stuttgart. Ines ist laut Pass Kroatin, aber eigentlich vereint sie mehrere Nationalitäten. Mit ihrem bosnischen Mann und dem Sohn Mata (2) lebt sie derzeit in ... mehr Ines, seit 2014 in Stuttgart. Ines ist laut Pass Kroatin, aber eigentlich vereint sie mehrere Nationalitäten. Mit ihrem bosnischen Mann und dem Sohn Mata (2) lebt sie derzeit in Feuerbach und würde gern einen Teilzeitjob finden, da ihr Sohn nun einen Kitaplatz hat. Ihr Land verlassen hat die kleine Familie, weil es zuhause keine Jobs gab. Ines hat mit Stuttgart eher zufällig eine Stadt gefunden, die ihre Lebensweise besser akzeptiert, als es ihre Heimat tat. Sie lebt nämlich vegan und würde am liebsten auf einen stillgelegten Bauernhof ziehen, um dort von Eigenanbau zu leben. "In Stuttgart bin ich bei einem Treff veganer Mütter. In Kroatien wurde ich gefragt, etwas mit mir nicht stimmt, weil ich mich und mein Kind pflanzlich ernähre." Allgemein möchte sie hier möglichst viele Menschen kennen lernen. Während sie und ihr Mann sich in den eigenen vier Wänden auf Englisch und Bosnisch unterhalten und der gemeinsame Sohn mehrsprachig aufwächst, hat sie für außer Haus eine einfache Regel aufgestellt: "Auf der Straße sprechen wir nur Deutsch. So lernt man Menschen kennen. Man wird angesprochen." Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
Musik verbindet
Der Flug nach Deutschland war für Ian José Ramirez die erste große Reise. Seit August 2015 ist der US-Amerikaner Mitglied des Gesangsensembles der Staatsoper Stuttgart. "Ich ... mehr Der Flug nach Deutschland war für Ian José Ramirez die erste große Reise. Seit August 2015 ist der US-Amerikaner Mitglied des Gesangsensembles der Staatsoper Stuttgart. "Ich habe schon als Kind gerne gesungen. Mit Hilfe der Musik lassen sich Gefühle und Erfahrungen ausdrücken, aber auch Geschichten erzählen", findet der 27-Jährige. Seine Tenorstimme entwickelte Ramirez zuerst im Jugendchor und bei Schulaufführungen, dann während des Studiums an der University of Cincinnati weiter. Der mehrfache Stipendiat und Preisträger hatte schon Auftritte in Opernaufführungen, Musicals und als Konzertsolist. Zu seinen Vorbildern gehören unter anderem Jonas Kaufmann, Plácido Domingo und Michael Bublé. "Auf der Bühne zu stehen und Menschen zu unterhalten ist für mich das Größte", so der Neu-Stuttgarter.
MENSCHENBILDER: Jahangir (42) und Bahareh (35) aus Paveh (Iran)
Jahangir, seit 2010 in Deutschland. Weil er für die falschen Zeitungen schrieb und die falsche Meinung vertrat, musste Jahangir seinen Job als Journalist an den Nagel hängen und ... mehr Jahangir, seit 2010 in Deutschland. Weil er für die falschen Zeitungen schrieb und die falsche Meinung vertrat, musste Jahangir seinen Job als Journalist an den Nagel hängen und seine Heimat verlassen. Als politisch Verfolgter konnte er nicht einmal die Herausgabe der Bescheinigung seines Jurastudiums erwirken, das er kurz vor dem letzten Examen abbrechen musste. So kam er in Deutschland an und hatte: praktisch nichts. Nicht einmal sein Führerschein wurde anerkannt und auf die neu abgelegten Prüfungen folgte für ihn die zweijährige Probezeit eines Fahranfängers. "Du bist wie ein Baby, wenn du hier ankommst", beschreibt er den Zustand. Sein Studium und seine Berufserfahrung seien wertlos gewesen, zum einen fehlten die Unterlagen und sowieso sei das Rechtssystem nicht ähnlich genug, und für den Journalismus müsse er die deutsche Sprache erst aus dem Effeff beherrschen. Es sei schlimm gewesen, dem Land, das ihm von Anfang an so viel geboten hätte - ein sicheres Leben nämlich - zunächst gar nichts zurückgeben zu können. Umso glücklicher sei er nun, endlich in Vollzeit zu arbeiten und Steuern zu zahlen. "Ich fühle mich hier zuhause, es ist meine zweite Heimat." Auch will er unbedingt betonen, dass er nie Opfer von irgendeiner Form von Rassismus geworden sei. Bahareh, seit 2010 in Deutschland. Der übliche Weg eines ausländischen Kindes führt in dem Stuttgarter Viertel, in dem die kleine Familie lebt, von der Grund- direkt auf die nebenan gelegene Hauptschule. Da die Lehrer jedoch so vom heute 13-jährigen Karia überzeugt waren, rieten sie dazu, ihn aufs Gymnasium zu schicken. Dort besucht er nun die siebte Klasse und bringt bisher durchweg gute Noten nach Hause - und ab und an für Baharehs Geschmack ein bisschen zu viel Umgangssprache. Sie legt Wert auf eine korrekte Grammatik. Sie selbst habe es etwas schwerer gehabt in der neuen Heimat. Ihre frühere Ausbildung zur Erzieherin wurde nicht anerkannt. Die in Deutschland begonnene brach sie nach der gescheiterten Suche nach einem Pflichtpraktikumsplatz ab. "Am Telefon waren alle sehr nett, vor Ort wurde mir dann immer gesagt, mit Kopftuch könne ich aber nicht arbeiten." Um dennoch etwas zu tun, begann sie ehrenamtlich im nahe gelegenen Flüchtlingsheim zu helfen. Inzwischen arbeitet Bahareh mit ihrem Mann hauptberuflich in der Erstaufnahmestelle in Meßstetten. "Es tut den Leuten gut, wenn sie etwas in ihrer eigenen Sprache hören." Sie seien hergekommen, um ein Leben in Sicherheit führen zu können. Das habe sich vom ersten Tag an erfüllt. Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
Handel statt Hilfe
Ein Diplom von einer Eliteuniversität, ein sicherer Arbeitsplatz, Aufstiegschancen und ein üppiges Gehalt - davon träumen viele Menschen. Aida Tzehaye aus Stuttgart fühlte sich ... mehr Ein Diplom von einer Eliteuniversität, ein sicherer Arbeitsplatz, Aufstiegschancen und ein üppiges Gehalt - davon träumen viele Menschen. Aida Tzehaye aus Stuttgart fühlte sich bei ihrem Arbeitsalltag als Controllerin irgendwann wie in einem Hamsterrad, sie wollte mehr bewirken, als nur Karriere zu machen. "Durch meine afrikanischen Wurzeln kenne ich die Probleme der Menschen in den Ländern südlich der Sahara, weiß welche Konsequenzen Kriege und wirtschaftliche Ausbeutung haben." Mit ihren Ideen, ihrem Fachwissen aus dem abgeschlossenen Entwicklungspolitikstudium und ihrem Gespür für Mode entwickelte die 31-Jährige ein Unternehmenskonzept: Im Frühjahr 2015 gründete sie ein Fair-Trade-Modelabel für Kleidung, die in Ghana produziert und in Deutschland verkauft wird. Label Africa arbeitet nach dem Motto: Trade not Aid - Handel statt Hilfe. labelafrica.com
MENSCHENBILDER: Jérôme (39) aus einem Vorort von Paris
Jérôme, seit 2001 in Deutschland. Wieso es Jérôme nach Deutschland verschlagen hat? "Ich sage immer: Es gibt da Liebe oder Beruf. Bei mir war es die Liebe." Beim ... mehr Jérôme, seit 2001 in Deutschland. Wieso es Jérôme nach Deutschland verschlagen hat? "Ich sage immer: Es gibt da Liebe oder Beruf. Bei mir war es die Liebe." Beim Erasmus-Studium in Madrid hat er seine heutige Frau kennen gelernt, eine Deutsche. Die ersten drei Jahre sprach das Paar Spanisch miteinander. Heute führen sie mit ihren beiden Kindern ein zweisprachiges, natürlich deutsch-französisches Leben in Weilimdorf. Außerhalb der Region Stuttgart hat er bisher in Deutschland nicht gewohnt und das ist auch nicht geplant. "Es ist nicht so, dass ich nichts anderes kenne, aber Deutschland ist für mich Stuttgart", meint der gebürtige Franzose und bekennende Kinofan und setzt noch einen drauf: "Für mich ist Deutsch Schwäbisch, ob es schön ist oder ned." In seiner Freizeit und nebenberuflich arbeitet der Kinoliebhaber daran, den französischen Film mit www.cineonline.net in Deutschland bekannter zu machen. Wieso das so guten Anklang findet, erklärt er damit, dass der französische Humor den deutschen Geschmack treffe: "Es ist die Kunst, dass sich die Leute von Minute eins an tot lachen, obwohl das Thema brutal ernst ist." Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Sabah (28) aus Duhok (Irak)
Sabah, seit 2015 in Deutschland, seit zwei Monaten in Stuttgart. Auf der Suche nach einem sicheren Ort auf dieser Welt ist Sabah vor zwei Monaten mit seiner Frau, seinem Sohn und ... mehr Sabah, seit 2015 in Deutschland, seit zwei Monaten in Stuttgart. Auf der Suche nach einem sicheren Ort auf dieser Welt ist Sabah vor zwei Monaten mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter in Stuttgart untergekommen. "Ich mag einfach alles an Stuttgart", sagt er, und dass er sich hier sehr wohlfühlt. Er hofft darauf, sein Studium in Deutschland fortsetzen zu können, sobald er die Sprache gut genug beherrscht. In seiner Heimat hat er Soziologie auf Lehramt studiert. Momentan heißt es erst einmal warten - auch auf seine Aufenthaltsgenehmigung, damit er in Deutschland etwas tun kann. Eigentlich würde er am liebsten sofort loslegen. Er möchte so schnell wie möglich ins Berufsleben einsteigen und eigenes Geld verdienen. Die Wartezeit verbringt er mit seiner Familie in einem der nahegelegenen Parks oder geht einem seiner sportlichen Hobbys nach. Die Stadt gefällt ihm, er fühlt sich wohl und freut sich darüber, dass er von der Unterkunft aus alles zu Fuß erreichen kann. Auf der Königstraße ist er mit seiner kleinen Familie öfter mal unterwegs. Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Minela (23) aus Vaihingen an der Enz (Deutschland)
Minela kam im Bauch ihrer Mutter nach Deutschland. Diese floh aus dem Krieg in ihrer Heimat Bosnien, nachdem mehrere Verwandte und auch Minelas Vater ihr Leben verloren hatten. ... mehr Minela kam im Bauch ihrer Mutter nach Deutschland. Diese floh aus dem Krieg in ihrer Heimat Bosnien, nachdem mehrere Verwandte und auch Minelas Vater ihr Leben verloren hatten. Der Aufenthalt begann im Krankenhaus: Die heute kerngesunde junge Frau erblickte als Frühgeburt mit einem knappen Kilo das Licht der Welt. Dank einer besonders engagierten Ärztin im Ludwigsburger Krankenhaus führen die Mutter als Hotelangestellte und die Tochter als Personalerin heute ein friedliches und ganz normales Leben. "Ich mag hier nicht wegziehen, auch nicht für meinen Traumjob. Ich bewerbe mich jetzt hier überall, wo es nur geht", meint Minela. Obwohl sie Deutsch nicht als ihre Muttersprache betrachtet, beherrscht sie es dank des Kindergartens wie eine solche. "Ich habe im ersten Monat gar nicht gespielt, nur zugehört. Und so habe ich Deutsch gelernt." Wie mit der Sprache, so ist es auch mit ihren Heimatgefühlen. Richtig zuhause fühle sie sich weder in Deutschland noch in Bosnien. Immerhin sehe der neue Wohnort dem ursprünglichen, den sie von alljährlichen Besuchen bei ihrer Verwandtschaft kennt, ganz schön ähnlich. Und überhaupt: "Dank meiner Mutter hatte ich die allerschönste Kindheit und ein tolles Leben bisher." Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
MENSCHENBILDER: Yaya (30) aus Dapaong (Togo)
Yaya, seit 2010 in Deutschland. In seiner Heimat hat Yaya Soziologie studiert, hier in Deutschland geht er nun zur Schule und macht den Realschulabschluss nach. Er ist mit ... mehr Yaya, seit 2010 in Deutschland. In seiner Heimat hat Yaya Soziologie studiert, hier in Deutschland geht er nun zur Schule und macht den Realschulabschluss nach. Er ist mit Abstand der älteste in seiner Klasse und auf der ganzen Schule, aber eines weiß er: "Ich ziehe das ganz sicher durch." Und dann, mit dem Schulabschluss in der Tasche, wird er auch eine Ausbildung finden, da ist er sich sicher. Er denkt an einen technischen Beruf. Das habe zwar gar nichts mit dem zu tun, was er früher einmal werden habe wollen, aber er sieht das jetzt pragmatisch. "Ich will etwas aus mir machen." In seiner Freizeit bleibt er am liebsten zuhause. Überhaupt mag er es ruhig und fühlt sich daher auch in Schwaikheim sehr wohl. Wenn er Freizeit hat, liest er am liebsten, und zwar so ziemlich alles, was er in die Finger bekommt. Nach draußen geht er zum Fußballspielen. Jetzt in der kalten Jahreszeit macht er das aber eher ungern. Auch nach vier Jahren sei er das Wetter hier nicht gewöhnt, in Togo sei schließlich das ganze Jahr Sommer. Das sei auch mit der größte Unterschied zu seiner Heimat. Gemeinsam hätten die Länder etwas Positives: "Ich glaube, die Deutschen sind auch sehr gern mit anderen Menschen zusammen - mit Menschen aus allen Kulturen." Dieser Beitag ist Teil der Serie "Menschenbilder" der Fotografin Lena Reiner (menschenfotografin.de). Mit der Serie zeigt die Region Stuttgart, dass sie Einwanderer willkommen heißt - und das schon seit vielen Jahrzehnten: In den 179 Kommunen leben 2,7 Millionen Menschen aus rund 180 Nationen. Gemeinsam machen sie die Region zu einem wirtschaftlich erfolgreichen, weltoffenen, lebendigen und kulturell vielseitigen Platz zum Leben und Arbeiten.
Die Menschenfischerin
Susanne Kunschert ist geschäftsführende Gesellschafterin der Pilz GmbH in Ostfildern, die auf dem Gebiet der sicheren Automatisierung zu den Weltmarktführern gehört. Ihren ... mehr Es gibt Termine, die mit einem Händedruck beginnen und mit einer Umarmung enden. Das geschieht eher selten in einem auf Distanz angelegten Arbeitsleben, das seine Abstände pflegt. Susanne Kunschert ist gesegnet mit der Gabe, Distanz zu überbrücken. Sie tut das nicht aus Kalkül. Es passiert einfach, weil das in ihr wohnt. Früher Morgen in Ostfildern. Die Chefin des Hauses kommt gerade vom Interview mit dem Sender Rai. Die Italiener haben das Thema Industrie 4.0 entdeckt, und Susanne Kunschert hat nicht nur ein telegenes Gesicht, sondern auch eine Menge zu erzählen über Maschinen und Produkte, die denken lernen, was ein gewaltiges Potenzial für Produktionssteigerungen birgt. "Das ist ein Thema, das uns als mittelständische Unternehmen wachrüttelt", sagt die Firmenchefin. "Und alle krempeln derzeit die Ärmel hoch." Die einen nennen es Big Data, andere sprechen von Industrie 4.0 oder vom Internet der Dinge. Gemeint ist das Gleiche: Immer mehr Maschinen und Produkte werden miteinander vernetzt und kommunizieren über das Internet in Echtzeit. Die digitale Welle schwappt mehr und mehr in den Alltag der Heutigen, die über ihr Smartphone nicht nur die Beschattung des wetterfühligen Eigenheims steuern, sondern bequem via Internet ihr bestelltes Paket verfolgen, das auf seiner Reise permanent Signale sendet, auf dass der Empfänger genau weiß, wann ihn die Lieferung erreicht. Das alles sind kleine Facetten einer großen Entwicklung, die mit Macht auf die Märkte drängt und auch die Strukturen in vielen mittelständischen Unternehmen verändert, die ihre Mitarbeiter auf die neue Epoche einstimmen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Erfinder im Elfenbeinturm neue Produkte schufen, ohne sich darum zu kümmern, was vielleicht daraus werden und wie man sie vernetzen könnte. Moderne Betriebe arbeiten zunehmend in Teams. Maschinenbauer wirken mit Elektronikern und Programmierern zusammen, um am Ende gemeinsam ein Produkt zu schaffen, das über interaktive Sensoren mit der Umwelt kommuniziert. Die gewonnenen Daten werden für die Produktion genutzt, für die Wartung und im besten Fall bereits für die nächste Generation des Geräts, das im laufenden Betrieb permanent Daten ausspuckt, welche hilfreiche Fingerzeige über die tatsächliche Nutzung und Betriebsdauer liefern. Das steigert im Zweifel nicht nur die Wertschöpfung, sondern spart auch enorm Kosten. Susanne Kunschert ist eine Art Botschafterin des Neuen, nicht nur, weil in ihrer Firma IT und Produktion längst zu praktikablen Lösungen verschmelzen. Pilz entwickelt und vertreibt Produkte und Dienstleistungen für die sichere Automatisierung, darunter Sensoren, Schaltgeräte, Steuerungen und Antriebe, die letztlich dafür sorgen, dass Menschen in der Produktion sicher und unversehrt ihrem Tagwerk nachgehen können. Das Unternehmen zählt in diesem Segment zu den Weltmarktführern. Neben dem Stammhaus in Ostfildern ist Pilz mit 31 Tochtergesellschaften und Niederlassungen auf allen Kontinenten vertreten. Der familiengeführte Betrieb beschäftigt derzeit mehr als 1.900 Mitarbeiter und steigerte 2014 seinen Umsatz auf den neuen Rekordwert von 259,3 Millionen Euro - ein Plus von 11,3 Prozent gegenüber 2013. Dabei setzt die Hightech-Firma zunehmend auf hochgradig vernetzte Strukturen und bietet Industrie-4.0-fähige Automatisierungssysteme an. "Auch wir sind erst auf dem Weg", sagt Susanne Kunschert bescheiden. Nicht von ungefähr wurde sie indes vom Bundesforschungsministerium in ein 25 Köpfe zählendes Gremium berufen, das sich mit Chancen und Risiken der hochvernetzten Zukunft auseinandergesetzt hat. "Auch wenn mit Industrie 4.0 die vierte industrielle Revolution gemeint ist", sagt die Betriebswirtin, "so ist es doch eher eine Evolution." Diesen Prozess gelte es behutsam auch im Sinne der Mitarbeiter zu gestalten, wobei Susanne Kunschert in diesem Punkt ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge hat. "In unserer schnelllebigen Zeit braucht es mehr denn je Werte, die uns tragen, sonst haut es uns weg. Das Menschliche darf auch in Zukunft nicht zu kurz kommen."So denkt man, wenn man Susanne Kunschert heißt und einst in der Abi-Zeitschrift als Berufsziel "Lebenskünstlerin" vermerkt hat. Eine Kunst ist das Leben in der Tat, und sie hat es sich in der Gewissheit angeeignet, dass es da einen Brunnen gibt, der zu bewässern vermag, jenseits aller Pegelstände, die sich in dieser Welt ständig ändern. Dieser Glaube ist ihr von den Eltern in die Wiege gelegt worden, die ihre 1970 geborene Tochter mit christlichen Werten düngten, nicht aber mit dem Ehrgeiz, eines Tages das Familienunternehmen leiten zu müssen. "Wir Kinder waren in der Berufswahl völlig frei", sagt Susanne Kunschert im Rückblick. Der Vater starb früh bei einem Flugzeugunglück, die Mutter ließ ihr Raum für die eigene Spiritualität und dafür, die persönliche Mitte zu finden, was im Zweifel wichtiger ist als das Diktat der Quartalszahlen. Susanne Kunschert studierte Betriebswirtschaft und eher nebenbei die Kunst des Lebens. In den Semesterferien jobbte sie in Malawi und lernte bei Pater Franz Stoffel, wie sehr Begegnung bereichert. "Wenn ich hier in Deutschland auf Leute treffe, die ständig unzufrieden sind, dann denke ich oft an das Lachen der Afrikaner." Geprägt hat sie auch der Ulmer Theologe und Buchautor Baldur Kirchner, bei dem sie nicht nur immer wieder Schweigeseminare bucht, sondern sich auch seiner Ratschläge bemächtigt. Einer davon wirkt bis heute nach: "Wenn du andere führen möchtest, mögest du gelernt haben, dich selbst zu führen." Das hat sie längst verinnerlicht. Susanne Kunschert kann nicht nur mit Zahlen, sondern vor allem auch mit Menschen, die sie für sich gewinnt mit einem fröhlichen Erlebnishunger, der ansteckend wirkt. Das hilft im Alltag durchaus, wenn es darum geht, die Belange der Firma mit den Wünschen ihres zehnjährigen Sohns in Einklang zu bringen, der seine Mutter immer wieder dezent korrigiert, wenn sie mit den Füßen vor ihm steht, aber mit dem Kopf noch im Büro ist. Das Unternehmen leitet sie gemeinsam mit Bruder Thomas und Mutter Renate. "Wir harmonieren bestens", sagt sie. "Und wenn es mal nicht klappt, beten wir eben zusammen und dann löst es sich." Einmal im Jahr organisiert das Trio eine Unternehmensversammlung, in der es darum geht, die Megatrends der Zukunft zu erspüren und die eigenen Strategien zu hinterfragen. Susanne Kunschert ist bestens vernetzt wie die Produktion von morgen - und damit gut aufgestellt. Und doch ist ihr bei alledem bewusst, dass nicht sie es ist, die alle Fäden in der Hand hält. Ihr zeitloser Megatrend bleibt der Glaube. "Ich bin zu der geworden, die ich bin, weil ich mich durch Gott führen lasse", sagt sie zum Abschied und umarmt ihr Gegenüber, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.

Kavalierstart made in Stuttgart
Nur 1,779 Sekunden benötigte das Greenteam der Universität Stuttgart mit seinem Elektrorennwagen für den Sprint von null auf 100 km/h. Die Studentengruppe hat damit beim Jade-Race ... mehr Nur 1,779 Sekunden benötigte das Greenteam der Universität Stuttgart mit seinem Elektrorennwagen für den Sprint von null auf 100 km/h. Die Studentengruppe hat damit beim Jade-Race im ostfriesischen Mariensiel einen neuen Weltrekord für elektrisch angetriebene Fahrzeuge aufgestellt. Mit 1,8 G wirkten auf die Fahrerin dabei Kräfte von fast der doppelten Erdbeschleunigung. Das Greenteam ist ein studentischer Motorsportverein, der jedes Jahr einen offenen einsitzigen Elektro-Formelrennwagen baut.
Anwalt des Fahrrads
Von Bad Cannstatt aus versorgt Bernhard Lange, dessen Unternehmen europaweit 460 Mitarbeiter zählt, praktisch die gesamte Fahrradbranche mit Ersatzteilen. Er findet, dass die ... mehr Der Arbeitstag geht, Bernhard Lange kommt. Er trägt keinen Anzug und auch keine gewienerten Ledergaloschen. Die schlichte blaue Jacke, die er übergestreift hat, erinnert an die Garderobe eines Lageristen. Die tut es ihm auch. Lange ist oft in Japan. Dort hat er viel gelernt über Autorität, die von innen kommt. Es ist Freitagabend in der Hofener Straße 114. Draußen auf dem Hof macht ein Mitarbeiter fürs Wochenende sein Rad startklar, das er sich vor Kurzem selbst zusammengestellt hat aus modernsten Komponenten. Lange öffnet das Fenster. Während der Pedaleur mit leuchtenden Augen seine neue Errungenschaft preist, wärmt sich der Chef am Feuer der Begeisterung für die urbane Mobilität der Zukunft. Ein bisschen anders sind sie schon bei Paul Lange & Co., einem Unternehmen, das im Laufe seiner Geschichte so manches und manchen bewegt hat. 1949 fing die Familie klein an in Stuttgart. Das Rad war vielfach das einzige Fortbewegungsmittel, als im heimischen Wohnbüro die ersten Zahnkränze, aus Frankreich importiert, für die Kundschaft hergerichtet wurden. Lange-Geschichte, lange her. Heute zählt die Firma mit Niederlassungen und Joint Ventures in Österreich, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Frankreich, der Schweiz und der Ukraine insgesamt 460 Mitarbeiter aus 27 Nationen. Durchschnittsalter: 36. Besondere Merkmale: restlose Begeisterung fürs Rad. Im Rückblick lässt sich sagen, dass Bernhard Langes Eltern Paul und Fernanda den richtigen Instinkt hatten. Es ging stetig vorwärts mit dem Fahrrad in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Mittlerweile gibt es in deutschen Garagen und Kellern einen Bestand von 72 Millionen Rädern. Alle sieben Jahre leisten sich die Heutigen durchschnittlich ein neues Bike, was den Umstand erklärt, dass allein im vorigen Jahr deutschlandweit 4,1 Millionen Räder verkauft worden sind. Vor allem das E-Bike hat einen gewaltigen Schub. 2007 brachte die Branche 70.000 Räder mit Elektromotor an die Kundschaft, im vergangenen Jahr waren es 480.000. "Wir haben heute mehr als zwei Millionen E-Bikes auf deutschen Straßen", bilanziert Bernhard Lange. "Eine tolle Entwicklung." Eine solche darf man wohl mit Fug und Recht auch dem Unternehmer Lange selbst bescheinigen, der 1959 auf den Tag genau zehn Jahre nach der Firmengründung geboren ist und eigentlich langsam ins Unternehmen hineinwachsen sollte. Mitte der 1980er Jahre hospitierte er bei Shimano in Japan, deren Generalvertreter für Deutschland die Langes seit 1967 sind. Er baute sein eigenes Rad, das bis heute im Foyer der Firma steht, und übernahm später in Stuttgart das Marketing. Zwei Jahre arbeitete Bernhard Lange eng mit dem Vater zusammen, der ihn düngte mit einem christlich-sozialen Weltbild. Plötzlich starb Paul Lange weit vor der Zeit, und der Sohn musste 1989 die Firma übernehmen. "Das war ganz einfach brutal. Von einem Tag auf den anderen hatte ich keine Zeit mehr." Wie bei einem Schaltwerk fürs Rennrad, bei dem viele Bauteile harmonieren und etliche Rädchen ineinandergreifen, hat Lange junior gemeinsam mit seiner Schwester und der Mutter das Werk des Vaters geformt zu einer hochmodernen Firma mit eigenem Testparcours, die mittlerweile fast die gesamte Branche mit Ersatzteilen versorgt und damit zweistellige Millionenumsätze macht. Dafür braucht es das richtige Gespür für Trends und Produkte auf einem hart umkämpften Markt. "Wir haben das beste Team der Welt", erklärt der Chef das Erfolgsrezept, in dem er sich als Erster unter Gleichen sieht, eben ganz japanisch. "Es macht mir jeden Tag unglaublich viel Freude, in diese Firma zu kommen und zu sehen, wie sich das Fahrrad entwickelt und fortbewegt." Mit den Jahren wurde Lange zu einer Art Anwalt fürs Rad, das es im politischen Raum unter der Dominanz des Autos nicht immer leicht hat. Es treibt ihn an, dieses Verkehrsmittel in Deutschland nach vorne zu bringen, nicht nur aus Umsatzgründen, sondern auch grundsätzlich. "Das Rad ist das einzige Fahrzeug mit Null-Emission, das auf Kurzstrecken zudem schneller ist als die meisten anderen Verkehrsmittel", sagt er. "Es gibt bei uns inzwischen einige Städte mit einem Radverkehrsanteil von bis zu 25 Prozent. Stuttgart ist mit sieben Prozent davon allerdings weit entfernt. Da muss die Politik mehr tun." Er selbst tut derweil einiges. Lange sucht das Gespräch mit Entscheidungsträgern in Stadt und Land und leistet sich in der Verwaltung eine spezielle Stelle für Fahrradförderung. Wann immer irgendwo eine Bühne aufgebaut wird, auf der es um nachhaltige Mobilitätskonzepte im Ballungsraum geht, mischt Paul Lange & Co. nach Kräften mit. Auf fast 200 Veranstaltungen war die Firma im vergangenen Jahr präsent. Pedalgestützte Lobbyarbeit. "Chancen erkennen, nutzen und umsetzen" ist das Credo von Bernhard Lange, der notfalls auch das deutliche Wort nicht scheut. "Neulich musste ich in Stuttgart etwas abholen und habe das Auto genommen", erzählt er. "Ich brauchte zurück anderthalb Stunden bis Cannstatt. Die ganze Stadt war verstopft. Da hätte ich mal lieber das Rad genommen. Allerdings brauchen wir in Stuttgart bessere Radwege. Darüber wird zwar viel geredet, aber es wird zu wenig getan." Lange schwebt in der stauträchtigen Autostadt ein Radanteil von 20 Prozent im Verkehrsmix vor, ein weitsichtigeres Parkmanagement für Räder und eine bessere Vernetzung der Mobilität. Ihm geht das alles zu langsam. "Wir haben hier die schlechtesten Luftwerte in ganz Deutschland", sagt der Radpionier. "Da wird es höchste Zeit, dass in den Köpfen verankert wird, dass wir umdenken müssen. Das Potenzial des Rads für umweltfreundliche und gesunde Mobilität ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft." Lange macht eine kurze Pause und befeuchtet seine Kehle mit einem Schluck Kaffee. "Man muss das wollen", fährt er mit leichtem Groll in der Stimme fort. "Wir wollen zu wenig und verschieben zu viel auf die nächste Generation." Man könnte ein solches Statement als vorhersehbaren Beitrag eines Lobbyisten abtun, der gut verdient am Rad. Damit aber würde man ihm nicht gerecht. Lange denkt über den Kesselrand hinaus, nicht nur für sich, sondern auch für andere. Reichlich privates Geld steckt er seit Jahren in soziale Projekte, in Stuttgart ebenso wie in Ghana oder in Japan, wo er nach dem schweren Erbeben ein Kinderheim wieder mitaufgebaut hat. Das hat ihm 2013 den Mittelstandspreis für soziale Verantwortung in Baden- Württemberg eingetragen, verliehen von der Caritas gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium des Landes. Sein zentrales Anliegen ist und bleibt bei alledem die Mobilität von morgen. "Fahrradverkehr wird noch nicht als System begriffen, deshalb ist der Paradigmenwechsel pro Rad noch weit entfernt", sagt Lange zum Ende des Gesprächs. Er wird nicht müde, dies zu betonen. Ein dickes Brett, das er stetig bohrt. Zum Glück steht die nächste Generation schon bereit, aufs Rad zu sitzen - und zu setzen. Sein Sohn Paul-César hat Betriebswirtschaft studiert und ist, wie er selbst früher, jetzt für zwei Jahre in Japan, um dort zu lernen und sein Netzwerk aufzubauen, ehe der Sohn in dritter Generation in die Firma einsteigt. "Es ist einfach wunderbar, wenn man weiß, dass es weiter geht im Unternehmen", sagt Bernhard Lange und schenkt sich noch einen Schluck Kaffee ein. Der Schreibtisch ruft. Die meisten Mitarbeiter sind zu Hause. Der Chef macht fürs Rad noch ein paar Überstunden. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Theater lernen
"Die im Dunkeln sieht man nicht", heißt es in der Dreigroschenoper. Zwar agieren die Azubis des Theaterhauses Stuttgart eher im Verborgenen, aber im Gegensatz zum ... mehr "Die im Dunkeln sieht man nicht", heißt es in der Dreigroschenoper. Zwar agieren die Azubis des Theaterhauses Stuttgart eher im Verborgenen, aber im Gegensatz zum Ganoven Mackie Messer aus Bert Brechts Stück müssen sie das Licht nicht scheuen. Dieses Jahr hat das Theaterhaus 30-jähriges Jubiläum gefeiert und fast genauso lang bewährt sich der Kulturbetrieb schon als Ausbildungsbetrieb. Ohne die heutigen Azubis und künftigen Maßschneider, Veranstaltungstechniker, Veranstaltungskaufleute und Bürokaufleute, hier mit dem Theaterhausleiter Werner Schretzmeier, wäre es um das tägliche Rampenlicht auf dem Pragsattel wesentlich schlechter bestellt.
Meister seines Fachs
Eigentlich sollte er Bauingenieur werden, doch er machte lieber auf Rock 'n' Roll. Hans-Peter Haag, Chef der Music Circus Concertbüro GmbH, präsentiert seit mehr als 40 Jahren die ... mehr Das wandelnde Lexikon trägt ein kariertes Hemd unter dem grauen Pulli. An der Wand hängen Poster von Lisa Stansfield, Helene Fischer und Sido. Daneben sitzt an einem kleinen Tisch ein bescheidener Typ, der ein bisschen wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen. Leise redet er über ein lautes Metier. Hans-Peter Haag, Jahrgang 1954, kennt die Stuttgarter Arenen wie kaum ein anderer, und die Löwen, die in ihnen brüllen, die kennt er auch. Die älteren Exemplare sind ihm lieber. Sie sind in Ehren ergraut wie der Schnauzer unter seiner feinen Nase, aber sie haben noch immer diesen unvergleichlichen Sound, der nach Freiheit klingt oder was man sich darunter eben so vorstellt. Hans-Peter Haag ist ein Heutiger, der gerne im Gestern verweilt. Ein braver Rock 'n' Roller durch und durch, seit mehr als 40 Jahren. Mit drei Freunden hat er 1977 in Stuttgart den Music Circus gegründet. Er ist noch übrig geblieben und führt den Laden längst alleine vom Büro am Charlottenplatz aus, das vollgestopft ist mit Ordnern. Zehn Mitarbeiter, ein Jahresumsatz von rund zehn Millionen Euro. "Das ist ein Geschäft geworden", sagt er und klingt dabei wie Freddy Quinn, der lieber Freddy Mercury wäre. In den Siebzigern hat sich Haag mit dem Veranstaltervirus infiziert. Ein Spätberufener der Musik war er damals, als sich die Jugend am Schachplätzle traf und Elvis noch lebte und der Himmel über dem Fasanenhof auf Dur gestimmt war. Die katholische Jugend, der er angehörte, schmiedete wilde Pläne für die Zukunft, die nach Deep Purple klingen sollte. "Smoke on the water." Dafür fängt man am besten klein an, dachten sich die Halbwüchsigen, und gründeten einen Club namens "IG Freizeit". Im Oktober 1971 organisierten sie im katholischen Gemeindesaal das erste Konzert. Die geladene Krautrock- Band hieß "Erna Schmidt" und kam aus Aalen für eine Gage von 400 Mark. Der Eintritt kostete drei Mark, und der Pfarrer im Fasanenhof fürchtete, dass es am Ende ein schlechtes Geschäft für die Gemeinde werden könnte, weshalb er die blutjungen Veranstalter dazu verdonnerte, pro Kopf 50 Mark zu hinterlegen. "Das Konzert lief gut und es blieb sogar was übrig", erinnert sich Hans-Peter Haag. "Das war mein Einstieg." Haag nahm sein Studium als Bauingenieur in Stuttgart auf. Seine wahre Leidenschaft gehörte nicht den Linien auf dem Zeichenbrett, sondern den Linien der Notenliteratur jener Bands, die er nach Stuttgart lotste. Er stieg als Student ins Concertbüro ein und nutzte das Zeichenbrett am Institut, um mit Tusche hübsche Veranstaltungsplakate zu gestalten. Es gab damals reichlich Baustellen in der Landeshauptstadt, die im Umbruch war. Straßenbahnen verschwanden aus dem Stadtbild. Überall Bauzäune, überall seine Plakate. Das zweite Konzert der jungen Firma fand im Gustav-Siegle-Haus an der Leonhardskirche statt. Eine rote Eintrittskarte von damals hat Haag noch heute in seinem Büro. "Mittwoch 28.9.1977. Beginn 20 Uhr." Das Mitnehmen von Tonbandgeräten in die Halle sei "grundsätzlich verboten", steht klein auf der Eintrittskarte. Und darüber, etwas größer gesetzt: "Music-Circus presents AC/DC". Damals freilich kannte die später kultigen Hardrocker kaum einer. Vielleicht hat Haag mit seinen Freunden deshalb auch irrtümlich "Punkrock aus Australien" aufs Plakat geschrieben. Trotzdem kamen 700 Zuschauer, die pro Kopf zehn Mark Eintritt zahlten. Lange her. "Das Geschäft hat sich grundlegend verändert", sagt er. Damals waren die Platten teurer als die Konzerttickets. Niemand hätte gewagt, das zu ändern. Heute muss man für eine Eintrittskarte von AC/DC schon mal 100 Euro hinblättern und die CD kriegt man schon für 12,99. "Die Plattenfirmen hatten damals eben einen ganz anderen Stellenwert", sagt Haag, der mit seiner Firma heute bis zu 200 Konzerte im Jahr veranstaltet. Auf den Bühnen wird viel Geld verdient, an den Regalen der aussterbenden Plattenläden eher weniger. Geblieben ist dem Popbetrieb das Risiko, das in aller Regel beim lokalen Veranstalter liegt. Manchmal legt man drauf, wie bei Avicii, einem schwedischen DJ, der schwer angesagt ist. Haag buchte ihn im vorigen Sommer für ein Open-Air-Konzert unterm Viadukt in Bietigheim. 9.000 Fans kamen, doppelt so viele wären reingegangen. "Das hatte ich zu optimistisch eingeschätzt", grummelt Haag. Zum Glück gibt es auch die andere Seite. Sunrise Avenue ist dafür ein Beispiel. Die Band um den Finnen Samu Haber spielte vor wenigen Jahren noch in der Filderstädter "Filharmonie" vor 2.000 Leuten. Dann wurde der Frontmann bei der Show "The Voice of Germany" zum Publikumsliebling, und Haag verlegte das Konzert im Februar 2014 von der Porsche-Arena in weiser Voraussicht in die größere Schleyer-Halle, die mit 12.000 Plätzen im Handumdrehen ausverkauft war. Als Konzertveranstalter muss Haag den Markt kennen, das Publikum und die Musik. Der Stuttgarter ist ein Meister seines Fachs, vor allem wenn es um die älteren Bands geht. Auf rund fünf Meter Länge erstrecken sich die gesammelten Langspielplatten in seiner Wohnung, bei den CDs kommt er auf mehr als zehn Meter. Devotionalien einer langen Karriere, die er wohl auch deshalb weitgehend unbeschadet durchgestanden hat, weil Haag ein bisschen anders ist als viele Rock 'n' Roller alter Schule. Er hat keinen Fernseher zu Hause, und ein altes Knochenhandy tut es ihm auch. Nach Feierabend liest er lieber ein gutes Buch, als sich schon wieder berieseln zu lassen mit dem neuesten Sound. Und überhaupt nimmt er sich nicht ganz so wichtig. Vielleicht erklärt das eine weitere Kuriosität der Haag'schen Vita, nämlich jene, dass er im gleichen Gebäude mit Michael Russ sitzt, ebenfalls großer Konzertveranstalter. Statt sich zu bekriegen, arbeiten die beiden seit 1978 schiedlich-friedlich zusammen. "Wir sind uns kollegial verbunden und machen gemeinsam Handzettel für die anstehenden Konzerte", sagt Haag. "Wir brauchen dafür nicht mal einen Vertrag." Mit den Jahren ist die Music Circus Concertbüro GmbH zu einem Generalisten geworden. "Von Punk bis Volksmusik, von Motörhead bis Ennio Morricone", erzählt Haag und grinst. Dann gibt es auch noch den Weltweihnachtszirkus, den er seit vielen Jahren veranstaltet. Eine Herzenssache für den Patron. "Zirkus ist eine sympathische Welt", sagt er. "Die meisten Artisten kommen ohne Allüren aus." Das kann man nicht über jeden sagen in einer hektischen Branche, in der sich vieles wandelt und nicht alles zum Guten. "Ich erinnere mich an frühere Veranstaltungen besser", sagt er, "weil das noch vor der Routine war." Was die neuen Themen und Strömungen betrifft, vertraut er verstärkt auf sein Team im Büro. 60 Jahre alt ist Hans-Peter Haag, da denkt man schon mal nach, ob alles so richtig war. "Ich habe es nicht bereut", sagt der Bauingenieur im Rückblick. Auch wenn sich manches in seinem schillernden Metier verändert: Veranstaltungshallen zu konstruieren war nie sein Ding. Er füllt sie lieber mit Leben - auf seine Art. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Felder voller Ideen
Üben für die Expo Milano 2015: In einer alten Gewerbehalle in der Ludwigsburger Weststadt wird der Deutsche Pavillon fit gemacht für die Weltausstellung in Italien. Ein weiteres ... mehr Üben für die Expo Milano 2015: In einer alten Gewerbehalle in der Ludwigsburger Weststadt wird der Deutsche Pavillon fit gemacht für die Weltausstellung in Italien. Ein weiteres Mal stützt sich Deutschlands Auftritt maßgeblich auf Stuttgarter Kräfte. Für das inhaltliche Konzept unter dem Motto "Fields of Ideas" zeichnet die Agentur Milla und Partner verantwortlich; modernste Technik steuert die Universität Stuttgart bei - eine bewährte Zusammenarbeit, die bereits 2010 in Shanghai das chinesische Publikum begeistert hat. expo2015-germany.de
Der Ideenfabrikant
Ulrich Dietz hat klein angefangen. Mit 17 gründete er als Maschinenschlosser seine erste Firma. Jetzt ist er 56 und Vorstandsvorsitzender des globalen IT-Unternehmens GFT Group, ... mehr Das Kinn auf die Faust gestützt, wirkt er ein bisschen wie "Der Denker" des Bildhauers Auguste Rodin. Ulrich Dietz sitzt in seinem Büro, das er bald für ein neues verlassen wird. Auch so eine Idee von ihm. Dietz ist groß in Ideen. Er kann nicht genug davon bekommen. "Ich bin neugierig darauf, wie Dinge gehen können, auf die noch keiner gekommen ist", sagt er. "Das macht mir am meisten Spaß." Das geht schon länger so bei Ulrich Dietz, der ein "grottenschlechter" Schüler war, weil ihn die Welt jenseits des Klassenzimmers brennend lockte. Mit 14 reparierte er Motorräder und machte damit ein paar Mark. Mit 17 gründete er als Maschinenbaulehrling seine erste Firma. Er hatte gemerkt, dass ihm ein gewisses Talent für technische Zeichnungen gegeben war. Er bot seine Dienstleistung an und hatte bald so viele Aufträge, dass er selbst welche vergeben konnte. Nebenbei borgte er sich bei der Oma ein bisschen Geld und kaufte eine Kopiermaschine, was den Umsatz des Jungunternehmers kräftig erhöhte. Viele würden sich vermutlich einrichten in einer solchen Geschäftsidee. Dietz ist da anders. Er ist ein Entdecker, der sich jenseits der ausgetretenen Pfade bewegt, ein Gehender, dem sich der Weg unter die Füße schiebt. Statt sich als Zeichner zu verdingen oder in Pforzheim den elterlichen Schmuckbetrieb zu übernehmen, holte er auf der Abendschule das Abitur nach, studierte Maschinenbau in Reutlingen und heuerte für ein paar Monate bei seinem Patenonkel Berthold Leibinger an, dem Patron des Maschinenbauers Trumpf. Der gab ihm den Rat, beharrlich den Horizont zu weiten. Dietz hielt sich daran und hängte noch ein Studium an: Product Engeneering in Furtwangen. Dort gründete der Diplom- Ingenieur 1985 mit Absolventen ein Institut für Softwareentwicklung. Zwei Jahre später ging daraus das IT-Unternehmen GFT hervor. "Vielleicht ist das ein wenig genetisch bedingt", sagt Dietz über seine Neigung, sich auf ungewohntes Terrain zu wagen, an eine Vision zu glauben und sich dem Markt zu stellen. Sein Großvater hat schon vor dem Ersten Weltkrieg Schmuck in Italien produziert, was damals ziemlich revolutionär war. Der Enkel ist ähnlich veranlagt. Das hat ihn weit gebracht. Dietz verwandelte die anfangs drei Mitarbeiter zählende Softwarebude aus dem Schwarzwald in ein börsennotiertes globales Unternehmen, das Lösungen für Banken und Versicherungen entwickelt, neue Geschäftsfelder erschließt und Anwendungen für den Finanzsektor anbietet. Zu den Kunden gehören nahezu alle großen Banken in Europa, die Post oder auch der Maschinenbauer Trumpf. Die GFT Technologies AG musste gerade erst wieder per Ad-hoc-Mitteilung die Prognose für das laufende Jahr erhöhen und erwartet nun für 2014 einen Umsatz von 360 Millionen Euro. Die Gruppe beschäftigt derzeit 3.100 feste Mitarbeiter in elf Ländern. "Gute Leute ziehen gute Leute an", erklärt Dietz den Aufstieg der Firma, deren Chef von der Neugier getrieben wird wie der Teig von der Hefe. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass vor allem Baden-Württemberg auf den nachwachsenden Rohstoff der Ideen setzen muss, um weiter vorne zu bleiben. "Dieses Land braucht mehr Visionen", sagt er. "Wir managen zu viel vor uns hin." Dietz wirkt bei solchen Sätzen an seinem Schreibtisch wie ein in sich ruhender Prophet, dem das Alter nur wenig anhaben kann, weil er sich jung hält durch Exkursionen in Gegenden, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Auf seinen Reisen hat er viele Menschen getroffen, die seinen Horizont geweitet haben, vor allem auch Künstler, solche, die gerne querdenken. Die mag er. Weniger gern hat er Bedenkenträger, solche, die an lähmenden Gewohnheiten festhalten, die lieber zurückblicken als nach vorne und alles Neue madig machen. Dietz hält als Artenschutzbeauftragter für Ideen dagegen. "Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie." Dieser Satz könnte von ihm stammen. Tut er aber nicht. Albert Einstein hat ihn geprägt. Wie kein anderer setzt sich Dietz für eine neue, vernetzte Entdeckerkultur ein, die in geschützten Biotopen gedeihen kann. Vor diesem Hintergrund zieht die Firma von ihrem bisherigen Domizil in Stuttgart-Plieningen demnächst in ein Bürohaus, gelegen im Stuttgarter Fasanenhof, in dem neben den Büros für die eigenen Mitarbeiter auch 2.000 Quadratmeter für junge kreative Firmen reserviert werden, die Ideen rund um das Thema Mobilität entwickeln. Für ein Jahr dürfen die ausgewählten Gründer in dem deutschlandweit einzigartigen Innovationscampus nicht nur kostenlos Büroräume nutzen, sondern auch das Know-how der IT-Profis von GFT, die seit 2011 jedes Jahr auch einen internationalen IT-Innovationswettbewerb namens Code-n veranstalten. n steht für new. Gesucht werden, man ahnt es, viel versprechende Technologien, die in der Lage sind, den Markt zu revolutionieren. So manche Idee hat bereits Flügel bekommen und wurde von renommierten Firmen gekauft oder hat namhafte Partner gefunden. In Zeiten, in denen der Quartalsbericht zur Firmenbibel wird und der Umsatz den Grundsatz verdrängt, ist eine solche Privatinitiative durchaus ein mutiger Schritt von einem mittelständischen Unternehmen, der freilich so ganz uneigennützig auch nicht ist. "Wir haben davon eine intellektuelle Rendite", sagt Dietz. Die Firmengründer sollen nicht nur die GFT-Leute inspirieren, sondern auch den Kunden des Unternehmens bei Innovationsworkshops die Augen öffnen. Und wenn es eine allzu prickelnde Idee ist, kann sich der Firmenchef durchaus auch vorstellen, dass sich das Unternehmen daran beteiligt. "Man wird nicht dümmer, wenn man mit solchen Start-ups zusammen ist", sagt Dietz, der sich noch gut an die Zeit erinnern kann, als er selbst ein Gründer war und mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg im Technologiezentrum von Sankt Georgen seine ersten Pläne geschmiedet hat. Auf dem Schreibtisch liegt ein silbernes Buch. "The new New". Ulrich Dietz hat es herausgegeben. Für das Werk hat er 18 Vorreiter besucht, die etwas zur Zukunft des Neuen beitragen. Physiker, Architekten, Forscher, Designer, Künstler. "Zahllose Menschen grübeln, tüfteln, basteln, forschen derzeit, um die Gegenwart mitzugestalten", heißt es in dem 200 Seiten starken Band. "Ihr kostbarster Reichtum sind ihre Ideen, Netzwerke und Plattformen ihre Ideenbörsen. Aus diesem grenzenlosen Potenzial entsteht der Rock 'n' Roll unserer Zukunft." Der Ideenfabrikant blickt auf seine Uhr. Draußen wartet die Sekretärin mit Arbeit. Dietz hat noch einiges vor, fühlt sich nicht zu alt für das Neue, für die Choreografie der Entdeckung, die sich längst auch in die nächste Generation fortpflanzt. Neulich hat sein ältester Sohn, gerade 15, eine App entwickelt. Vielleicht kultiviert auch er das unabhängige Denken, das für große Ideen wie das Backpulver für den Kuchen ist. "Als Unternehmer im IT-Bereich beschäftige ich mich von Berufs wegen ständig mit neuen Technologien, Produkten und Märkten", sagt Dietz. "Um global wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir permanent Neues finden und erfinden." Für einen Moment schaut er auf die Pinnwand vor dem Schreibtisch. Dort hängt ein Spruch des Künstlers Martin Kippenberger, den er mag: "Heute denken, morgen fertig!" Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Herzlich Willkommen!
Insgesamt elf Sprachen spricht das Team des im Oktober eröffneten Welcome Center Stuttgart. Neubürger und potenzielle Zuwanderer, die nach Stuttgart und in die Region ziehen ... mehr Insgesamt elf Sprachen spricht das Team des im Oktober eröffneten Welcome Center Stuttgart. Neubürger und potenzielle Zuwanderer, die nach Stuttgart und in die Region ziehen wollen, erhalten dort eine Erstberatung und Lotsendienste zu den richtigen Stellen, unabhängig davon, ob es ums Studieren oder Deutsch lernen, um die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, einen Kita-Platz oder vieles mehr geht. „Nicht zuständig” gibt es hier nicht! Die gemeinsame Servicestelle der Landeshauptstadt Stuttgart und der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH ist ganz zentral im Alten Waisenhaus in der Stuttgarter City am Charlottenplatz untergebracht. welcome.stuttgart.de
Im Land des unbekannten Wissens
Der Stuttgarter Architekt Werner Sobek hat weltweit konstruktive Meisterwerke hinterlassen. Wer ihn beauftragt, will eine Philosophie. Seine liegt im Prinzip der Nachhaltigkeit. ... mehr Vor dem Büro von Werner Sobek in Degerloch gibt es drei bequeme Ledersessel. Es kommt selten vor, dass sie frei sind. Immerzu warten Menschen an diesem Ort, dass sich die Türe einen Spalt öffnet und ein charismatischer Mann zum Vorschein kommt, der ein sprudelnder Quell ist. Die Leute warten gerne, weil er sie bewässert. Sobek sitzt an einem schlichten Tisch, er trägt ein weißes Hemd. Seine wachen Augen blicken durch eine unaufdringliche Brille. Es gibt Typen, die brauchen keinen Schnickschnack und kein pseudokosmopolitisches Imponiergehabe, um den Raum mit ihrer Präsenz zu fluten. Sobek ist so einer. Wer ihm näher kommen will, muss ihn über die Kultur des Bauens reden lassen und ab und zu ein Stichwort hinhalten wie ein Streichholz. Es dauert nicht lange, dann brennt es lichterloh. Der Hausherr hat einiges zu erzählen. Als Architekt, Designer und Ingenieur ist der vielfach preisgekrönte Schwabe weltweit tätig. Seine 1992 gegründete Gruppe zählt mehr als 200 Mitarbeiter und hat Niederlassungen in Stuttgart, Dubai, Frankfurt, Istanbul, Moskau, London, New York und São Paulo. Ein Mann, der in zwei Universen lebt. Einer, der in Dubai die Glasfassade im welthöchsten Wolkenkratzer plant und zugleich in Stuttgart in einem Glashaus sitzt, gepriesen in zahlreichen Architekturpostillen als Keimzelle für eine Revolution im Bauwesen. Sobek bringt das alles spielend zusammen. Für ihn ist es kein Widerspruch, in Bangkok den Flughafen zu bauen und sich zugleich vom Klimawandel derart herausgefordert zu fühlen, dass er in Berlin und Stuttgart mit Leidenschaft und eigenem Geld recycelbare Effizienzhäuser verwirklicht, die vorwegnehmen, wie der Mensch schon heute wohnen kann, um die Erde von morgen nicht zu belasten. Mit dem Virus des Bauens hat er sich früh angesteckt. 1953 in Aalen geboren, genießt Sobek in jungen Jahren am Rande der Ostalb die Weite des unverstellten Blicks ebenso wie die Stille der Provinz. Seine Eltern lehren ihn die Wertschätzung des anderen. Das prägt ihn. Der Vater, Ingenieur bei den Schwäbischen Hüttenwerken, werkelt am Wochenende gerne am eigenen Häusle. Manchmal deponiert er dafür ein paar Säcke Zement in der Garage. Meistens sind sie nach wenigen Stunden verarbeitet, allerdings nicht vom Vater, sondern vom Sohn. "Ich bin einer, der immer Neues schaffen muss", sagt Werner Sobek über sich. "Das ist so, seit ich denken kann." Getrieben von konstruktiver Neugier studiert er bei renommierten Lehrmeistern, die er wenig später beerbt. Als Nachfolger von Frei Otto und Jörg Schlaich leitet Sobek bis heute das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren an der Universität Stuttgart. "Mein Impetus war immer die Schaffung von Schönheit", sagt Sobek, der in Zäunen nicht zuvorderst ein Medium sieht, um sich vor fremdem Blick zu schützen, sondern eine Herausforderung, neue Blicke auf sich selbst zu gewinnen. Das treibt ihn an. Als er in den 1980er- Jahren liest, dass die Politik der Autoindustrie vorgibt, Fahrzeuge zu großen Teilen recycelbar zu produzieren, kommt der Architekt ins Grübeln. Gebäude sind die größten Klimasünder der Welt. Ihr Bau und Abriss, ihr Betrieb und ihre Instandhaltung verbrauchen mehr Ressourcen und sorgen für mehr Emissionen als der gesamte Transport und Verkehr. Sobek beginnt Anfang der 1990er-Jahre erste Vorlesungen über recycelbare Bauten zu halten. Seine Kollegen schütteln den Kopf. Sie wollen nicht über den Verfall nachdenken, sie wollen für die Ewigkeit bauen. Der Stuttgarter Kollege geht seinen eigenen Weg. Seine Exkursionen führen nicht selten über unbekanntes Terrain. Im Jahr 2000 stellt er eine neue Vision in den Raum. Wieder wird er belächelt. Sobek postuliert "Triple Zero". Dahinter steckt die Idee, dass die Gebäude unserer Zeit aufs Jahr verteilt nicht mehr Energie verbrauchen, als sie selbst aus nachhaltigen Quellen erzeugen. Zudem sollen sie kein Kohlendioxid emittieren und eines Tages demontierbar und recyclingfähig sein, so dass kein Müll übrig bleibt. Die viel zitierte Vokabel "Nachhaltigkeit" setzt sich mehr und mehr in ihm fest. 2007 gründet er mit anderen die "Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen", die sich auf ihre Fahnen schreibt, Verantwortung für Probleme wie Klimawandel und Ressourcenverschwendung zu übernehmen, statt sie kommenden Generationen zu überlassen. Fragt sich nur, ob sich das am Ende auch rechnet? In New York hat Sobek ein Schlüsselerlebnis. Er sitzt im Taxi, das im Stau steht. Im Radio unterhalten sich Fachleute über nachhaltiges Bauen und sprechen von einem blödsinnigen Trend aus dem alten Europa. Sobek spürt seinen Blutdruck steigen, als plötzlich einer der Experten in die Debatte wirft, dass auf diesem Markt reichlich Geld zu verdienen sei. Unversehens schwenkt die Runde um. "If there is that much money in the pot, then we go green!" Solchermaßen beflügelt, begeistert der Stuttgarter Architekt auch die Politik für sein baukulturelles Selbstverständnis. Im Dezember 2011 weiht Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Berliner Fasanenstraße einen futuristischen Würfelbau ein, der als einzigartiges Modellprojekt die Alltagstauglichkeit eines Hauses erprobt, das nicht nur mehr Energie erzeugt als es verbraucht, sondern auch noch über eine Elektrotankstelle verfügt und somit als "E-Mobilie" das Wohnen der Zukunft mit der Mobilität der Zukunft verbindet. Sobek ist der Kopf hinter dem "Effizienzhaus Plus", das Hunderttausende von Besuchern in Berlin anlockt. "Ich wollte das weiße Buch des nachhaltigen Bauens mit Text füllen", sagt er.Inzwischen sind einige Kapitel geschrieben und auch in Stuttgart gibt es neuerdings eine Immobilie, die in die Zukunft weist. Das Forschungsprojekt am Bruckmannweg 10, kurz "B10" getauft, liegt im Herzen der 1927 entstandenen Weißenhofsiedlung. Sobek untersucht mit seinem Team, wie innovative Materialien, Konstruktionen und Technologien die "gebaute Umwelt" verbessern können. "Das Nachhaltige ist etwas zutiefst Schwäbisches", sagt der Baumeister und grinst. Sobek ist einer, der polarisiert. Seine Ansichten sorgen nicht selten für Diskussionsstoff. Auch auf die Stadt, in der er lebt und an der er sich manchmal reibt, hat der Architekt seinen eigenen Blick. "Wir haben es bis heute nicht geschafft, eine Erzählung darüber zu schreiben, wie wir unsere Stadt in Zukunft haben wollen." Sobek spricht von unglaublichen Möglichkeiten durch die frei werdenden Bahnflächen inmitten der City, um die Stuttgart in der ganzen Welt beneidet werde. Wenn es nach ihm geht, steht das hundert Hektar umfassende Planungsgebiet "prototypisch für gesundes Wohnen". Fassaden, die Lärm absorbieren, biokompatible Materialien und Plätze mit dem Charakter der Einzigartigkeit. "Ich möchte die Poesie der Natur wieder in diese Stadt bringen." Werner Sobek hat sich den Mund beim Erzählen trocken geredet. Er nippt an seinem Wasser und blickt auf die Uhr. Draußen sitzen die nächsten Gesprächspartner. Sie warten schon eine Weile. Sobek ist gespannt, was auf ihn zukommt. "Ich wandere gerne im Land des unbekannten Wissens", sagt er. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.

Herzogliche Weine
2013 war ein besonders erfolgreiches Jahr für das Team des Weinguts Herzog von Württemberg: Bei drei Wettbewerben gab es drei Mal Gold für rote Spitzenweine, unter anderem für ... mehr 2013 war ein besonders erfolgreiches Jahr für das Team des Weinguts Herzog von Württemberg: Bei drei Wettbewerben gab es drei Mal Gold für rote Spitzenweine, unter anderem für einen Spätburgunder beim Deutschen Rotweinpreis. Bis in das 13. Jahrhundert reicht die Tradition des Weinguts zurück, das sich im Eigentum der Herzöge von Württemberg befindet und dessen Trauben an vielen Hängen der Region wachsen. Von Stetten im Remstal bis nach Maulbronn erstreckt sich das mit 40 Hektar Rebfläche größte private Weingut im Anbaugebiet Württemberg. Untergebracht ist das herzogliche Gut auf der Domäne Schloss Monrepos in Ludwigsburg.
Car to X
Wohl dem, der ein gutes Näschen hat. Edwin Tscheschlok ist so einer. Vor 13 Jahren hat er sich mit Gigatronik selbstständig gemacht. Heute zählt der Entwicklungspartner für ... mehr Am Anfang sind Fische. Schweigend ziehen sie ihre Bahnen durch ein Salzwasserbecken. Die einen schwimmen oben, die anderen unten. Fast wie im richtigen Leben. Wer zu Edwin Tscheschlok will, muss hier vorbei. Das Aquarium ziert den Empfang der Gigatronik-Gruppe, was durchaus passt zu einer vernetzten Firma, die sich so manchen großen Fisch geangelt hat. Der Chef arbeitet zwei Etagen weiter oben. Dr. Edwin Tscheschlok, Jahrgang 1957, Randlos-Brille, weißes Hemd, schwarze Jeans, steht von seinem Schreibtisch auf und holt sich einen Kaffee aus dem Automaten. Er lässt nicht holen. Er holt selbst und flachst dabei mit der Sekretärin, die Besseres zu tun hat. Vielleicht wird man so, wenn man sich tagtäglich jenseits eingefahrener Strukturen bewegt. „Ich habe Freude am Neuen“, sagt er. „Das brauchst du, sonst bleibst du stehen.“ Und stehen bleiben ist nicht sein Ding. „Rara sunt cara“, sagten die alten Römer. Seltenes ist wertvoll. Tscheschlok hat das verinnerlicht und mit dieser besonderen Tugend in wenigen Jahren ein beeindruckendes Unternehmen auf die Beine gestellt. Gigatronik gehört mit 82 Millionen Euro Jahresumsatz mittlerweile zu den 20 weltweit erfolgreichsten Entwicklungs- und Consultingdienstleistern. An elf Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz stehen mehr als 900 Mitarbeiter auf der Lohnliste. Beauftragt werden sie von den führenden Autokonzernen, Kfz-Zulieferern und Technologiefirmen der Republik. Muss man sich da nicht manchmal selbst zwicken, um sich zu vergewissern, dass man nicht träumt? Edwin Tscheschlok zögert für einen Moment und erzählt von seinem ersten Businessplan, in dem er ganz unbescheiden vorausgesagt hat, dass der Laden brummen würde. Mit einem Jahresumsatz von 600.000 Euro hat Gigatronik 2001 angefangen. Ein Jahr später waren es 9,5 Millionen. „Am Mute hängt der Erfolg“, hat Theodor Fontane einmal gesagt. Tscheschlok hatte den Mut, eine gute Portion Erfahrung und vor allem hatte er ein sicheres Gespür dafür, dass die Autos der Zukunft mit Bordcomputern unterwegs sein würden, von Sensoren gespeist und mit der Außenwelt vernetzt, auf dass es der Fahrer der Moderne bequem hat und das Einparken seinem klugen Mobilitätsdienstleister überlässt. In den 1990er-Jahren klang das nach einer Erzählung von Jules Verne. Nur wenige haben daran geglaubt wie Edwin Tscheschlok und seine Kollegen der ersten Stunde, die eine neue Verschmelzung von IT, Elektronik und Mechanik in der Automobiltechnik für so wahrscheinlich hielten, dass sie ihre Zukunft darauf bauten. „Mich interessiert, wohin die Welt geht“, sagt er. Das geht schon länger so bei ihm. Genau genommen seit der Kindheit, die er in Stuttgart verbracht hat. Die Mutter war gelernte Karosserieflaschnerin und vermachte ihrem Filius das Gesellenstück, ein Tretauto für Kinder. Der Vater hatte es eher mit größeren Modellen. Er leitete den Motorenversuch bei Mahle und brachte immer wieder besondere Fahrzeuge nach Hause, vom Citroen bis zum Ferrari. Das prägt. Edwin Tscheschlok studierte Technische Kybernetik und jobbte nebenbei am Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren in Stuttgart. Es gab dort einen Windkanal, an dem Autokonzerne ihre Karossen testeten. Es war die Zeit der Lochkarten. „EDV mit der Hand am Arm.“ Die Autos waren damals oft kantig. Der junge Diplom-Ingenieur arbeitete an windschnittigeren Modellen, beschäftigte sich mit Umströmung von Rädern und mit der Geometrie von Fahrzeugen. Die ersten Simulationen kamen auf. Zehn Jahre blieb Tscheschlok am Forschungsinstitut. Nach der Promotion stand ihm der Sinn nach Veränderung. Einer der großen Entwicklungspartner, IVM-Engineering, suchte einen Fachmann, der sich um ein junges Themenfeld kümmert, von dem man noch nicht recht wusste, was daraus werden soll: Automobilelektronik. Tscheschlok begann als einfacher Mitarbeiter, wurde Teamleiter, Abteilungsleiter und Ressortchef. Zwölf Jahre baute er die Car IT auf. Wie das so ist in großen Unternehmen, gibt es viele Player und nicht immer weiß man, wie sie spielen. Tscheschlok wollte sein eigener Herr sein – und wagte 2001 den Schritt in die Selbstständigkeit. Seitdem ist viel passiert. „Im Rückblick betrachtet sind wir genau zur richtigen Zeit auf den Markt gekommen“, sagt der Ingenieur und streift mit dem Zeigefinger über die eigene Nase. Er hatte den richtigen Riecher. Gigatronik verstand das Automobil von Anfang an als Teil eines weltumspannenden Datennetzes. Die Branche goutierte das. Es ging steil bergauf. Als Vorsitzender der Geschäftsführung ist Tscheschlok oft unterwegs und nicht selten auch eine Art Trendscout. „Ich bin gerne am Puls der Kunden und der Zeit“, sagt er. Dafür setzt sich der Vorsitzende der Geschäftsführung häufig selbst ans Steuer und braust durch halb Europa. „Das muss man wollen“, sagt er. „Sich immer wieder in Neues hineindenken und einarbeiten.“ Ihn hält das fit wie das Golfen, das er für sich entdeckt hat, und wie das Reisen. Unlängst war er in Asien. Manche lassen es langsam angehen. Er nicht. 14 Flüge in drei Wochen. Danach hatte er aufgetankt für die Firma zu Hause. Gigatronik arbeitet an den Autos der Zukunft, hat Aufträge in der Agrartechnik, entwickelt Baumaschinen oder maßgeschneiderte Apps. Der Markt giert nach Innovationen. In einem Fahrzeug der Oberklasse sind heute mehr als 100 elektronische Systeme installiert, die durch eingebettete Software kommunizieren. Noch so manche Vision schlummert in den Köpfen seiner Ingenieure. Dabei kommt den Stuttgartern ein Trend zupass: Verstärkt beauftragen die großen Player gezielt Entwicklungspartner mit kompletten Aufgabenpaketen, um mehr Kapazitäten in den Kernfeldern des eigenen Unternehmens zu bekommen. Das heißt im hart umkämpften Engineering-Sektor wachsen oder weichen. „Langfristig wird es eine Konzentration der Entwicklungsdienstleister in Deutschland geben, denn vielen kleineren Firmen fehlen schlichtweg die Ressourcen“, sagt Tscheschlok. Es gibt viele Projekte, die ihn umtreiben. Über die wenigsten kann er reden. Eines davon ist der neue Aston Martin mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor. Gigatronik kümmert sich um die Elektronik des Steuergerätes. „Ein Leuchtturmprojekt“, sagt Tscheschlok. Auf dem Schreibtisch schnarrt das Handy. Der Chef ist gefragt, nicht zuletzt als Navigator. Car to X – niemand weiß so recht, wohin die Reise geht in Sachen Mobilität. Tscheschlok hat zumindest das Ohr auf der Schiene. Eine Prognose wagt er für die großen Ballungszentren und Megacitys, wo sich heute kaum noch ein Rad dreht. „Das wird der Elektromobilität Vorschub leisten“, sagt der Unternehmer, und: „Der Hybrid kann die Brücke bauen, bis die Technik so weit ist.“ An den Fischen am Firmenempfang flanieren die Mittagstischler vorbei. Zeit für eine Pause. Edwin Tscheschlok widmet sich dem Handy, das keine Ruhe gibt. „Mir macht das immer noch jeden Tag Spaß“, sagt er. Draußen vor seinem Bürofenster wird Spargel gestochen. Drinnen fällt das Mittagessen des Chefs mal wieder aus. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Gut bedacht
Gleich vier brasilianische WM-Stadien hat das Stuttgarter Ingenieurbüro Schlaich Bergermann und Partner mit luftigen Konstruktionen bedacht: das Estádio Nacional in Brasília, ... mehr Gleich vier brasilianische WM-Stadien hat das Stuttgarter Ingenieurbüro Schlaich Bergermann und Partner mit luftigen Konstruktionen bedacht: das Estádio Nacional in Brasília, die Arena da Amazônia in Manaus, das Mineirão in Belo Horizonte sowie den „Templo sagrado no país do futebol“ (Heiliger Tempel im Land des Fußballs) – das legendäre Estádio Maracanã in Rio. Das geht nur im Team – auch mit den Ingenieuren aus Brasilien. Seit der revolutionären Zeltkonstruktion für den Münchner Olympiapark sind die Stuttgarter rund um den Globus bekannt als Weltmeister im Leichtbau. Auch das erste Speichenrad-Dach für ein Stadion – die Mercedes-Benz Arena in Stuttgart – ist eine Konstruktion des Ingenieurbüros.
Der die Charaktere beseelt
Wirkliche Größe offenbart sich im Kleinen. Jedenfalls gilt das für Andreas Hykade. Begegnung mit einem preisgekrönten Trickfilmregisseur, der nur wenige Striche braucht, um fast ... mehr Wenn einer hinauszieht in die Welt, dann ist ein wenig Beistand nicht verkehrt. Im Fall von Andreas Hykade, Jahrgang 1968, mag die Heilige Muttergottes höchstselbst ein wenig Regie geführt haben, was natürlich eine Mutmaßung ist, die allerdings auf dem Umstand fußt, dass in Altötting, wo beide ihre Wurzeln haben, seit je ungewöhnliche Geschichten geschrieben werden. Und jene von Andreas Hykade ist so eine. In Deutschlands wichtigstem Wallfahrtsort, gelegen zwischen Inn und Alz, ist der Oberbayer herangewachsen. Ministrant ist er gewesen, und als sich der Pontifex in Altötting ankündigte, fügte es sich gut, dass für eine kirchliche Inszenierung nach menschlicher Größe gesucht wurde, oder besser gesagt nach einem Ministranten von entsprechendem Wuchs. Hykade hatte das nötige Maß und so kam es, dass Karol Józef Wojtyla, besser bekannt als Johannes Paul II., in Altötting dem halbwüchsigen Andreas über den Kopf streichelte, was natürlich gottsallmächtig prägt. Es ist ein Kreuz mit der Vergangenheit, weiß Andreas Hykade fast 40 Jahre später, den mit der Gnadenkapelle zu Altötting noch immer mancherlei verbindet. Wie sonst ist es zu erklären, dass er auf der Internetseite der Stuttgarter Film Bilder GmbH, für die er heute neben seinem Amt als Kunstakademie-Professor kreativ ist, gleich im ersten Satz über sich schreibt: „Andreas Hykade, born in Altötting, Bavaria, center of the Holy Mary cult“. Dass ihn der Marienkult bis in die Gegenwart bewegt, manifestiert sich freilich auch darin, dass die neueste Produktion des renommierten Animationsfilmers in der Kapelle zu Altötting spielt und eine Liebesgeschichte im Dunstkreis der Religion ist. „Mich treibt das autobiografische Erzählen“, sagt der Trickfilmregisseur. Er sitzt an diesem Nachmittag im zweiten Stock des Ludwigsburger Animationsinstituts und zeigt auf ein paar Skizzen, die ihm schon aus der Hand geflossen sind. Der Gnadenmuttergottes begegnet Hykade mit der Gnade eines Talents, das sich ihm bereits im Kunstunterricht bei seinem Lehrer Alto Hien zart offenbart hat. Er hatte damals schon ein Faible für animierte Figuren, was auch an Fred Feuerstein lag, der im öffentlichrechtlichen TV eine große Nummer war. Hykade, eher dem Tätigen als dem Untätigen zuneigend, hatte bald eine klare Vorstellung vom Leben. „Ich wollte Trickfilm machen und dann zu Walt Disney.“ Da an den Kreuzungen des Lebens keine Wegweiser stehen, landete er nach dem Abitur erst einmal in Stuttgart an der Kunstakademie, von dort ging es nach London. „Das war ein heißes Pflaster, was Animationsfilm betrifft“, sagt er im Rückblick. Irgendwann war der Markt überhitzt und der Wunsch groß, eigene Filme zu machen. Der Oberbayer strandete in Ludwigsburg an der Filmakademie. Dort brachte er seine ersten Produktionen auf den Weg, welche gleich mit den ersten Preisen bedacht wurden, die einer wie er nicht wie die Monstranz bei der Fronleichnamsprozession vor sich herträgt, sondern still als Ansporn nimmt, „sich die eigene künstlerische Handschrift nicht korrumpieren zu lassen“, wie er das nennt. Die Region erwies sich für Hykade als gutes Pflaster. Als Student profitierte er von der Trickfilmförderung und saugte die kreative Atmosphäre einer Community in sich auf, die sich hier in besonderer Weise entfalten kann. „Ludwigsburg ist eine der besten Ausbildungsstätten in Europa“, sagt er. Vor allem das Trickfilmfestival Stuttgart beflügelte seinen Schaffensdrang und kam ihm nicht selten wie ein Jungbrunnen vor. Bis heute ist er regelmäßig zu Gast und bereichert die Veranstaltung mit Filmpräsentationen und Programmpunkten. „Ich bin viel unterwegs gewesen“, sagt Hykade. „Aber so etwas gibt es nirgendwo sonst, weder in Montreal noch in New York.“ Hykade, der keiner für die kriechende Mittelmäßigkeit ist, kultivierte in der schwäbischen Barockstadt seinen unnachahmlichen reduzierten Strich, mit dem sich das ganze emotionale Spektrum abbilden lässt. Er entwickelte sich zu einem meisterlichen Verführer, der lustvoll offenbart, dass die Dinge oft nicht sind, wie sie scheinen. Das zeigte er auch in einem Animationsvideo, das er im Auftrag der Toten Hosen machte. Der Jägermeister- Clip verhalf der Düsseldorfer Band zum ersten Platz in den Charts – und ihm zu weiteren Meriten. Wenn ihm der Hut hochgeht, der gleichfalls sein Markenzeichen wurde, vertraut der Künstler seine inneren Eruptionen einem dicken Skizzenbuch an. Freunden und Feinden schickt er am Jahresende die passenden Werke. Als ihm seine Frau eröffnete, dass er Vater wird, griff er umgehend zum Stift. Es ist die Geburtsstunde einer Figur, die mittlerweile Generationen von Kindern fasziniert: „Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig.“ Die erste Zeichnung vermachte er Thomas Meyer-Hermann, Gründer der Stuttgarter Trickfilmproduktion Studio Film Bilder. Gemeinsam mit dem Südwestrundfunk schickten sie Tom auf die Reise, der bis heute im Kinderkanal den deutschen Nachwuchs fasziniert. Inzwischen gibt es 52 Folgen. Jede von ihnen besteht aus rund 5.000 Handzeichnungen, die mit Flash-Software nachgezeichnet und dann per Computer animiert werden. Auch Tom hat letztlich mit Altötting zu tun, wo Hykade seiner sechs Jahre jüngeren Schwester einst Geschichten von der Erdbeermaus erzählt hat. Die Figur hatte sich in seinem Kopf eingenistet, er hatte sie quasi ständig vor Augen. „Wenn das Unsichtbare stimmt“, sagt er, „ergibt sich das Sichtbare von alleine.“ Nicht von ungefähr haben Tom und seine Erdbeermaus als Comic-Helden eine beeindruckende Karriere hingelegt, vom Geheimtipp im Web zum Pflichtprogramm für Kinder im Fernsehen. Dabei ist Tom alles andere als ein Held: ein schmächtiger Bursche, stoppelhaarig und bebrillt. Wofür ihn die Kinder lieben: Er hat immer Kohldampf – und zwar auf Erdbeermarmeladenbrote mit Honig. Hykade hat den Charakter der Figur beseelt, der mittlerweile verstorbene Schauspieler Dirk Bach als Synchronsprecher sämtlichen Protagonisten die passende Stimme eingehaucht. Jede Geschichte hat ihre eigene Botschaft. Die Denkweite liegt in der Strichkürze. „Wenn du die Dinge verknappt darstellst“, sagt Andreas Hykade, „bleibt Raum für den Zuschauer.“ Wer so redet, dem klebt man gerne an den Lippen. Hykade ist seit einigen Jahren selbst Lehrender. In Kassel ließ er den Animationsnachwuchs an seiner Sicht auf die Welt teilhaben, später auch an der Harvard University. Seit 2011 ist er Professor am Animationsinstitut der Ludwigsburger Filmakademie, wo er irgendwie angekommen ist. „Only one thing I did wrong“, erklärt er diesen Umstand mit Bob Dylan. „Stayed in Mississippi a day too long.“ Es ist spät geworden. Andreas Hykade sitzt in einem Ludwigsburger Büro und schaut auf sein Skizzenbuch. Im Moment ärgert er sich über die Immobilienbranche. Das könnte neben seiner biografisch eingefärbten Story aus Altötting das nächste Projekt werden. Hykade bindet sich einen roten Schal um und setzt den Hut aufs lichte Haupt. Termin beim Makler. Vielleicht schickt er dem Mann am Jahresende eine Zeichnung. „Meine Geschichte auf einem Blatt Papier“, sagt der Künstler und eilt davon. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Lift Up!
Vom Proberaum auf die Bühne – Benhur, Dani, Moritz und Yannic aus Plochingen haben ein großes Ziel: einen ihrer Songs im Radio zu hören. Den ersten Schritt haben die vier Jungs ... mehr Vom Proberaum auf die Bühne – Benhur, Dani, Moritz und Yannic aus Plochingen haben ein großes Ziel: einen ihrer Songs im Radio zu hören. Den ersten Schritt haben die vier Jungs von der Deutsch-Indie-Rock Band lift up! schon geschafft. Beim Rocktest 2014 holten sie sich mit mitreißendem Spaß an der Musik und viel Charisma den ersten Platz. Der Gewinn ist ein Auftritt beim Lauter-Festival in Zürich. Das Popbüro Region Stuttgart veranstaltet den Wettbewerb für junge Bands jedes Jahr. Neben dem großen Auftritt in der Schweiz erhalten die vier Finalisten einen Studioaufenthalt und Werbematerial.
Der Weg ist das Ziel
Habiburrahman Dastageeri, Sohn afghanischer Einwanderer, kommt nicht gerne vom rechten Weg ab. Deshalb hat der Stuttgarter Informatiker eine App für die Pilgerstätte der Muslime ... mehr In der Hochschule für Technik in Stuttgart zückt Habiburrahman Dastageeri sein Smartphone und startet das Programm. Es heißt „Amir“, arabisch für „Führer“. Ein Fingertipp und Amir öffnet sich wie das Felsentor der Schatzkammer bei Ali Baba. Ein Modell der Al-Haram-Moschee in Mekka tritt zum Vorschein und es beginnt der Wissenstest. „Wo befindet sich der grüne Bereich?“ ist eine der Fragen. Im grünen Bereich müssen die Pilger etwas schneller laufen. Mit dem Finger lassen sich verschiedene Orte wählen, nur einer davon ist richtig.Wie kommt man auf die Idee, mitten in Schwaben, gut 5.000 Kilometer von Mekka entfernt, ein Programm zu schreiben, welches den Pilgern in der heiligsten Stadt das nötige Know-how vermittelt? Manchmal beginnen große Geschichten mit einem kleinen Irrtum. Diese ist so eine. Am Anfang steht die Reise eines Studenten aus Stuttgart, der alles richtig machen will bei seiner Pilgerreise in die Geburtsstadt Mohammeds und sich deshalb
gründlich einliest. „Da waren plötzlich unvorstellbar viele Menschen und alle hatten das Gleiche an“, sagt Habiburrahman Dastageeri. Er kam auf einen falschen Pfad und zugleich auf eine richtig gute Idee.
Sieben Jahre ist das jetzt her. Seitdem hat sich einiges getan im Leben des Stuttgarter Softwareingenieurs. Vor wenigen Wochen hat er einen Vertrag mit der Saudi Telecom Company unterschrieben. Der größte Mobilfunkanbieter im Nahen Osten wird seine Mekka-App von jetzt an vertreiben. Für umgerechnet rund 2,50 Euro kann sich der internationale Pilger schwäbische Software herunterladen. Ein vielversprechendes Geschäftsfeld, wenn man bedenkt, dass jedes Jahr acht Millionen Menschen nach Mekka reisen, denen Herr Dastageeri nicht weniger sein will als ein guter Führer
Es ist ein nebeliger Wintermorgen an der Hochschule für Technik in Stuttgart. Habiburrahman Dastageeri sitzt in einem vollgepackten Büro vor zwei Bildschirmen, während draußen die Studenten zu ihren Vorlesungen hasten. Der Erfinder ist nebenbei wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule, der er viel zu verdankenhat. Hier hat er studiert, hier kam seine Idee von der Mekka-App zum Fliegen. „Die Hochschule für Technik hat mich enorm gepusht“, sagt Dastageeri. Ohne sie wäre er nicht, was er ist: ein 33-jähriger Unternehmer mit eigener Software, welche das Zeug hat, die Welt zu verändern. Jedenfalls die der Muslime, was insofern auch betriebswirtschaftlich von Belang ist, als deren Zahl weltweit auf 1,6 Milliarden geschätzt wird.
Eine hübsche Karriere für einen, der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist. Seine Eltern stammen aus Afghanistan, er selbst ist nie dort gewesen. Dastageeri kam in Mainz als Sohn eines Entwicklungshelfers und einer Lehrerin zur Welt. Als er die achte Klasse hinter sich hatte, siedelte die Familie in den Stuttgarter Westen um. Er machte in der Landeshauptstadt sein Abitur, betreute als Zivi Schwerstbehinderte und schrieb sich später für ein Informatikstudium ein. Vielleicht wäre alles anders gekommen ohne diese Pilgerreise im Jahr 2006. Mit seinen Eltern und den beiden Geschwistern flog er nach Mekka und verfehlte im Getümmel die vorgegebene Route. Diese Panne war für die innere Reinigung nicht weiter von Belang, ließ ihn aber gedanklich nicht mehr los. Heute, wo fast jeder ein Handy hat, sagte sich Dastageeri nach seiner Rückkehr, könnte ein handliches Navigationsprogramm für den modernen Pilger nicht schaden. Sprach’s und machte diese Vision zu seiner Masterarbeit an der Hochschule für Technik. In Prof. Volker Coors fand er einen Mentor, der ihn bis heute fördert. Auch die Wirtschaftsministerien in Bund und Land haben den Pionier unterstützt.
Leider dauert es seine Zeit, bis sich gute Ideen durchsetzen. Dastageeri weiß das und lächelt die Zweifel an seinem Schreibtisch weg. Vor ihm liegt ein Buch von Abu Muneer Ismail Davids, einem Australier, der als Spezialist für Pilgerreisen nach Mekka gilt. Auf der zweiten Seite gibt es eine Widmung. „To Brother Habbiburrahman, may Allah make your journey easy for you.“ Der Experte aus Australien hat seine Software umfassend geprüft und für gut befunden. Ebenso das saudische Hadsch-Ministerium und die Universität von Mekka. Das kommt einem Ritterschlag gleich.
Vielleicht wird er noch reich mit seiner Idee, wer weiß? Die Perspektiven sind jedenfalls verheißungsvoll. Eine Reise nach Mekka ist der Höhepunkt im Leben gläubiger Muslime. Wer es sich finanziell erlauben kann, ist nach der gängigen Lehre gehalten, sich auf den Weg zu machen. Die Nachfrage ist riesig. Wie bei einer gigantischen Messe treffen sich in Mekka höchst unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Der englische Pilger tickt anders als der iranische. Es gibt die Umrah, die drei Stunden dauert, und es gibt die Hadsch, die sich über sechs Tage erstreckt. Die Pilger müssen eine ganze Reihe von ritualisierten Aufgaben in festgelegter Reihenfolge bewältigen. „Für Hadsch und Umrah gibt es 48 verschiedene Varianten“, sagt Dastageeri. Es komme darauf an, welcher der vier Rechtsschulen man angehört, ob man Mann oder Frau sei, und für welche der drei Hadsch-Arten sich der Gläubige entscheide.
„In der Religion geht es letztlich darum, das Miteinander mit allen Menschen zu verbessern“, erklärt der gläubige Muslim sein Weltbild. In diesem Sinne versteht er auch seine Software. Sie verbessert das Miteinander an einem Wallfahrtsort, für den jedes Jahr mehr als sieben Millionen Visa ausgestellt werden. Mitunter kann es passieren, dass plötzlich Hektik ausbricht oder einige Schafe aus der großen Herde für einige Tage als vermisst gemeldet werden, weil sie komplett die Orientierung verloren haben. Dagegen hilft der Wahlschwabe mit afghanischen Wurzeln auf seine Art.
Seine App führt die Pilger vom Morgengebet bis zum Nachtpflichtgebet, es bereitet sie vor, klärt sie über Verbote auf und unterzieht sie einem Vorbereitungstest. Vor Ort kann das Programm verirrte Gläubige mittels GPS buchstäblich auf den rechten Weg führen. „Wir spinnen diese Idee jetzt noch weiter“, sagt der hagere Softwareentwickler mit dem gütigen Gesicht. In der zweiten Stufe sollen die Pilger auch physisch und psychisch vorbereitet werden, auf dass sie möglichst nicht in Panik geraten. Neulich war Dastageeri deshalb auf der Hadsch-Konferenz in Malaysia, wo er seine Ideen der erweiterten „Fitness App“ vortragen konnte. Im Malaysia nimmt man die religiöse Zeremonie besonders ernst. „Bis zu zehn Jahre warten die Pilger auf ihr Visum“, sagt Dastageeri. „Und sie bekommen es nur, wenn sie vorher ein Schulungsprogramm durchlaufen und eine Prüfung abgelegt haben.“
Manche Geschäftsleute werden von der Gier getrieben, Habiburrahman Dastageeri treibt eher die Neugier. Er weiß nicht genau, was kommt, aber er ist gespannt darauf. Für sein Projekt verbringt er jedes Jahr Monate im Ausland. „Ich bin dann immer wieder froh, wenn ich zu Hause bin“, sagt er. „Um international sein zu können, braucht man einen Platz, an den man zurückkehren will.“ Was den ganz persönlichen Wallfahrtsort betrifft, ist Dastageeri fündig geworden. Im vergangenen Jahr hat er in Stuttgart geheiratet. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.

Blindenfußballmannschaft des MTV Stuttgart
Die Erfolgsgeschichte der Blindenfußballmannschaft des MTV Stuttgart geht weiter. Bereits zum vierten Mal seit Gründung der Blindenfußball-Bundesliga im Jahr 2008 wurde das Team ... mehr Die Erfolgsgeschichte der Blindenfußballmannschaft des MTV Stuttgart geht weiter. Bereits zum vierten Mal seit Gründung der Blindenfußball-Bundesliga im Jahr 2008 wurde das Team Deutscher Meister – vielleicht deshalb, weil in Stuttgart der erste spezielle Blindenfußballplatz Deutschlands gebaut wurde. Bei dem Spiel sorgen laute Rasseln im Innern des Balls für die Orientierung der Sportler. Durch eine spezielle Lauftechnik bleiben Füße und Ball in Berührung, bis dieser weitergepasst wird. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der persönlich die Meisterschale überreichte, war von der Koordination und der Ballbehandlung der Spieler begeistert. „Ich hätte mir das so nicht vorstellen können“, staunte der Präsident.
Nürtinger Nachtwanderer
Seit 2011 gehen in Nürtingen Ehrenamtliche nachts auf Wanderschaft: In kleinen Gruppen steuern sie am Wochenende Treffpunkte von Jugendlichen an, um Konflikte zu begrenzen und ... mehr Seit 2011 gehen in Nürtingen Ehrenamtliche nachts auf Wanderschaft: In kleinen Gruppen steuern sie am Wochenende Treffpunkte von Jugendlichen an, um Konflikte zu begrenzen und eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Die Nürtinger Nachtwanderer sind keine Hilfspolizisten oder Sozialarbeiter, sondern engagierte Bürger, die ein respektvolles Miteinander fördern wollen. Sie verstehen sich als Gesprächspartner, hören den Jugendlichen zu, bauen Vertrauen auf und bieten Unterstützung an. „Allein, dass jemand da ist, der sich für die Jugendlichen interessiert, bewirkt viel“, sagen sie. Die Idee, die ursprünglich aus Schweden stammt, hat inzwischen in mehreren Orten der Region Stuttgart Nachahmer gefunden. Mitwanderer werden allenthalben gesucht.
Elektrisiert vom Rad
In seinem Institut löst er eckige Probleme, damit es auch in Zukunft rund läuft: Der Ludwigsburger Ingenieur Dirk Zedler ist bundesweit gefragt, wenn es um die Technik von Bikes ... mehr In Leidenschaft steckt das Leiden, und wenn man es genauer betrachtet, hängt das eine nicht selten mit dem anderen zusammen. Dirk Zedler kann davon ein Lied singen. Der Mann ist leidenschaftlicher Pedalritter. Sein Pferd ist das Stahlross und seine Mission die Überzeugung, dass die Mobilität von morgen weniger von vierrädrigen PS-Giganten und mehr von federleichten Hightech-Maschinen bestimmt sein sollte. Das Leid liegt darin, dass sich Menschen nicht so leicht umgewöhnen. Revolutionen dauern ihre Zeit in diesen Breitengraden. "Es ist zäh", sagt Zedler. "Aber ich bin ausdauernd." Bei ihm ist ein solcher Satz keine Drohung, eher ein Versprechen. 50 Jahre alt ist der Ingenieur und zwei Drittel davon beschäftigt er sich mit Rädern und ihrem technischen Potenzial. Mit der Zweiradmaterie ist es bei ihm wie mit dem Salzwasser. Je mehr man davon zu sich nimmt, desto durstiger wird man. Es ist früher Nachmittag. Der Hausherr sitzt in seinem Büro vor einer Wand, an der drei Rennräder hängen. Sie haben ihm gute Dienste geleistet und stehen für die Evolution des Fahrrads, das bei immer mehr Technik immer noch leichter wird. Das älteste hat er sich 1985 gebraucht gekauft und damit seinen ersten Triathlon bestritten. Lange her. Damals konnte sich noch keiner vorstellen, dass Drahtesel unter Strom stehen, Berge zu Hügeln schrumpfen und in Ludwigsburg ein bundesweit gefragter Fahrradfetischist einen Jahresumsatz von einer Million Euro einfährt. Man darf es wohl eine Erfolgsgeschichte nennen. Seine hat eine Botschaft. Die Botschaft von Dirk Zedler ist, dass man an eine Sache glauben muss, auch wenn es sonst keiner tut. Als er sich 1993 selbstständig machte, ist er zur Industrie- und Handelskammer nach Stuttgart gefahren. "Guten Tag, ich möchte öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Fahrräder werden", sagte er. "Wer braucht das denn?", konterte sein Gegenüber gelangweilt. In der Autoregion konnte man sich beim besten Willen nicht vorstellen, welches Potenzial in einer velophilen Zukunft schlummern sollte. Als Triathlet kannte er sich aus mit schwierigem Gelände, und also strampelte er weiter. Woche für Woche. Tag für Tag. Bis sie ihn akzeptiert haben. Verdient hat er in der Anfangszeit nur wenig, gearbeitet umso mehr. Die Stunden, die zählen, sind die Stunden, die nicht gezählt werden. Die meisten Freunde aus seinem Studiengang hatten längst feste Anstellungen und monatliche Überweisungen ihrer Arbeitgeber. Er hatte nur diesen Traum. Er war eher zufällig gereift. Nach Abitur und Bundeswehr studiert Zedler Kraftfahrzeugbau in Karlsruhe, wo die Professoren im Anzug durch die Stadt radeln. Er tut es ihnen gleich und schafft sich ein rostiges Vehikel an, mit dem er alle Strecken zurücklegt. Irgendwann fragt ihn jemand, ob er bei einem Triathlon mitmachen wolle. Das Schrauben beginnt. Als Autodidakt tüftelt er an seinem Sportgerät und baut die ersten Scheibenräder aus Glasfaser. Ein solches Hobby kostet Geld. Der Student verdient es sich, indem er bei einem Radsportgeschäft in Ludwigsburg jobbt, wo ein Freund arbeitet. In der vorlesungsfreien Zeit radelt Zedler von Karlsruhe 85 Kilometer in die Barockstadt, arbeitet im Laden und fährt abends wieder zurück. Learning by doing. Der Rest ist schnell erzählt. Nach dem Studium wird er Geschäftsführer in dem Radsportgeschäft, merkt aber bald, dass im Verkaufen nicht seine wahre Berufung liegt. Dirk Zedler fasst den Entschluss, Sachverständiger für Räder zu werden. Die Konkurrenz ist überschaubar, bundesweit gibt es nur zwei Kollegen. Pioniere haben es nicht leicht. In den ersten Jahren sponsern ihn die Eltern. Die ersten Gerichte wenden sich an den Fachmann, um Schadensfälle zu regulieren. Egal ob leichte Carbonrahmen oder schwere Sattelstützen, Fahrradverschleiß oder Materialermüdung: Der Ingenieur schaut genau hin. Fleißig baut Zedler ein gewaltiges Archiv auf. Er sammelt Tausende von Preislisten und Katalogen und kann fast jedes Fahrradmodell der letzten 30 Jahre in Ausstattung und Preis beschreiben. Immer mehr Versicherungen setzen auf seinen Rat. Je teurer die Räder werden, desto öfter versuchen findige Radler an ein neues Modell zu kommen, indem sie ihre Hausratversicherung bemühen. Nicht immer stimmen die Angaben über das Modell mit der Wirklichkeit überein. Eine Fahrradzeitschrift kauft ihn als sachkundigen Werkstatt- Kolumnisten ein, Hersteller ordern verständliche Betriebsanleitungen. Die Aufträge kommen bald nicht nur aus der ganzen Republik, sondern auch aus Nachbarländern. Die technischen Dokumentationen für neue Modelle verfasst der Meister mit seinem Team in 24 Sprachen. 2001 stellt er den ersten Mitarbeiter ein und baut sich ein drittes Standbein auf, das viel Geld kostet, aber ein wichtiger Teil seines Traums wird: Zedler sorgt für vorausgreifende Gewissheit, indem er in seinem schallgedämmten Labor prüft, wie belastbar und sicher Rahmen, Sättel, Tretlager oder Lenker vor der Markteinführung sind. Dafür entwickelt er eigene Prüfmaschinen, die er auch an Hersteller verkauft. Man kann sich das alles im Ledersessel vor dem Schreibtisch nur schwer vorstellen. Der Firmenchef hat genug erzählt. Jetzt will er was zeigen und schlägt einen Rundgang durchs Haus vor, in dem er heute 15 Mitarbeiter beschäftigt, darunter einige Ingenieure. Man kann Rad fahren oder Rad leben. Spätestens jetzt wird klar, dass auch beides geht. Zedler öffnet Vitrinen mit Radgabeln, die nicht hielten, was sie versprachen, und führt durch Räume, in denen die Geschichte der pedalgestützten Mobilität konserviert ist. Ein original Diamant-Rennrad der Tour de France hat im hauseigenen Museum seinen Platz neben dem ersten vollgefederten Modell von 1890. "Das Rad war damals der Motor der Industrialisierung", sagt der Profi. 120 Jahre später wiederholt sich die Geschichte, und der gute alte Drahtesel wird erneut zum Motor einer Hochtechnologie, die Elektromobilität heißt. Jede Tour geht irgendwann zu Ende. Der Radsachverständige kehrt in sein Büro zurück, in dem sich die Arbeit stapelt. Sein Urteil ist gefragt, die Auftragsbücher sind voll. Immer mehr hat er jetzt mit E-Bikes zu tun, die bei ihm geprüft werden. Manche rüsten einfach ihr altes Rad mit einem neuen Akku nach. Zedler kann nur davon abraten. Motor und Akku verändern die Konstruktion. Und die gesamte Velobranche. 2009 wurden in Deutschland 150.000 E-Bikes verkauft. 2012 waren es 400.000. Der Pionier findet das gut. "Das Pedelec bringt vielen Menschen die Freude an der Bewegung und an der Natur zurück." Der Unternehmer geleitet den Besucher zur Türe. Davor gibt es überdachte und beleuchtete Fahrradparkplätze. Die Mitarbeiter dürfen alle Modelle testen und ihre privaten Räder jederzeit vor Ort reparieren. Sie können an ihrem Arbeitsplatz duschen, Handtücher und Shampoo stellt der Chef ebenso wie Apfelsaftschorle. Das hat ihm den Titel fahrradfreundlichster Arbeitgeber" im Land eingetragen. Selbstverständlich fährt er selbst auch im Winter mit dem Rad ins Büro. Bei wichtigen Terminen in der Stadt nimmt er das E-Bike, auf dem er nicht schwitzt. Das Rad sei jetzt steuerlich dem Auto gleichgestellt, merkt er zum Abschied an. Wer hätte das noch vor einigen Jahren gedacht? "Es tut sich langsam was", sagt Dirk Zedler, der immer daran geglaubt hat. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Stuttgart Valley Rollergirls
Wer auf Künstlernamen wie Ellie Minate, Anjabolika oder Silicon Sally trifft, ist unfehlbar unter den Stuttgart Valley Rollergirls gelandet, dem ältesten Roller-Derby-Verein in ... mehr Wer auf Künstlernamen wie Ellie Minate, Anjabolika oder Silicon Sally trifft, ist unfehlbar unter den Stuttgart Valley Rollergirls gelandet, dem ältesten Roller-Derby-Verein in Deutschland und amtierenden Deutschen Meister in dieser trendigen Sportart. Mit viel Körperkontakt rempeln sich die Spielerinnen in rasanter Rundfahrt durch einen Pulk von Gegnerinnen – blaue Flecken und verstauchte Knöchel inbegriffen. Für die „Bouts“ genannten Wettkämpfe brezeln sich die Ladys mit reichlich bunter Schminke und wilden Frisuren auf. Beim Finalturnier der zehn besten deutschen Teams von 28. bis 30. Juni in der Eiswelt Stuttgart wollen die Valley Girls den Heimvorteil nutzen und ihren Titel mit Macht verteidigen.
Bestens verkabelt
Mit drei floh er an der Hand seiner Mutter in den Westen, mit 35 gründete er seine erste Firma, die Lapp Systems. Jetzt ist er 60 und noch immer schwer auf Draht: Hausbesuch bei ... mehr In einem schlichten Besprechungsraum sitzt ein Mann, an dem alles sitzt. Frisur, Krawatte, Anzug. Er hat eine Stunde für das Gespräch. Mehr gibt sein Terminkalender nicht her. "Ich habe keine Zeit, mich zu beeilen", hat der russische Komponist Igor Strawinski einmal gesagt. Bei einem schwäbischen Unternehmer klingt das ein bisschen anders. "Ich habe keine Zeit für Jetlag", sagt Siegbert Lapp, Technikvorstand des gleichnamigen Familienkonzerns. Der Mann ist viel unterwegs, heute in Amerika, morgen in Asien. Er fliegt durch die Zeitzonen der Welt wie die Frau aus der Werbung für "Drei Wetter Taft". Sie sieht immer gut aus. Bei ihm ist das ähnlich. Vielleicht liegt das an seinen Genen. Sein Vater Oskar war auch von diesem Schlag. "Mister Kabel" haben sie ihn ehrfürchtig genannt. Aus einer Garagenfirma hat er einen weltweit führenden Konzern geformt, der heute 3.150 Mitarbeiter auf der Lohnliste hat, 17 Fertigungsstandorte unterhält und 860 Millionen Euro Umsatz einfährt. Die Unternehmensgruppe ist zu 100 Prozent im Besitz einer Familie, die nicht nur zusammenhält, sondern Familie auch außerhalb der eigenen Reihen großschreibt. Nicht von ungefähr steht Siegbert Lapp seit 21 Jahren einem Verein vor, der sich zum Ziel gesetzt hat, bedarfsgerecht und unternehmensnah Kinderbetreuung anzubieten. Heute ist diese Idee salonfähig, in den 1990er-Jahren tingelte Lapp als Exot durch so manche Salons, in denen verdutzte Kollegen saßen, die er um Geld für eine Tagesstätte bat. Als sie 470.000 Mark zusammenhatten, eröffneten sie 1994 die Bärcheninsel - das erste von inzwischen sieben Kinderhäusern in Stuttgart. "Die Welt besteht aus denen, die etwas tun, denen, die zusehen, wie etwas geschieht, und denen, die fragen, was geschehen ist." Dieser Satz stammt von dem US-Manager Norman Augustine, passt aber gut auf die Lapps aus Germany, die seit je mehr vom Tun verstehen als vom Nichts-Tun. Nur so ist ihr soziales Engagement zu erklären und überhaupt ihre Geschichte, die vom Atem der Tellerwäscherkarrieren umweht wird. Die Teller, das waren in ihrem Fall die Kabel. Siegbert Lapp kann sich noch gut erinnern, wie er an der Hand seiner Mutter "rübermachte". Sie flohen in Berlin über die Grenze in den Westen. Er war damals drei Jahre alt und kannte nicht viel mehr von der Welt als ein kleines Städtchen im Thüringer Wald namens Benshausen. Dort hat die Familie ihre Wurzeln, dort war sein Vater Oskar 1921 geboren. Sie hatten einen kleinen Gewerbebetrieb für Drehteile und Ventile. Im Krieg musste Oskar Lapp an die Front, er landete im sibirischen Gefangenenlager. Nach seiner Rückkehr versetzte der junge Ingenieur zum ersten Mal Grenzen, die andere gesetzt hatten. Er suchte sein Glück nicht in der umfriedeten Heimat, sondern in Süddeutschland, wo seine Schwester wohnte. Die Familie kam in Echterdingen unter. Sie waren Aussiedler und hatten nicht viel. Die Lapps wohnten in einer winzigen Dachgeschosswohnung auf einem Bauernhof. Oskar Lapp fand Arbeit in einer Stuttgarter Firma, die unter anderem Medizingeräte und Schallplattenspieler produzierte. Er zog Kabeladern in Schläuche ein und fragte sich, warum alle in einer Farbe sein müssen, nämlich schwarz. Es war eine Fitzelei, die einzelnen Enden zu identifizieren. Um sie zuordnen zu können, praktizierte man umständlich das so genannte Durchklingeln. Man könnte es salopp einen "Lappsus" nennen, aus dem Oskar Lapp ein Geschäft machte, das die Gegenwart mit der Zukunft verbinden sollte. In ihm reifte eine Idee, die sich weltweit durchsetzte: ein Farbcode für Einzeladern. Der Erfinder produzierte zu Hause mehradrige Steuerleitungen für den Maschinenbau in passgenauen Einheiten. Das kam einer Revolution gleich. Damals in den 1950er- Jahren waren Kabel in Konfektionsgrößen von 20 Kilometern Satzlänge üblich und lange Wartezeiten die Regel. "Mein Vater ist ein genialer Unternehmer gewesen", sagt der Sohn Siegbert mehr als 50 Jahre danach über den Patron, der zusammen mit seiner Frau Ursula Ida 1959 die nach ihr benannte U. I. Lapp KG gegründet hat, wobei sich die Eheleute nach Aufnahme eines Kredits über 50.000 Mark auf eine kluge Arbeitsteilung verständigten. Er erfand neue Produkte und reiste zur Kundschaft, sie kümmerte sich um die Buchhaltung und anfangs auch um den Versand der Ware. Siegbert Lapp hat noch heute das Bild seiner Mutter vor Augen, die einen klapprigen Leiterwagen zum Bahnhof zog, um dort Pakete für die Kundschaft per Bahnexpress aufzugeben. Mit den Kabeln lief es wie am Schnürchen. Aus dem Leiterwagen wurde ein Opel Rekord, aus der Garage im Rosental das erste Werk in Stuttgart-Vaihingen. Siegbert Lapp bekam noch zwei Brüder, machte eine Lehre und danach ein Studium. Mit 35 gründete der Wirtschaftsingenieur seine erste Firma, die Lapp Systems. Früher als ihm lieb war, musste er gemeinsam mit seinem Bruder Andreas und der Mutter 1987 die Verantwortung in der elterlichen Firma übernehmen. In jenem Jahr starb sein Vater an einem Herzleiden. Die Familie rückte zusammen. "Diese Zeit war für uns nicht einfach", sagt Siegbert Lapp. Sein Bruder kümmerte sich um das Kaufmännische, er beschäftigte sich mit der Technik, entwickelte neue Produkte und meldete Patente an. In seiner Freizeit widmete er sich der Kunst, tauchte an Riffen oder schwang sich auf seine Harley, mit der er durch den amerikanischen Westen knatterte. In der Schweiz gründete er eine Firma, die sich vor allem mit der Forschung befasst. "Sie müssen sich vorstellen, dass Kabel im Motorraum heute für Dauertemperaturen von 150 Grad ausgelegt sein müssen", sagt der Tüftler. Wer auf diesem Markt bestehen will, darf sich nicht ausruhen auf den Erfolgen von gestern."Wir sind, was immer wir tun." Der Satz von Aristoteles steht in einem Buch, das im Besprechungsraum vor Siegbert Lapp liegt. Er hat es mitgebracht, um zu verdeutlichen, dass sie nicht nur die Bühnentechnik der Rolling Stones verkabeln, sondern auch sonst Sinn stiftende Verbindungen schaffen. Im Gedenken an den Firmengründer hat die Familie eine Stiftung gegründet, die sich der Förderung der Kardiologie verschrieben hat und besonders junge Wissenschaftler auf diesem Gebiet unterstützt. Zu einer Herzensangelegenheit wurde auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Schon vor 20 Jahren seien Mütter zu ihm gekommen, erzählt Siegbert Lapp, die gerne eine Stelle angenommen hätten, dies aber nicht konnten, weil sie niemanden hatten, der ihre Kinder betreute. Da sei es Ehrensache gewesen, 1992 den Vorsitz im Dachverband Kind e.V. zu übernehmen, den elf Unternehmen aus dem Gewerbegebiet Vaihingen-Möhringen auf den Weg gebracht hatten. "Als wir anfingen, war das ein neuer Ansatz", sagt Lapp. "Heute haben viele Betriebe erkannt, dass ein betriebsnahes, ganztägiges und pädagogisch hochwertiges Kinderbetreuungsangebot ein wichtiger Standortfaktor ist." Über die Zeit hat man keine Macht, nur über die Uhr. Siegbert Lapps Chronometer zeigt an, dass die Stunde vorüber ist. Eher beiläufig erzählt er noch von seinem Sohn Matthias, der jetzt auch in der Firma sei, und davon, dass sich die Familie finanziell kräftig in einem neuen Projekt engagiere. In Vaihingen habe man eine größere Immobilie erworben, in der bis zu 400 Kinder betreut werden könnten. Siebert Lapp trinkt sein Wasser aus und fährt sich kurz durchs Haar. "Man muss an Dinge glauben", sagt er und schreitet festen Schrittes davon. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.

50 Millionen Schokoladenhasen
Ostern im März bedeutet Stress pur für die Produktionsteams, die bei der Firma Rübezahl Schokoladen in Dettingen unter Teck für Weihnachtsmänner, Nikoläuse und Schokoladenhasen ... mehr Ostern im März bedeutet Stress pur für die Produktionsteams, die bei der Firma Rübezahl Schokoladen in Dettingen unter Teck für Weihnachtsmänner, Nikoläuse und Schokoladenhasen verantwortlich sind. Denn die Zeit für die Umstellung von Winter auf Frühjahr wird dann äußerst knapp. Drei Teams teilen sich jedes Jahr die Herstellung von 50 Millionen Hasen und ebenso vielen Weihnachtsmännern bei Tag und Nacht. Direkt nach Ostern ist ein kurzes Durchschnaufen und der Frühjahrsputz angesagt, dann laufen auch schon wieder die Winterfiguren vom Band. Das Dettinger Unternehmen hat in Deutschland 1967 die industrielle Hohlkörperproduktion im Lebensmittelbereich eingeführt und zählt heute zu den führenden Anbietern von süßen Saisonartikeln.
Demut statt Dominanz
In seiner Branche hat er einen großen Namen: HG Merz. Der Stuttgarter gestaltet Museen, bevorzugt solche, die vom Atem der Geschichte umweht werden. ... mehr Wer suchet, befand einst der Apostel Matthäus, werde auch fündig. 2.000 Jahre später will die Frage nicht verstummen, wann sich das Finden einstellt. Hans Günter Merz ist noch nicht so weit. Er sucht seit Langem, genau gesagt seit 65 Jahren. "Ich weiß jetzt, was ich nicht will", sagt er. "Was ich aber will, weiß ich noch immer nicht." Im Stuttgarter Osten sitzt er an diesem Nachmittag in einem lichtdurchtränkten Großraumbüro. Ein Dirigent, orchestriert von jungen Architekten, Historikern und Grafikern, unter denen er nicht weiter auffällt. Das Äußere korrespondiert bei ihm mit dem Inneren. HG Merz, einer der führenden Museumsgestalter Europas, trägt Turnschuhe und verwaschene Jeans und ein weißes Hemd unter einem Pullover, der farblich zum Bart passt, in welchem die Jahre ins Grau gehen. "Alt werden ist ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt." Ein Satz, der Martin Buber zugeschrieben wird, aber auch von Merz sein könnte, welcher das "HG" seit der frühen Kindheit als Markenzeichen trägt, was mit dem Umstand zu tun hat, dass auf der Schwäbischen Alb unter den Seinen im Jahrgang der Hans in aller Munde war und die Burschen deshalb oft einen zweiten Namen führten. Es gab den Hans Peter und den Hans Ulrich und eben auch den Hans Günter, den alle irgendwann "HG" riefen und so ist es geblieben. Der Vater war Architekt in Tailfingen, die Mutter skeptisch, ob aus HG etwas Gescheites werden würde. Geschichte hat ihn in der Schule interessiert, und ansonsten war er schon damals eher unkonventionell unterwegs, um es vorsichtig auszudrücken. Er stellte alles in Frage und probierte alles aus. An der Architektur, dem Metier des Vaters, gefielen ihm vor allem die schrägen Typen, die sich anders kleideten, die anders wohnten und anders lebten. "Die waren alle nonkonformistisch." Genau das wollte er auch sein, was ihn nach dem Abitur schnurstracks an die Universität Stuttgart führte, wo er sich in der Kunst des Bauens unterweisen ließ. Als es ans Diplom ging, beschäftigten sich die meisten seiner Kommilitonen mit architektonischen Entwürfen, während HG Merz ein Thema entdeckte, das ihm in Zeiten der 1968er weitaus prickelnder erschien: "Marxistisch- leninistische Analyse der amerikanischen Mobile- Home-Industrie". Es sei nur am Rande erwähnt, dass er die Prüfung mit Auszeichnung bestand und auch noch ein Stipendium einheimste, das ihn zu den Hippies nach Amerika brachte, die es verstanden, den Müll des Wohlstands auf ihre Art zu verbauen. "Die abseitigen Aspekte der Architektur haben mich schon immer mehr interessiert als das klassische Einfamilienhaus", sagt HG Merz und schaut für einen Moment aus dem Fenster in der Ostendstraße auf das Gewoge der Stadt. Als er zurückkam aus den Vereinigten Staaten, ließ er sich in Stuttgart nieder. Anfangs zeichnete er zu Hause in der Küche und ernährte sich von "Architektenpetersilie", von kleineren Aufträgen, von Läden und Umbauten. Irgendwann Mitte der 1980er-Jahre traf er bei einer Party auf den Stuttgarter Museumsgestalter Knut Lohrer, der ihm nicht nur eine neue Welt eröffnete, sondern auch einen reizvollen Auftrag hatte: den Umbau des alten Daimler-Benz-Museums. So hat es angefangen, und wenn man so will hat der Suchende damals zu seiner Profession gefunden, nicht aber zu sich selbst. HG Merz gründete eine Familie. Sein Architekturbüro hatte er im Wohnhaus, damit er bei seinem Pensum auch noch was von den vier Kindern hatte. Er gewann mit seinem Team immer mehr Wettbewerbe, stellte Leute ein, holte namhafte Preise, zog mit seiner Firma in den Stuttgarter Osten und siedelte auch in Berlin eine Dependance an. "Das alles kann man nicht planen", sagt der Schwabe, der nicht zum Abheben neigt, was sich auch in der Internetseite des Architektenbüros spiegelt, auf der sich HG Merz, der Patron, wie selbstverständlich einreiht unter den Mitarbeitern. "Demut statt Dominanz" lautet sein Motto, nicht nur im Marketing. Vielleicht liegt darin ein Geheimnis des Erfolgs, der sich in einer beeindruckenden Liste von Projekten manifestiert, denen der Umstand gemein ist, dass sie zu einem guten Teil vom Atem der deutschen Geschichte umweht werden. Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin. Staatsoper Unter den Linden. Militärhistorisches Museum Dresden. Berliner Staatsbibliothek, Zeppelinmuseum in Friedrichshafen. Schlesisches Museum zu Görlitz. Ehemaliges Konzentrationslager Sachsenhausen, eine Gedenkstätte, die Merz sein wichtigstes Werk nennt. "Deutsche Geschichte hat mich immer interessiert", sagt er. "Ich suche sie und sie sucht mich." Damit ist dieses Phänomen in seinen Augen hinlänglich beschrieben. Bleiben noch zwei Stuttgarter Großprojekte zu erwähnen, die seinen Stempel tragen, was an sich schon eine kleine Sensation ist, wenn man bedenkt, dass die Auftraggeber in nicht unerheblicher Konkurrenz zueinander stehen. Die Rede ist von den Musenhorten der Autodynastien Porsche und Daimler, beide von Weltrang. Dass ein und derselbe Museumsgestalter beide Museen konzipiert und die Ausstellungen gestaltet hat, mutet einigermaßen verwegen an. "Die Unternehmen hatten damit weniger Probleme", sagt HG Merz im Rückblick. "Ich tat mich schwerer und spürte die Verantwortung." Das eine Museum durfte schließlich keinesfalls ein Aufwasch des anderen sein. Merz hat das auf seine Art gelöst. "Das Mercedes-Benz Museum ist ein prächtiger Blumenstrauß, das Porsche-Museum eine schöne Calla", sagt der Schöpfer über sein Werk. "Beim einen ist die Geschichte die Bühne, beim anderen das Objekt." Einen Wegweiser gibt es für Projektsucher in dieser Liga nicht, vertrauen kann einer wie Merz allenfalls auf die Härchen in der Nase und auf das Gespür für Menschen und Objekte. Er selbst sieht das ganz nüchtern. "Ich höre zu und versuche zu verstehen." Sagen das nicht alle anderen auch von sich? "Der Unterschied mag vielleicht darin liegen, dass ich es auch mache." Zu den Stärken des Stuttgarters gehört wohl auch, dass er seine Projekte behutsam denkt, das Neue achtet, ohne das Alte zu verachten. Authentizität statt Artefakt. Intellekt statt Inszenierung. Dafür steht er und dafür ackert er oft wie ein Pferd, als Chef im Büro und als Professor für experimentelles Gestalten an der Technischen Universität in Darmstadt. Er will das so, anders ist er nicht denkbar. "Ich bin ein Ruheloser und das ist noch extremer geworden, seit meine Frau gestorben ist." Mehr als drei Tage pro Woche schläft er selten zu Hause in Stuttgart. Heute China, morgen Tirol, übermorgen Berlin. Urlaub gönnt sich der Unternehmer selten, abgesehen vom jährlichen Fliegenfischen in Alaska, bei dem er sich am Ufer in der Tiefe entspannt. Seine Augen wirken etwas müde unter der Hornbrille. Sie hatten länger keine Pause. Niemand kann ewig dem Blick in den Spiegel ausweichen. Ihm gelingt es erstaunlich gut. Noch immer geht er als "Berufsjugendlicher" durch, wie seine Töchter sagen, noch immer hört er ähnliche Musik wie seine Kinder und noch immer trägt er bevorzugt die sportlichen Treter mit Gummisohlen, die ihn gedämpft durch die Welt tragen, von einem Ort zum anderen. Das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. "Viele meiner Freunde sind längst angekommen", sagt Hans Günter Merz. "Ich aber suche noch." Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Strohgäu-Laden
Seit fast 15 Jahren gibt es den Strohgäu-Laden in Ditzingen, damit ist er einer der ersten Tafelläden in der Region Stuttgart. Bevor an die rund 300 Ausweisinhaber dort stark ... mehr Seit fast 15 Jahren gibt es den Strohgäu-Laden in Ditzingen, damit ist er einer der ersten Tafelläden in der Region Stuttgart. Bevor an die rund 300 Ausweisinhaber dort stark verbilligt Lebensmittel abgegeben werden können, sammelt ein Bufdi die Ware mit dem Transporter bei Läden, Bäckereien, Mühlen und Landwirten ein. Träger des Strohgäu-Ladens sind die Evangelische Kirche und die Diakonie. Er finanziert sich vorwiegend aus dem Verkauf der Lebensmittel, den Rest steuern Spenden und das Kirchenopfer bei.
Szenen eines Lebens
Die Heiler Software AG hat ihren Umsatz im vergangenen Jahr um 48 Prozent gesteigert. Hinter dem Stuttgarter Unternehmen steckt ein Mann, der vom Versicherungsmakler zum ... mehr Genau zwei Menschen sind dabei, als an einem tristen Wintertag in 2.400 Metern Höhe eine Idee ins Fliegen kommt. Es ist der 31. Dezember 1987. Auf dem Hörnli in Arosa friert ein junges Paar. "Ich muss mich entscheiden", sagt er. "Ich gehe deinen Weg mit", sagt sie. Dies ist, wenn man so will, die Schlüsselszene im biografischen Film von Rolf J. Heiler, dem Chef der Heiler Software AG. Der Mann kennt sich aus mit Fotos und Filmen. Seit seiner Jugend hat er ein Faible für Kameras, erwärmt sich an ihrer Technik und hält das Familienleben im Bild fest. Sein ganz persönlicher Film besteht aus Szenen, die nur in seinem Kopf konserviert sind. An diesem Morgen gibt er sie in einem Weilimdorfer Konferenzraum frei. Heiler sitzt an einem ovalen Tisch, an dem für gewöhnlich eckige Probleme gelöst werden. Er trägt ein blaues Jackett zur beigen Hose. Wache Augen blicken unter der Randlos-Brille aus einem neugierigen Gesicht. Heiler schenkt sich einen Kaffee aus einer Thermoskanne namens "President" ein, bevor er den Film abspielt, in dem er die Hauptrolle spielt und gleichzeitig Regie führt. Die Rückblende beginnt mit der Nahaufnahme eines Studenten, der sich an der Berufsakademie in Stuttgart mit Betriebswirtschaft befasst. Seine Tage sind ausgefüllt und meist auch die Nächte. Morgens verkauft der Student Versicherungen, mittags sitzt er in Vorlesungen und nachts schreibt er für sein Büro aufwändige Programme am Computer. Rolf Heiler, der umtriebige Student, wurde 1959 in Göppingen geboren und hat das Gymnasium zunächst nach der Mittleren Reife verlassen, um eine Lehre als Versicherungskaufmann zu machen. Seine Leidenschaft sind Kameras. Mit 13 hat er vom Vater seinen ersten Apparat bekommen, eine Kodak instamatic, 35-mm- Kleinbildfilm. Mit 15 jobbte er sechs Wochen in einer Korntaler Kistenfabrik und kaufte sich vom Lohn seine erste Canon. Später wird er sich dem Filmen widmen und modernste Technik anschaffen, die es ihm ermöglicht, eigene Welten zu schaffen. Bevor es so weit ist, befasst er sich im Hörsaal mit Marktwirtschaft und wird zu ihrem glühenden Verfechter. Regulierte Märkte sind ihm suspekt. Wer die Nase vorne haben will, prägt er sich ein, darf nie stehen bleiben. Heiler kauft sich einen Computer für sein Büro. Als Selfmade- Softwerker schreibt er Programme für den Hausgebrauch. Irgendwann klopft eine Zahnradfabrik an, die Hunderte von Teilen anbietet und den Einkauf automatisieren will. Heiler entwickelt in vielen Nachtschichten die neue Unternehmenssoftware. Nach dem Studium betreibt er sein Versicherungsbüro weiter und taucht nebenbei immer tiefer in die Welt der Programmierkunst ein. 1987 entscheidet er sich auf dem Hörnli in Arosa, das alte Leben hinter sich zu lassen. In einem Zimmer der Wohnung fängt er an. Es gibt mancherlei Gründe, warum gute Ideen nicht zünden. Einer davon ist das Verzagen. Heiler denkt nicht ans Scheitern. "Man muss es so sehr wollen", sagt er, "dass man sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr fragt, ob es schiefgehen könnte." Der Autodidakt entwickelt eine programmierbare Textverarbeitung und eine Grafik-Bibliothek, die ihm viele Kunden beschert. Mitte der 1990er-Jahre klingelt das Telefon und am anderen Ende der Leitung meldet sich der Chefentwickler des Walldorfer Softwarekonzerns SAP. Das renommierte Unternehmen will Heilers Textverarbeitung ins Hauptprogramm einbauen. Ein großer Auftrag. Der nächste kündigt sich an einem regnerischen Samstag im Wohnzimmer an, wo ihm seine Frau plötzlich einen Zeitungsartikel zeigt. "Kapital sucht Risiko" lautet die Überschrift. Eine Wirtschaftsinitiative fahndet im Auftrag des Landes nach innovativen Geschäftsideen. Heiler setzt sich spontan an den Computer und tippt seine Gedanken herunter. In seinem Kopf nimmt ein Web-Shop Gestalt an, den Firmen individuell nutzen können, ohne dafür programmieren zu müssen. Sein Entwurf wird prämiert, der Geschäftsführer von Hewlett-Packard Deutschland, Klaus-Dieter Laidig, meldet sich und coacht die junge Firma. Wenig später steht eine Investment-Bank aus England parat, und auch die Walldorfer Softwareschmiede zeigt Interesse an einer Beteiligung. Im Jahr 2000 geht die Heiler Software AG an die Börse. Der Chef ist auf Wolke sieben. Von der Datencloud der Zukunft ahnt er noch nichts, wohl aber von den gegenwärtigen Chancen, die in der Warenwirtschaft des Internets liegen. "Im Prinzip sind wir Maschinenbauer", sagt er über seine Branche. "Wir nehmen stupide Arbeit weg von Menschen und überantworten sie einem programmierten Gerät." Gesegnet mit der Gabe, nicht alles bis ins letzte Detail planen zu wollen, verwandelt der Betriebswirt sein Softwarehaus in eine Internetfirma. Dabei gibt es Aufs und Abs im neuen Markt, auch für die Investoren. Manche gehen, Heiler bleibt. Für große Unternehmen entwickelt er ausgeklügelte Beschaffungssysteme auf der Basis von elektronischen Katalogen. Er setzt dabei auf Komplettlösungen. "Die Kunden wollen nicht zum IT-Spezialisten werden", sagt er, "sie wollen nur die Software nutzen." Die Company in Weilimdorf wächst, stellt Mitarbeiter ein, fasst Fuß in den USA, arbeitet für Unternehmen wie Daimler und Coca Cola. Früher als andere erkennt der Vorstandsvorsitzende, dass immer mehr Datenfriedhöfe in den unendlichen Weiten des Internets entstehen. Viele Betriebe haben diverse Datentöpfe, aus denen sie sich bedienen. Manche davon sind längst verrostet. Heiler spezialisiert sich darauf, die vagabundierenden Produktinformationen in eine Datenquelle umzuwandeln, die zyklisch gepflegt wird, auf dass gereinigte Produkte am Ende in alle Absatzkanäle sprudeln. Das spart Geld und steigert den Absatz. Ein harter Job in einer harten Branche. Heiler entspannt sich am Wochenende, indem er Filme mit hochmodernen Kameras dreht, die er sich jetzt leisten kann. Mit ihnen erzählt er vor allem Urlaubsgeschichten. Seine Frau und die drei Kinder sind die Hauptdarsteller. In der Familie erdet er sich. Zu Hause sucht er die innere Mitte zwischen beruflichen Hochs und Tiefs. Seine Frau hilft ihm dabei. "Sie ist mein Kompass", sagt er. Der biografische Film geht zu Ende. Im Konferenzraum nebenan debattieren IT-Spezialisten hinter einer Glaswand über das nächste Projekt. 150 Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile auf der Lohnliste. Im vorigen Jahr hat die Firma den Umsatz um 48 Prozent auf knapp unter 20 Millionen Euro gesteigert. Abspann. Der Hausherr lehnt sich zurück und kneift dabei für einen Moment die Augen zu wie der nachdenkliche Robert Redford in "Der Pferdeflüsterer". Rolf Heiler hat seine Geschichte erzählt. "Es geht jeden Tag darum, die Welt ein bisschen zu verbessern", sagt er zum Abschied. Das nächste Drehbuch ruft. Es zieht ihn an den Schreibtisch. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Rosige Aussichten in Lila
Mit drei Angestellten hat Michael Müller vor 20 Jahren angefangen, jetzt arbeiten mehr als 1.100 bei den lila Logistikern aus Besigheim, die nicht nur farblich ein bisschen anders ... mehr Es gibt Stadtkinder, die Kühe lila malen. Kein Scherz ist das, sondern Resultat einer erfolgreichen Werbekampagne. Die Ursprünge der lila "Kuh-munity" gehen auf eine Zugreise im Herbst 1971 zurück. Auf der Rückfahrt von der Lörracher Suchard-Schokoladenfabrik zeigten sich drei Werbeleute irritiert von der Farbgebung im Süßwarenwerk. Alles war lila in den Milka-Hallen. Als die Werber aus dem Zugabteil blickten und an grasendem Fleckvieh vorbeirauschten, war eine folgenreiche Idee geboren. Seitdem hat Schokolade eine neue Farbe und Kindern gehen nachts fliederfarbene Rindviecher durch den Kopf. Lila ist auch für Michael Müller der Stoff, aus dem Träume sind. Ihm hat es diese Farbe derart angetan, dass er sich seit zwei Jahrzehnten bevorzugt mit ihr umgibt. 1991 hat Müller, ein geschickter Alchimist, das Blau der Analyse mit dem Rot der Emotion zu einem preisgekrönten Unternehmen verschmolzen, dessen Name schon das halbe Programm ist: Müller - Die lila Logistik AG. Der Nachmittag geht, der Chef öffnet seine Tür. Wie ein Fels in der Brandung steht er in seinem Büro, das über einem Hof in Besigheim liegt, auf dem Waren umgeschlagen werden. Lila Lastwagen karren Güter in Boxen heran, Gabelstapler picken Paletten auf. Kommen und gehen, rein und raus. Müller hat den Hof im Blick, der wie ein Drehzahlmesser ist, an dem man ablesen kann, wie viele Umdrehungen die Firma macht. 94 Millionen Jahresumsatz fährt er mit seiner Unternehmensgruppe auf einem hart umkämpften Markt ein. "Ich bewege gerne was", sagt Müller, der sein Leben als fortgesetzten Versuch versteht, die Prozessketten in seiner Branche neu zu denken. Frei nach Albert Einstein. "Mache die Dinge so einfach wie möglich - aber nicht einfacher." Er ist bisher gut damit gefahren, was auch daran liegen mag, dass er in der Nachschubbranche früh Wurzeln ausgetrieben hat. Müller, Jahrgang 1966, wuchs in Zuffenhausen als Sohn eines Managers auf, der sein Geld bei einem internationalen Speditionsunternehmen verdiente. Der Vater hatte "kurze Arme", wie der Sohn im Rückblick schmunzelnd erzählt. Bei kostspieligen Wünschen der Kinder sei er "nur schwer an seinen Geldbeutel gekommen". Also jobbte Müller junior schon mit 13 zum ersten Mal in der Spedition, um selbst was zu verdienen. Ablage, Lager, Stapler fahren. Manchmal schimmerte dabei die große Freiheit durch, wenn gestandene Trucker aus ihren Lastzügen kletterten und die Lagerhallen fluteten mit ihren Anekdoten von den Asphaltpisten dieser Welt. Müller folgte seinem persönlichen Routenplan, machte Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium in Stuttgart, danach eine Lehre als Speditionskaufmann. Auch beim Studium blieb er in der Spur: Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Logistik. Er war schon damals mehr dem Tätigen zugeneigt als dem Untätigen. Das bekam ein Reisender aus Hamburg zu spüren, der eines Abends auf dem Husarenhof in einer Besenwirtschaft neben ihm saß. "Was schaff'sch?" Diese Frage saugt man in Schwaben mit der Muttermilch auf und also stand sie plötzlich im Raum. Er sei für die Logistik eines großen Unternehmens verantwortlich, erklärte der Fremde und durfte aus berufenem Studentenmunde vernehmen, dass man in seiner Branche viel Geld sparen könne. Der Reisende konterte mit der Bitte um ein Konzept. Michael Müller, als Fußballtorwart im Fangen unverhoffter Bälle geübt, griff zu. Sein erster Auftrag und der Beginn einer rosigen Zukunft in Lila. In Heilbronn mietete er 1991 eine Holzbaracke mit Umschlagplatz für Verpackungen an. Die Logistikbranche war im Umbruch, die Liberalisierung der Märkte zwang viele Betriebe in den Ruin. Müller verwischte die Trennlinie zwischen Beratung und Umsetzung und ging gleich mit zwei Geschäftsbereichen an den Start: Lila Consult und Lila Operating. "Wir vereinten die Kraft des Denkens mit der Kraft des Handels." Die Banken waren in jener Zeit noch mutiger und der junge Betriebsleiter, Torero und Stier zugleich, nutzte seine Chance. 1997 waren aus drei Angestellten 80 geworden. 2000 wurde die GmbH zur AG und zog nach Besigheim in die neue Firmenzentrale. 2002 hatte die Unternehmensgruppe 500 Beschäftigte. 2004 wurde die Marke von 1.000 Mitarbeitern durchbrochen. Müller schwamm auf seine Art mit dem Strom der Güter und manchmal auch dagegen. "Die zunehmend komplexeren Prozesse in Unternehmen verlangen von der Logistik vor allem eine ganzheitliche Betrachtungsweise", sagt er. Das klingt hübsch in der Theorie. In der Praxis lassen sich Konzerne aus der Automobil-, Elektronik- und Pharmabranche nicht so leicht von Grundsätzen blenden, wenn damit nicht entsprechende Umsätze einhergehen, von denen auch was übrig bleibt. Müller ließ den Worten überzeugende Konzepte folgen. Eines davon brachte ihm 1997 den Europäischen Transportpreis ein. Der Vordenker hatte mit seinem Team zwei Kunden dazu ermuntert, bei ihren aufwändigen Lkw-Touren nach Italien gemeinsam neue Brummis und Boxentypen einzusetzen. Auf diese Weise sparten sie 68 Prozent der Fahrstrecke und eine Million Liter Diesel pro Jahr. "Die besten Lösungen", sagt Müller und grinst, "sind die einfachsten." Auf 15 Standorte ist die Aktiengesellschaft mittlerweile gewachsen, was den Vorstandsvorsitzenden in der Ansicht bestärkt, dass er mit seiner lila Philosophie richtig liegt, die in der Wertschöpfung auch ökologische und soziale Belange berücksichtigt. Müller tut auch das auf seine Art, indem er Wege verkürzt, Strom in den Büros spart, Stellen für 60 Lehrlinge vorhält, eine Stiftungsprofessur für Logistik mitfinanziert und seinen Kollegen an allen Standorten einmal im Jahr ans Herz legt, für ein paar Stunden ehrenamtlich in Kinderheimen zu arbeiten. Das hat seiner Firma 2011 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis eingetragen. Wer klug ist, hütet sich davor, die Arbeit zur Geliebten zu küren. Der Chef, verheiratet und Vater zweier Töchter, weiß um die Gefahr. Vor vier Jahren hat er sich deshalb bewusst für einige Wochen verabschiedet, um die mehr als 3.500 Kilometer lange Strecke der Tour de France unter die Räder nehmen. Nach wenigen Etappen suchte ihn ein fieses Magenvirus heim. Vier Kilo verlor er in einer Nacht und setzte sich am nächsten Morgen trotzdem wieder auf den Sattel. "Was ich anfange, das bringe ich auch zu Ende." Es ist spät geworden über der Geschichte eines ungewöhnlichen Firmengründers. Zum Abschied reicht er einen Regenschirm. "Hoffentlich brauchen Sie ihn nicht", sagt Müller. Für den Fall, dass sich doch tiefgraue Wolken entladen, möge man ihn in guter Erinnerung behalten, gibt er seinem Besuch mit auf den Weg. Der Regenschirm, wie könnte es anders sein, ist von oben bis unten lila. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Buon appetito!
In den 1960er-Jahren ist Michele Di Gennaro mit seinem Bruder Antonio als Maurergehilfe nach Stuttgart gekommen. Aus den Gastarbeitern wurden Unternehmer. Heute sind die Di ... mehr Manchmal zwickt sich der Patrone in den Arm, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumt. 72 Jahre alt ist er jetzt und ein gemachter Mann, dessen Name vom Aroma Italiens umweht wird. Von Trüffeln aus Perugia. Kapern aus der Bucht von Pollara. Schinken aus Parma. Pecorino aus der Toscana. Aceto Balsamico aus Reggio Emilia. Das war nicht immer so. Als er damals in Stuttgart aus dem Zug stieg, hätte keiner einen Pfifferling auf ihn gesetzt. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass er einmal die Genüsse Italiens verkörpern und ein Unternehmen mit 120 Mitarbeitern führen würde, dessen Jahresumsatz von mehr als 22 Millionen Euro darauf beruht, dass seinen Kunden der Geruch von Salsiccia al Peperoncino in die Nasen weht, wenn sie nur an ihn denken. Als er damals ankam in diesem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, roch es nach Speis ganz anderer Art: nach dem Mörtel, mit dem die Deutschen ihr vom Krieg gezeichnetes Land aufbauten. Und Michele Di Gennaro baute mit. 50 Jahre später sitzt ein feiner Herr mit aschgrauem Haar und gütigen Augen in einem Feinkosttempel auf dem Schlachthofgelände und erzählt von dem Mann, der er einmal war. Serviert wird die Geschichte mit einem Cappuccino aus der hauseigenen Bar, dessen Crema über die Tasse ragt wie der Monte Baldo über den Gardasee. So schmeckt das Leben, so schmeckt Italien. In den frühen 1960er-Jahren schmeckte es nach Armut. Michele Di Gennaro arbeitete auf den Äckern der Familie in San Nicandro Garganico, einer fruchtbaren Gegend in der Provinz Foggia, wo der Wind von der Küste über die Olivenhaine bläst und die Grillen im Sommer wahrhaft grandiose Konzerte geben. Sie hatten den Vorteil, kostenlos zu sein, denn am meisten fehlte es den Di Gennaros an Geld. Die Deutschen hatten welches und warben um Gastarbeiter. Schweren Herzens schickte Vater Sebastiano Matteo seine beiden Söhne in die Fremde. Michele war 20, sein jüngerer Bruder Antonio noch nicht einmal 16. Zum Gesundheitscheck reisten beide nach Verona, wo der Arzt verdutzt auf Antonio starrte: "Was willst du in Deutschland? Geh lieber in die Schule." Am 5. Mai 1961 saßen sie im Zug nach Deutschland. "Seid mutig", sagte der Vater zum Abschied, "ihr schafft es in Deutschland." Stuttgart hieß die Stadt, in der sie ausstiegen. Ein schwäbischer Bauunternehmer hielt ein Schild mit ihren Namen in die Höhe. Es war ein heißer Tag und sie hatten trockene Zungen. "Wollt ihr was trinken?", fragte der neue Chef die beiden Hilfsmaurer. Sie verstanden kein Wort und schüttelten den Kopf. Die ersten Monate verbrachten die Di Gennaros nach Feierabend in ihrem kleinen Bauwagen auf dem Fasanenhof. Eine Mark und 93 Pfennig bekamen sie pro Stunde. Das meiste, was sie verdienten, schickten sie nach Hause zu den Eltern und den beiden Schwestern. Einmal kam ein Päckchen aus San Nicandro zurück. Sie machten es gierig auf, in der Hoffnung auf einen guten Käse, auf Spaghetti oder etwas Süßes. "Stattdessen hat der Vater uns ein Wörterbuch geschickt", erzählt Michele Di Gennaro. In ihrer kulinarischen Not manschten sie deutsche Nudeln mit Tomatenmark zusammen. "Das schmeckte scheußlich, aber es gab damals weder italienische Pasta noch passierte Tomaten." Das Glück ist seltsam. Es kann versteckt sein und kalt. Sie suchten es trotzdem, mauerten und gipsten und schufteten in der Fabrik. Das Glück ließ auf sich warten. Im Herbst 1968 zeigte es sich nach der Olivenernte. Michele und Antonio nahmen Urlaub in Deutschland, um in Apulien zu helfen. Zurück fuhren sie in einem alten Fiat millecinquecento, dessen Kofferraum voll war mit dem eigenen Olivenöl. Zu ihrem Erstaunen waren ihre Landsleute auf den deutschen Baustellen ganz scharf auf die Mitbringsel. Im Handumdrehen war alles verkauft. Dies war der Anfang des Feinkosthauses Di Gennaro und der Beginn einer Geschichte con cuore, mit Herz. Immer öfter reisten die Brüder jetzt nach Italien, um neben ihrem Job als Gastarbeiter mit importierten Gaumenfreuden zu handeln. Zupass kamen ihnen die Zeiten, die sich langsam änderten. Mit dem Wirtschaftsaufschwung nahm die bilaterale Völkerwanderung ihren Lauf. Die Tedeschi entdeckten Ende der 1950er-Jahre Vino, Spaghetti vongole und Riemchensandalen. Als die ersten mit ihren Volkswagen gen Süden aufbrachen, war Konrad Adenauer Kanzler, Elvis Presley diente als Soldat, und die SPD erklärte sich zur Volkspartei. Damals galt der Gardasee als Synonym für Fernweh, nicht Neuseeland oder Tansania. Die Leute zahlten in Lire und an den Rezeptionen der Hotels und Campingplätze bekamen deutsche Gartenzwerge ihren festen Platz. Die Brüder aus San Nicandro nutzten das für sich und eröffneten in der Region Stuttgart ihre ersten Läden, in die bald auch Deutsche pilgerten. Die Firmengründer versuchten der Zeit voraus zu sein, indem sie die Trüffel unter den Spezialitäten ihres Landes ausfindig machten. Das zahlte sich aus. Heute sind sie in Deutschland Marktführer für italienische Premiumfeinkost mit Filialen in Frankfurt am Main, Düsseldorf, Nürnberg und München. Von ihrer Zentrale im Stuttgarter Osten beliefern die einstigen Gastarbeiter 2.500 Kunden quer durch die Republik, verstärkt auch mit Leckereien der Eigenmarke Di Gennaro, die mittlerweile 350 Produkte umfasst. Im Jackett des Patrone klingelt das Handy. "Pronto. Ciao Roberto. Eine Momente bitte." Das Geschäft ruft. Die Brüder verkaufen nicht nur Prosciutto und Panettone, sondern liefern auch die passenden Anekdoten dazu. Das ist ihr Rezept auf dem umkämpften Food-Markt. Michele Di Gennaro mischt dabei noch immer jeden Tag mit, probiert die neue Soße ai frutti di mare, organisiert und verhandelt. Dabei ist sein Sohn längst im Unternehmen und auch die Kinder seines Bruders arbeiten mit. Die zweite Generation steht für das Morgen, ohne das Gestern zu vergessen. "Man muss mit den Füßen auf dem Boden bleiben", sagt Michele Di Gennaro. Es klingt wie das Vermächtnis von einem, der um das Menü eines erfüllten Lebens weiß. Obwohl er sich jetzt Luxus leisten kann, hat er am liebsten noch immer die schlichten Spaghetti al pomodoro auf dem Mittagstisch. "Die könnte ich jeden Tag essen." Vergangenheit entsteht erst dadurch, dass man sich auf sie bezieht. Kaum ein Tag vergeht, an dem er nicht an den Vater denkt, der seine beiden Söhne aus Not fortschickte und darauf hoffte, dass sie es schaffen. "Leider hat er es nicht mehr erlebt", sagt der Patrone und kneift seine Augen zu wie der traurige Robert Redford in "Der Pferdeflüsterer". Gerne hätte er seinem Vater den Orden gezeigt, den ihm die Regierung in Rom vermacht hat für seine Verdienste um die italienische Kultur in Deutschland. Cavaliere darf er sich jetzt nennen. Michele Di Gennaro, der kleine Maurer aus Apulien, der mit nichts anfing und die Deutschen auf den italienischen Geschmack brachte. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Die Grünen Damen
Die Grünen Damen in der Klinik am Eichert in Göppingen stehen den Patienten in vielerlei Hinsicht ehrenamtlich zur Seite: Sie nehmen die Patienten bei der Ankunft unter ihre ... mehr Die Grünen Damen in der Klinik am Eichert in Göppingen stehen den Patienten in vielerlei Hinsicht ehrenamtlich zur Seite: Sie nehmen die Patienten bei der Ankunft unter ihre Obhut, besuchen sie am Krankenbett, organisieren den Wartebereich beim Ultraschall und unterstützen die Arbeit in den einzelnen Klinikbereichen. Das von Patienten wie von Klinikmitarbeitern sehr geschätzte Angebot nahm 1984 mit sieben Helferinnen seinen Anfang. Heute sind insgesamt 27 Frauen und regelmäßig auch Schülerpraktikantinnen im Einsatz.
Bodenständige Weltläufigkeit
Bernd Kußmaul arbeitet als Dienstleister für Top-Firmen wie Bugatti und Adidas, er entwickelt Bauteile für den Airbus und den Zeppelin. Hochfliegende Pläne ja, abheben nein. ... mehr Ein Vorhang aus feinen Regentropfen hängt über der Likörfabrik Jacobi im Remstal. Vor zwölf Jahren ist die Lizenz zum Schnapsbrennen ausgelaufen. Der alte Geist hat sich seitdem verflüchtigt, ein neuer ist eingezogen. Der Geist der Innovation. An diesem Ort werden Dinge erdacht, die schön sind, funktional und manchmal auch revolutionär. Auf einem Tisch steht ein Laufschuh, Größe 45. Für das gute Stück wurden spezielle Spikes entwickelt und produziert (Foto S.10). Derart besohlt, gewann der Sprinter Ato Bolden bei den Olympischen Spielen in Sydney eine Medaille. "Der Schuh wiegt 113 Gramm", sagt der Hausherr, ein hochgewachsener Mann mit offenem Blick. "Das entspricht sechs Scheiben fein geschnittenem Fleischkäse." Es gibt nicht viele, denen es gegeben ist, das Kleine und das Große in dieser Art zu verbinden, den Hightech- Schuh für Sydney mit der Wurst vom schwäbischen Metzger. Es gibt nicht viele, die mit dem Kopf im Himmel sein können und mit den Füßen zugleich auf dem Boden. Bernd Kußmaul kann es. Ein winterlicher Morgen in einer mittelständischen Firma in Weinstadt vor den Toren Stuttgarts. Der Chef trägt einen dunklen Anzug zum karierten Hemd. Vor zehn Jahren ist er mit seiner Firma hier eingezogen. Das umgebaute Industrierevier hat viele Fenster, warme Holzböden, und eine Seele hat es auch. In fast jeder Ecke stehen hübsch dekorierte Tannenzweige. Die schlaksigen Kakteen neben dem Schreibtisch der Empfangsdame tragen Nikolausmützen. Neben einer Espressomaschine warten Süßigkeiten auf Zuspruch. Viele, die hier arbeiten, stammen aus Breuningsweiler, einem kleinen Flecken aus der Nachbarschaft. Der Firmengründer wohnt dort mit seiner Frau und den beiden Töchtern. In Breuningsweiler hat er früher Fußball gespielt. Er war Stürmer wie sein Vater. Kußmaul lebt erstaunlich gegenwärtig mit der Vergangenheit. Er rekrutiert nicht nur einen Teil seines Personals aus dem Ort, sondern kümmert sich auch als Mäzen um die Jugend im Fußballclub. Es wurde ein Förderverein gegründet, der Nachhilfe finanziert und Lehrstellen sucht. Die Beständigkeit hat mit einem Lebenslauf zu tun, der kein glatt gebürsteter ist. Bernd Kußmaul wird 1963 in Winnenden geboren. Seine schulische Karriere startet auf der Hauptschule. Er wechselt von dort auf die Realschule, macht die Mittlere Reife und eine Lehre zum Maschinenschlosser bei der Bahn. Nach der Bundeswehrzeit heuert er bei einer Firma in Winnenden an. Als Geselle arbeitet er an der Werkbank und mehr noch an sich selbst. Kußmaul bildet sich zum Maschinenbautechniker weiter und wechselt 1991 zur Affalterbacher Fahrzeugschmiede AMG. Er ist dort für die Teile zuständig, die im Rennsport benötigt werden. In diesem Business kommt es auf Schnelligkeit an, nicht nur auf der Strecke. Nach den Rennen verbessern die Konstrukteure ihre Autos, fertigen Pläne und bestellen kurzfristig neue Spurstangen und Querlenker. Der Einkäufer muss kleine Wunder vollbringen und große. Er baut sich ein Netzwerk von verlässlichen Partnern auf. Nebenbei besucht er auf der Abendschule einen Kurs für angehende Betriebswirte. Fünf Jahre später wagt Kußmaul den Schritt in die Selbstständigkeit. Anfangs quartiert er sich im Keller der Schwiegereltern ein. Als Engineering-Dienstleister spezialisiert er sich auf feinmechanische Spezialteile für den Maschinen- und Automobilbau, für die Luft- und Raumfahrt und für die Medizintechnik. Kußmaul nutzt sein Netzwerk und lässt für seine Kunden überschaubare Stückzahlen produzieren. Geprägt durch seine Zeit im Rennsport ist der Jungunternehmer fixer als die meisten seiner Konkurrenten - und kompromissloser, wenn es um die Qualität geht. Es gibt viele Gründe, warum Geschäftsideen in Gang kommen. Einer davon ist bodenständige Weltläufigkeit. Der Name Kußmaul wird zum Programm. Dem Chef steigt das nicht zu Kopf. Er weiß, wo er herkommt. Und er weiß, wo er hin will. Wenn Frau und Töchter sonntags ausschlafen, schleicht sich der Familienvater frühmorgens ins Büro, um drei Stunden später mit Brötchen wieder zurück zu sein. Das ist ihm keine Last. Er tut es gerne. Manche gehen in ihrer Arbeit unter. Kußmaul geht in ihr auf. Aus kleineren Stückzahlen werden größere. Die Firma entwickelt sich und arbeitet bald für Kunden wie Audi. Sie kümmert sich um Motorengehäuse für den Riesen- Airbus 380, versorgt Bugatti mit Tankdeckeln, lässt Antriebswellen für den Zeppelin bauen, beliefert den Sportwagenhersteller Aston Martin, leuchtet in neue Materialwelten hinein und feilt am Design der Luxuskarossen von morgen. Inzwischen beschäftigt Kußmaul mehr als 40 Mitarbeiter. Der Umsatz liegt 2011 bei rund neun Millionen Euro. Manchmal hält der Chef selbst verblüfft inne und fragt sich, wie das alles passiert ist. Neulich war das wieder so, als sein Team mitwirken durfte an einem 1,65 Millionen Euro teuren Bugatti. In dem 407 Stundenkilometer schnellen Supersportwagen wurde filigranes Porzellan von der Mittelkonsole bis zum Tankdeckel verbaut. Der Werkstoff kam aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin, das Know-how für die Verbindung zum Aluminium kam aus Weinstadt. Wirkliche Größe offenbart sich im Kleinen. Dass die Techniker, Entwickler und Designer des Hauses auf schwierige Fragen immer wieder passende Antworten finden, hängt wohl auch mit der Freiheit zusammen, die ihre Firma atmet. Der Geschäftsführer schickt seine Leute regelmäßig auf Fortbildungen und gewährt seinen Teamleitern auch ein kleines Budget, über das sie keine Rechenschaft ablegen müssen. Mit dem Geld können sie Materialien oder Versuchsteile bestellen, um damit zu experimentieren. Das hat dem Betrieb nicht nur manche zündende Idee eingetragen, sondern vor drei Jahren auch den Siegertitel unter den 100 innovativsten Mittelstandsfirmen Deutschlands. Wer nicht um seine Wurzeln weiß, so heißt es, hat keine Zukunft. Kußmaul lebt danach. Innovation und Bodenständigkeit fließen bei ihm ineinander wie die Rems in den Neckar. Das eine ist seine Paradedisziplin wie das andere. Virtuelle Realität am Hochleistungscomputer und händische Qualitätskontrolle an der Werkbank. Der Mikrokosmos von Breuningsweiler und der Makrokosmos von Bugatti. Er fährt gut damit. Der Tüftler, der seine Lieferanten als Fertigungspartner bezeichnet, kann auf langfristige Verträge bauen. Ideen und Pläne gehen ihm nicht aus. Gespeist mit der Kraft aus der Provinz, hält sich der Local Player auf der Überholspur der Global Player. Das eine bedingt das andere. "Ob Sie es glauben oder nicht", sagt Bernd Kußmaul zum Abschied, "ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden." Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Der Buchmacher
Als Verleger ist Matthias Ulmer in der Nische erfolgreich. Dass seine Branche vor dem Umbruch steht, macht ihm keine Angst, eher Lust. „Da ist eine Welle“, sagt er, „und ich bin ... mehr Es gibt ziemlich viel auf der Welt, für das man kämpfen kann. Matthias Ulmer kämpft für sich. Genau genommen kämpft er für Bücher, von denen seine Familie in der fünften Generation lebt. Die Zeichen stehen auf beschleunigten Wandel. Ist das Druckwerk aus Papier dem Untergang geweiht? Werden Zeilen, die sich Autoren mühsam aus ihren Hirnen meißeln, bald schon tänzeln auf lesefreundlichen Bildschirmen handlicher Kleincomputer? Solche Fragen sind es, die einen Verleger wie Matthias Ulmer umtreiben. In Hohenheim sitzt er an diesem Morgen vor einem ovalen Tisch, an dem sonst eckige Probleme gelöst werden, und doziert über Esel und solche, die dazu werden können, wenn sie störrisch an ihren alten Geschäftsmodellen festhalten. Ulmer mag Esel, aber nur solche mit langen Ohren. Er hat gerade ein Buch über die Spezies verlegt. Vor mehr als 140 Jahren ist der Ulmer'sche Familienverlag gegründet worden. Das erste Werk stammte aus der Feder von Eduard Lucas, der ein Pionier des Obstund Gartenbaus war. Diesem Thema blieb der Verlag treu. Mehr als 1.200 Bücher, 23 Zeitschriften, 50 Websites und Datenbanken gehören heute zum Programm. Aktuell geht es ums "Gärtnern im Quadrat", um Heilpflanzen und Selbstversorger, um Weinbergmauern und Privatwald, um Wellensittiche, Grabschmuck und Ökostrom. "Wer sich nicht positioniert", so lautet ein alter Lehrsatz, "der wird positioniert." Matthias Ulmer will nicht positioniert werden, er will sich selbst positionieren. Deshalb arbeitet er mit seinen 150 Mitarbeitern leidenschaftlich an den Büchern von morgen, die denen von heute nicht sehr gleichen. "Man hat keine Zukunft, wenn man nur die eigene Substanz aufzehrt", sagt er. Manche seiner Kollegen ducken sich weg, wenn es um die Frage geht, wie man darauf reagieren soll, dass junge Menschen zunehmend ohne Papier groß werden. "Mich hält die alte Zeit noch aus!" Auf dieses Credo verlegen sich die Zauderer in der Branche. Matthias Ulmer will mehr. "Da ist eine Welle und ich bin als Surfer aufgesprungen", sagt er, wohl wissend, dass es nicht ganz ungefährlich ist. Ein Surfer kann stürzen, ein Verleger zu viel Geld für die Entwicklung neuer Medien ausgeben, die vielleicht später keiner kaufen will. Ulmer hat auch darauf eine Antwort: "Das Glücksgefühl auf der Welle ist weit größer als meine Angst, unter den Strudel zu geraten." Vielleicht denkt man so, wenn man in einer Welt groß geworden ist, in der wie selbstverständlich beim Abendessen in Schönberg die Autoren am Tisch saßen, die Vater Roland mit nach Hause brachte. Matthias Ulmer, Jahrgang 1964, ist aufgewachsen im Dunstkreis eines Familienbetriebs, umgeben von unzähligen Büchern und zwei Geschwistern. Der Bruder wurde später Kunsthistoriker, die Schwester Juristin mit Schwerpunkt auf Urheberrecht. Matthias ging aufs Karlsgymnasium in Stuttgart. Als er dorthin kam, schwärmten die Jungs von Fußball. Er schwärmte von der Buchmesse in Frankfurt, zu der ihn sein Vater mitgenommen hatte. Da liegt es nahe, nach dem Abitur eine Lehre als Verlagsbuchhändler zu machen. Danach studierte er in Regensburg und München Volkswirtschaft und Soziologie, um 1992 mit dem nötigen Abstand zum Patron in Paris eine Dependance aufzubauen. Fünf Jahre lebte Matthias Ulmer im Quartier Latin. Damals brachte er seine Bücher noch selbst in die Läden. Die Verlegerfamilie konservierte auch in Frankreich den Erfolg in der Nische und arbeitete sich bei den landwirtschaftlichen Publikationen zum Marktführer hoch. 1997 kam der Sohn aus Paris zurück und übernahm wenig später den Verlag des Vaters. "Eine anstrengende Zeit", sagt er im Rückblick. Solche Stabwechsel sind nicht leicht in einem Geschäft, das stark von der Persönlichkeit eines Verlegers lebt. Matthias Ulmer hat nicht den Drang, Eselhalter in der Welt aufzuspüren, ultimativer Themenscout zu sein oder alleiniger Programmentwickler, und bei alldem am Ende auch noch die Farbe des Umschlags festzulegen. "Ich setze die Leitplanken für unsere Lektoren", sagt er. "Und sie machen ihre Arbeit." Wichtiger ist es ihm, Trends zu erspüren, die in die Zukunft weisen, und Anfeindungen zu begegnen, die diese Zukunft gefährden. Als in der Unibibliothek Darmstadt die wichtigsten 100 Lehrbücher eingescannt und den Studenten kostenlos zum Download angeboten wurden, darunter auch eines aus seinem Haus, hat er nicht nur eine Streitschrift über das Ende des Lehrbuchs geschrieben, sondern auch eine Klage vor den Bundesgerichtshof getragen. Bis das Urteil gesprochen ist, darf sich keiner mehr nach Belieben am geistigen Eigentum des Verlags bedienen. Einbrechende Absatzzahlen zu verhindern, ist eine Sache, neue Absatzmärkte zu erschließen, eine andere. Nicht nur an seiner dreijährigen Tochter, die spielend mit dem iPad umgeht, ist Ulmer bewusst geworden, dass einige seiner Umsatzbringer schon bald auf Nimmerwiedersehen verschwinden könnten. Lehrbücher und Ratgeber sind durch den schnellen Zugriff im Internet ebenso bedroht wie klassische Kochbücher mit 20 Pasta-Rezepten, die man sich mit einem Klick erschließen kann. Jamie Oliver hat das verinnerlicht und die Kochbücher als erster gegen den Strich gebürstet, indem er sie mit Reiseberichten und Anekdoten würzte. Anders als früher geht es nicht mehr allein um den Nutzwert. "Der Nutzwert ist die Basis", sagt Ulmer. "Aber Bindung entsteht über die Emotion. Daran arbeiten wir." In den Zeitungen, die unter schwindender Auflage leiden, ist das ganz ähnlich. Nach allem, was man weiß, werden die Blätter in Zukunft weniger gekauft werden, weil man sie kaufen muss, sondern weil man sie kaufen will. Dies bedingt neue Konzepte für Optik und Inhalt. Mehr Reportagen, berührende Stücke. Das bindet. Nicht nur die Zeitungen werden sich verändern. Auch die Bücher. Papier versus Elektronik: Da mag es Risiken geben, aber es gibt auch Chancen. Ulmer hat das früher als andere erkannt. Ein bisschen ist das bei ihm wie bei den ersten Aktivisten, die vor dem Klimawandel warnten. Keiner hat sie ernst genommen. Jetzt schmilzt das Eis. Er will es nicht so weit kommen lassen. Deshalb arbeitet er mit seinen Leuten am Bestehenden und zugleich am Neuen. Die ersten Schulen bestellen schon heute statt dicker Wälzer schmale Tablet-PCs, um damit zu experimentieren. "Wir gehen davon aus, dass es in absehbarer Zeit in Berufsschulen keine Lehrbücher mehr gibt", sagt Matthias Ulmer. Er hält dagegen mit einem hauseigenen Lernmanagement-System. Es setzt auf neue Formate für die papierlose Pädagogik. Eines Tages will er das Buch abschalten und mit dem Produkt ans Netz gehen. Keiner weiß, ob es funktioniert und der Markt darauf anspringt. Ulmer vertraut seinem Wissen und seiner Intuition. Manche stöhnen unter dem Druck des Wandels. Er begegnet ihm mit Neugier. "Im Augenblick jonglieren wir mit 25 Bällen", sagt der Verleger mit der Zuversicht des einsamen Propheten, "und das macht unglaublich Spaß." Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Umzug im großen Stil
Wenn eine halbe Million Bücher, CDs, Hörbücher, DVDs, Noten und Kunstwerke umziehen, ist das eine logistische Herausforderung. Das Team der Stadtbibliothek Stuttgart transportiert ... mehr Wenn eine halbe Million Bücher, CDs, Hörbücher, DVDs, Noten und Kunstwerke umziehen, ist das eine logistische Herausforderung. Das Team der Stadtbibliothek Stuttgart transportiert die Bücher und digitalen Medien von mehreren Standorten aus zum Neubau am Mailänder Platz. Die neue Zentralbibliothek erlaubt auf über 11.500 Quadratmetern eine weitaus großzügigere Anordnung als das Wilhelmspalais und die Musikbücherei, wo der größte Teil der Leihmedien bisher zu Hause war.
Mit dem Kopf im Himmel
Monika Auweter-Kurtz ist vieles: Pionierin, Forscherin, Professorin. Als Raumfahrtexpertin hat sie kometenhafte Aufstiege erlebt und harte Landungen. Jetzt baut sie in der Region ... mehr Das kleine Büro liefert nichts Brauchbares zu einer Frau, von der es heißt, sie mache ihrem Beinamen alle Ehre: "Raketen-Moni". Die berufliche Nähe zum Himmelfahrtkommando hat ihr diesen Titel eingetragen. Monika Auweter-Kurtz kann damit leben. Es gibt schlechtere. An diesem Nachmittag sitzt sie vor einem schlichten Schreibtisch und erzählt von einer Raumfahrtprofessorin, die noch immer genug Schub hat, um wichtige Projekte hochzubringen. Draußen vor ihrem Fenster pinselt die Junisonne tanzende Schatten auf den Asphalt. Drinnen lässt eine erschöpfte Orchidee ihren Kopf hängen, neben der zwei rote Äpfel in einer Schale auf den kleinen Hunger einer Powerfrau warten, die 61 Jahre alt ist und kein bisschen müde. Die Akademie für Luft- und Raumfahrt auf dem Flugfeld in Böblingen/Sindelfingen ist ihr aktuelles Projekt. Im Herbst soll es losgehen mit berufsbegleitenden Studien. "Es macht mich zufrieden, wenn aus dem, was ich anpacke, etwas Neues entsteht", sagt die Stuttgarterin, die in ihrer Freizeit zu Hause gärtnert, was ihrer inneren Haltung entspricht. Im grünen Winkel vor dem Eigenheim nimmt sie sich immer wieder neue Ecken vor, die umgepflügt werden. "Irgendwann blüht alles, und ich freue mich daran." Beruflich wollte sie ursprünglich einen anderen Garten beackern, droben in Hamburg. Doch die Böden in der Hansestadt sind anders als in Schwaben und vielleicht ist deshalb die Saat nicht aufgegangen. "Raketen-Moni betätigt den Schleudersitz", hieß es vor zwei Jahren in den Zeitungen. Damals war sie noch Präsidentin der Hamburger Universität, zuständig für 38.000 Studenten und 800 Professoren. Ihre Mission endete mit dem vorzeitigen Ausstieg. Äußere Verletzungen hat sie keine davon getragen, innere schon. "Das war eine harte Zeit." Wer nach oben will, muss manchmal den Ballast des eigenen Willens abwerfen. Das ist nicht ihre größte Stärke. "Ich bin vielen auf die Füße gestanden", bekennt die Wissenschaftlerin, die sich mit leiser Stimme durch die Szenerie einer bemerkenswerten Biografie bewegt. Höhenflüge und Abstürze inbegriffen. Geboren am 29. Juli 1950, wächst Monika Auweter in Stuttgart-Gablenberg auf. Die Eltern sind Bankkaufleute, was sich auch dahingehend auswirkt, dass ihre Tochter auf dem Heidehof-Gymnasium mit Zahlen keine Not hat. Nach dem Abitur studiert sie Physik an der Uni Stuttgart, wo sie in ihrem Fach die einzige Frau ist, und bessert nebenbei an ihrer alten Schule die Kasse auf. Dort traut man der 20-jährigen Studentin so viel zu, dass man ihr gleich einen halben Lehrauftrag für Mathematik anbietet. Es ist die Zeit, in der Monika Auweter die ersten Grenzen verschiebt, die einem gesetzt sind als Frau in einer Gesellschaft, in der Männer allzu selbstverständlich bestimmen, wo es langgeht. 1975 schließt sie ihr Studium ab, um sich der Forschung am Institut für Raumfahrtsysteme zu widmen. Sie beschäftigt sich mit Lichtbogenphysik und elektrischen Raumfahrtantrieben, das Thema ihrer späteren Promotion. An der Universität lernt sie den Ingenieur Helmut Kurtz kennen. Er wird ihr Mann fürs Leben. Es sind bewegte Zeiten in der Raumfahrt. Was den Amerikanern ihr Space Shuttle, soll den Europäern ein kleinerer Raumtransporter namens Hermes werden. Das Problem ist die Hitze. Welches Material hält Temperaturen von 1.600 Grad aus? Die Ingenieurin soll Antworten liefern. Sie bekommt den Auftrag, an der Universität eine millionenschwere Testanlage für Hitzeschutzmaterialien aufzubauen. Monika Auweter-Kurtz macht sich bald einen Namen in der Branche. Sie leitet ein ehrgeiziges Projekt, habilitiert nebenbei an der Fakultät für Luft- und Raumfahrt, meldet Patente an, veröffentlicht ihre Forschungsergebnisse. Die Anfragen häufen sich und auch die Reisen. Sie wird Dekanin, Frauenbeauftragte der Universität Stuttgart, Direktorin der National Space Development Agency of Japan. Ein Leben mit dem Kopf im Himmel und zugleich mit den Füßen auf der Erde. Es ist eine Männerwelt, in der sie sich bewegt. Monika Auweter-Kurtz tut es auf ihre Art. Als sich eine hochschwangere Studentin bei ihr meldet, die sechs Wochen vor dem errechneten Termin auf die Entbindungsstation muss, legt sich die Frauenbeauftragte umgehend ins Zeug. Die Studentin berichtet, dass sie wegen der frühen Niederkunft eine Prüfung verpasst, was zur Folge habe, dass auch die schon absolvierten Prüfungen verfallen. Bei Krankheit wäre es anders, aber Schwangerschaft gilt nicht als Krankheit. Monika Auweter-Kurtz setzt alle Hebel in Bewegung. Ihr Einspruch bringt am Ende eine Gesetzesänderung in Gang, die vielen Studentinnen hilft. Der streitbaren Professorin wird dafür später das Bundesverdienstkreuz verliehen. Am 1. November 2006 krönt die renommierte Forscherin ihre Karriere und wechselt als Präsidentin an die Universität Hamburg. Mit eisernem Willen stößt sie an der fünftgrößten deutschen Hochschule überfällige Reformen an. Die neue Präsidentin will die Verhältnisse durchrütteln, aber die Verhältnisse wollen nicht durchgerüttelt werden, jedenfalls nicht in der Geschwindigkeit der "Raketen-Moni". Es endet mit Studentenprotesten, mit politischer Ränke und mit Rücktrittsforderungen von Professoren, denen sie sich im Sommer 2009 beugt. "Wenn das Vertrauen nicht mehr da ist und man den Eindruck hat, dass sich nichts mehr bewegen lässt, muss man Konsequenzen ziehen", sagt die Vertriebene, für die es kein Trost ist, dass ihr alter Arbeitgeber längst wieder neue Schlagzeilen produziert. "Die Hamburger Universität steckt seit Jahren in einer Qualitäts- und Identitätskrise. Am Versuch, das Ruder herumzureißen, war zuletzt vor zwei Jahren die aus Stuttgart herbeigerufene Präsidentin gescheitert", berichtete jüngst die "Zeit". Lange her ist das alles. Jedenfalls kommt es ihr so vor. Monika Auweter-Kurtz ist mit ihrer Geschichte in der Gegenwart gelandet. Nach Hamburg hatte sie eine Auszeit genommen und dabei für sich entscheiden: "Ich bin noch nicht reif für den Ruhestand." Plötzlich stand Rolf-Jürgen Ahlers vor ihr, der Vorsitzende des Forums für Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg. Er suchte eine Direktorin für die "German Aerospace Akademie". Sie hat nicht lange gezögert. Sie ist jetzt wieder viel unterwegs. Bevor ihr neues Projekt im September steigt, muss die treibende Kraft noch Geld sammeln. Das Startkapital liegt bei zwei Millionen Euro. Es ist die letzte Mission der Raumfahrtexpertin und sie glaubt fest daran. Der Countdown läuft. "Ich bin sicher, dass sich die Akademie in fünf Jahren selbst tragen wird", sagt Monika Auweter-Kurtz. Ready for take-off. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Bootsbauer der Albert-Schweitzer-Schule
Das schwimmende Klassenzimmer: Schüler der Albert-Schweitzer-Schule reparieren ein altes Holzboot und übertragen dabei theoretisch Erlerntes in die Praxis. Besondere ... mehr Das schwimmende Klassenzimmer: Schüler der Albert-Schweitzer-Schule reparieren ein altes Holzboot und übertragen dabei theoretisch Erlerntes in die Praxis. Besondere Aufmerksamkeit legen die Lehrkräfte und die Stuttgarter Jugendhausgesellschaft auf die klassenstufenübergreifende Kooperation der Schüler. Damit das Boot im Sommer in See stechen kann, werden noch Spender für die Segel gesucht.
Querdenker in der Oase
„Zukunft passiert nicht, Zukunft wird gemacht“, sagt Tobias Wallisser. Mit Chris Bosse und Alexander Rieck betreibt er in Sydney und Stuttgart ein von Ideen der Natur inspiriertes ... mehr Wenn zwei Männer von ihrem Schlag an einem Tisch sitzen, reicht ein Stichwort. Man hält es ihnen hin wie ein Streichholz und in Bruchteilen von Sekunden lodern die Flammen. Alexander Rieck und Tobias Wallisser sind von dieser Art. Zwei Architekten, die für ihren Job brennen. Grenzgänger sind sie in ihrer Branche und Querdenker, die kein Büro für Architektur betreiben, sondern ein Labor. Das ist ein feiner Unterschied. Die Crew vom "Laboratory for Visionary Architecture", kurz LAVA, lebt sich vor allem in Saudi-Arabien und China aus, dort, wo kühne Fragen gestellt werden. Manches von dem, was die unkonventionellen Planer mit digitalen Werkzeugen erschaffen, weckt Erinnerungen an Jules Verne, der in Romanen wie "20.000 Meilen unter dem Meer" die Welt von morgen vorweggenommen hat. Wobei Tobias Wallisser rein äußerlich nichts von Kapitän Nemo hat. Ein lässiger Typ, um den Hals ein Modeschal, an den Füßen knallige Turnschuhe. Keiner, der abhebt, es sei denn, es geht um die Architektur von übermorgen, bei der für ihn wie in der Natur das eine mit dem anderen verwoben ist. "Die Zeit der einfachen Wahrheit ist vorbei", sagt Wallisser. Erprobte Lösungen aus dem Labor der Fauna und Flora sind für hungrige Architekten ein gefundenes Fressen. Es gibt dort viel zu entdecken. Kraken haben kräftige Saugnäpfe wie man sie sich für Wandbefestigungen im Bad wünscht. Giftstachel von Bienen sind effektive Spritzen. Termiten haben in ihren Bauten ausgeklügelte Lüftungssysteme. Riffe wachsen dem Plankton entgegen, und vielleicht gibt es eines Tages Biohüllen für Gebäude, die sich vom Dreck in der Luft ernähren. Für Tobias Wallisser ist das mehr als bloße Spinnerei. Er hat gerade eine Studienarbeit für ein Projekt in der Stuttgarter Neckarstraße betreut, dessen Fassaden die Umwelt entgiften. Erschaffen wurde das Bauwerk von morgen am Computer von heute durch einen Bauplan von gestern, gespeist aus dem Reich der Korallen. "Die Natur ist eine der größten Inspirationsquellen", sagt Wallisser und deutet auf ein Poster, welches die Zukunft der urbanen Räume vorwegnimmt. Die Projektion einer Stadt, die bereits Gestalt annimmt. Sie liegt unweit von Abu Dhabi und heißt Masdar City. Seit 2008 entsteht dort die erste CO2-neutrale Solarstadt. Masdar soll 22 Milliarden Dollar kosten und 47.000 Menschen beherbergen. Das Team von LAVA hat den Wettbewerb für den zentralen Masdar Plaza gewonnen. Die schwäbischen Exportplaner verwirklichen in der Wüste von Abu Dhabi nicht nur ein Hotel mit Konferenzzentrum, wie es in der Ausschreibung vorsehen war. Gestalten ist bei den Stuttgartern ein dynamischer Prozess und so ist zwischen den Bauten in Computermodellen ein kühner Platz entstanden, der auch realisiert wird. Elektronisch gesteuerte Sonnenschirme im XXL-Format kühlen ihn tagsüber und nutzen die Kraft der Sonne durch integrierte Fotovoltaikzellen. Das Prinzip der Schirme ist ähnlich wie bei Sonnenblumen, die sich zum Licht hin öffnen. Bionik lässt grüßen. Regenwasser fließt an den Schirmen ab und wird in Zisternen gesammelt. Nachts können die Schattenspender eingeklappt werden, um die Auskühlung des öffentlichen Raums zu beschleunigen. Die geistigen Väter preisen ihr Baby als "Oase der Zukunft". Was nach einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht klingt, ist die reale Kunst einer neuen Generation digital ausgebildeter Architekten, für die Entwerfen nahe bei Erfinden liegt. "Normalerweise sind Architekten darauf spezialisiert, Antworten zu geben", sagt Alexander Rieck. "Wir sind auch Spezialisten darin, die richtigen Fragen zu stellen." Lustvoll verschieben sie Grenzen in ihrem Labor am Stuttgarter Hauptbahnhof. Dort stehen experimentelle Köche an digitalen Herdplatten. Ihre Zutaten sind Utopien, und wenn es gut läuft, servieren sie am Ende ein Menü, das sich abhebt von dem, was in ihrer Branche sonst auf den Tisch kommt. "Wenn Ingenieure so kochen würden, wie sie planen", sagt Tobias Wallisser, "müssten sie furchtbare Sachen essen." Man könne sich das vorstellen wie bei der Spaghettipackung, auf der steht, dass die Teigwaren nach acht Minuten im Wasser fertig sind. Wer sich strikt daran hält, hat oft schwer zu kauen. Wallisser nennt das "Legitimation durch Prozess". Acht Minuten und basta! "Das ist die Krankheit der Planung", sagt der Professor. "Die Natur macht das besser." Nicht jeder kann sich solche Freiheiten im Denken unternehmerisch gönnen. Tobias Wallisser, 40, und sein Partner Alexander Rieck, 43, können es. Beide haben einen zweiten Job, der sie finanziell und intellektuell speist. Wallisser ist Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Rieck kümmert sich bei der Fraunhofer- Gesellschaft, in der 17.000 Wissenschaftler vernetzt sind, um Märkte von morgen. Die Partner kennen sich vom Studium an der Universität Stuttgart. Eine Zeitlang hatten sie sich aus den Augen verloren. Wallisser ging mit dem Diplom in der Tasche an die Columbia University in New York und heuerte 1997 im renommierten Architekturbüro von Ben van Berkel und Caroline Bos in Amsterdam an. Als Projektleiter für das Mercedes-Benz-Museum kam er zurück in die Stadt, in der Rieck lebt und arbeitet. Vor vier Jahren fanden sie zusammen und machten sich selbstständig. Ein kleines Büro, ein internationales Netzwerk von Spezialisten. Rieck und Wallisser führen das Unternehmen in Stuttgart, Bosse hält in Sydney die Stellung. Wissenschaftlich auf dem neuesten Stand ist das Trio, inspiriert von der Selbstregulierung der Natur, in größeren Zusammenhängen denkend. "Alles was ich mache, hat einen Einfluss auf alles andere", sagt Alexander Rieck. Das ist ihm neulich bewusst geworden, als er in Saudi- Arabien mit einem Scheich über die Grenzen des Fortschritts sprach. Da erzählte ihm der Mann, dass er sich die Frage gestellt habe, warum die Menschen nicht mit viel größeren Raketen in den Weltraum aufbrechen, um dort nach neuen Räumen zu suchen. Fachleute sagten ihm, das liege an den Tunnelröhren, die Grenzen setzten für die Größe von Bauteilen. Da fragte der Scheich, wer die Tunnelgröße festgelegt habe und bekam zur Antwort, dass man ihre Größe einst an den Zügen ausgerichtet habe. Die Züge wiederum hingen von den Spurweiten ab, die sich an der Größe der Kutschen orientierten, welche so gebaut seien, dass gerade zwei Pferde nebeneinander passen. "Der Lauf der Welt hängt also von zwei Pferdehintern ab", sagt Tobias Wallisser und grinst. Neben ihm piepst ein orangenes Multifunktionshandy. Der Architekt muss weiter. Die Zukunft zementieren. Quer denken. Spaß haben. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Nasse Füße statt Brandbekämpfung
Nasse Füße statt Brandbekämpfung: Dauerregen und heftiges Tauwetter haben Mitte Januar die Neckarzuflüsse Rems und Murr urplötzlich so stark anschwellen lassen, dass viele Orte im ... mehr Nasse Füße statt Brandbekämpfung: Dauerregen und heftiges Tauwetter haben Mitte Januar die Neckarzuflüsse Rems und Murr urplötzlich so stark anschwellen lassen, dass viele Orte im Nordosten der Region „Land unter“ meldeten. Backnang war besonders betroffen, die Freiwillige Feuerwehr befreite Anwohner mit Booten aus ihren Häusern der gefluteten Innenstadt. Dank des perfekten Zusammenspiels der rund 550 Helfer von Feuerwehr, Polizei, DRK, THW und anderen Organisationen ist es trotz der gewaltigen Wassermassen weitgehend bei Sachschäden geblieben.
Eine elektrisierende Idee
Stefan Lippert schwimmt dem Strom voraus. Der Designer setzt auf Elektromobilität und baut in Stuttgart emissionsfreie Mopeds. Die größte Flotte Deutschlands ist für ihn auf ... mehr Ein bisschen ist es bei ihm wie bei der Hummel, die eigentlich zu viel auf die Waage bringt für ihre kleinen Tragflächen. Nach allen Erkenntnissen der Flugtechnik kann sie nicht abheben. Sie weiß es bloß nicht. Und also fliegt sie los. Stefan Lippert ist eine Art unternehmerische Hummel. Was er tut, verstößt gegen alle Regeln. Der Diplom- Designer versucht sich neuerdings in der Stuttgarter Fußgängerzone als Fahrzeughersteller. Dort baut er Mopeds mit Akku, die auf leisen Pfoten daherkommen und die Luft nicht verpesten. Wenn man es genau betrachtet, versteht er davon so viel wie der Vegetarier von der Leberwurst. Stefan Lippert kümmert sich nicht darum. Und also fliegt er los. Es ist früher Morgen in der Landeshauptstadt. Die Luft riecht nach Regen. Eine Kehrmaschine rattert durch die Fußgängerzone. In der Calwer Straße 11 sitzt ein Mittvierziger in verwaschenen Jeans an einem weißen Tisch, auf dem bunte Filzstifte neben Spielzeugfiguren stehen. An diesem Ort verschwimmen Wirklichkeit und Vision. Stefan Lippert arbeitet mit seinem Team an Entwürfen für Bosch, Leitz, Maquet, Lamy und Playmobil. Vor einem Bildschirm fläzt ein junger Ingenieur neben einem Designer. Die Herren tüfteln an einer Krankenhausliege. "Wir versuchen, aus unternehmerischen Ideen funktionsorientierte Produkte zu machen", sagt Lippert. 1994 hat er als Designer in Stuttgart angefangen, heute führt er mit Özkan Isik und Wolf Leonhardt die 20 Mitarbeiter zählende Industrial Product Design and Development GmbH. Das sollte eigentlich genügen, um einen Menschen auszufüllen. Bei ihm ist das anders. Er will mehr. Er will, dass gute Ideen fliegen. Um zu verstehen, wie einer so werden kann, muss man zurückblättern. Stefan Lippert, 1964 in Göttingen geboren, wächst in Hamburg auf. Seine Mutter ist Lehrerin. Für sie zählt nicht nur das Klassenzimmer, sondern mehr noch der Raum zur Entfaltung. Sie lässt ihn machen und Stefan Lippert probiert aus. Er ist ein leidenschaftlicher Modellbauer. In seinem Kinderzimmer riecht es nach Klebstoff und Sägespänen. Der Sohn schraubt und improvisiert, er verliert sich im Einzelteil und entdeckt im Spiel den Schlüssel fürs Ganze. Er wird davon für sein Leben profitieren. Stefan Lippert mag Dinge, die länger halten. Er ist keiner von denen, die wegwerfen und neu kaufen. Ihm gefallen Sachen, die so gut sind, dass sich nicht die Frage nach dem Besseren stellt. Mit dem Rüstzeug des Bastlers studiert er Industriedesign in Kiel und Stuttgart. Als er sein Diplom hat, begibt er sich wie früher auf die praktische Suche nach Antworten. Nur mit dem Unterschied, dass die Fragen jetzt von anderen gestellt werden, die ihn dafür bezahlen. Stuttgart erweist sich für Lippert als gutes Pflaster. Er lernt eine junge Musikerin kennen, lässt sich in Esslingen nieder, wird Vater von drei Kindern. Beruflich arbeitet er sich langsam von der Hinterhofwerkstatt im Stuttgarter Westen bis zur Calwer Straße vor. Dort steht vor vier Jahren plötzlich ein Kollege vor ihm und erzählt, wie er im Urlaub auf einem seltsamen Band balanciert sei, das zwischen zwei Felsen gespannt war. Spontan basteln die Designer einen Prototypen und gehen damit auf die Outdoor-Messe. Es ist der Anfang von "Gibbon Slackline", eines florierenden Kleinunternehmens in Stuttgart. Solche Erfolgsgeschichten bleiben hängen an der Klebefolie des Ehrgeizes. Stefan Lippert spürt, dass er als Designer nicht nur fremde Ideen umsetzen kann, sondern auch eigene. Es dauert nicht lange, bis es ihn erneut kitzelt an den Rezeptoren des Geschäftsmanns. Eine elektrisierende Idee steht im Raum. Ein Moped mit Speed aus der Steckdose. Eine Fuffzger, die Fun macht und mit dem normalen Autoführerschein gefahren werden darf. Eigentlich arbeitet er am liebsten im Auftrag. Diesmal aber gibt es keinen Auftrag und auch keinen Partner, der sich dafür interessieren würde. Mit seinem Team zieht sich Lippert in die Werkstatt zurück, schweißt und lötet im Dunstkreis edler Boutiquen. Mit zehn Mopeds, gespeist von leistungsstarken Lithium-Ionen-Akkus, wie man sie von Handys kennt, mietet sich der Selfmade- Unternehmer auf der Fahrradmesse in Friedrichshafen einen Stand. Es brummt. Mit Elektronik aus Ravensburg, Bremsen aus Bad Urach, Rahmen aus Balingen und Batterien aus Aschaffenburg gehen sie ans Werk - und gründen die ID Bike GmbH. Manchmal braucht der Tüchtige ein bisschen Glück. Die Region Stuttgart wird in dieser Zeit eine von bundesweit acht Modellregionen, in denen Elektromobilität im öffentlichen Raum gefördert und getestet wird. Das Bundesverkehrsministerium stellt dafür einen Millionenbetrag bereit. Als die regionale Wirtschaftsförderung dazu eine Veranstaltung organisiert, ist Lippert, der Elektronaut, mit von der Partie. Lars Walch von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) ergreift das Wort. Er berichtet, dass sein Konzern an einen Großversuch denke. Es ist für den Stromriesen nicht mehr die Frage, ob Elektromobilität kommt, sondern wie schnell. "Da bin ich fast über die Tische gerannt", sagt Lippert. Noch am selben Abend fährt er mit Walch in seine Werkstatt und verkauft ihm 20 Öko-Flitzer. Im Juli 2010 startet die EnBW ein Testprojekt, das seinesgleichen sucht. 500 Menschen werden in Stuttgart für einen einjährigen Praxisversuch mit Elektromopeds vom Typ Elmoto ausgestattet. Die größte Flotte Deutschlands stromert durch den Ballungsraum. Zwei PS, 45 km/h, 60 Kilometer Reichweite. Was in China längst Wirklichkeit ist, soll auch im Schwabenland versucht werden: Elektromobilität für Massen. Lippert kann es kaum fassen: "Dass wir das als kleine Firma stemmen, hätte ich nicht für möglich gehalten." Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße, heißt es. Manchmal gilt das auch für die Fahrenden. In diesem Jahr werden die Stuttgarter Pioniere 1.800 Bikes verkaufen. Es könnten noch mehr sein. Andere Großstädte haben angeklopft und auch Urlaubsregionen. Es stehen große Entscheidungen an. Im kleinen Team weitermachen oder einen potenten Partner aus der Industrie suchen? Lippert steht auf und geht hinunter in seine Werkstatt. Er ist gerne hier, weil es ihn auch ein bisschen an sein Kinderzimmer erinnert. Zwei Kunden holen gerade ihre neuen Elektromopeds ab. Der Geschäftsführer grinst, als er ihnen begegnet. Das Abenteuer geht weiter. Wo es endet, weiß er nicht. "Das Meer, das vor mir liegt", sagt Stefan Lippert, "ist offener denn je." Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Leutenbacher Rems-Murr-Bühne
Mit aktuellen und frechen Inszenierungen erfreut die Leutenbacher Rems-Murr-Bühne das Publikum und beeindruckt die Kritiker. Seit fast 30 Jahren bringt die Hobbytruppe jährlich ... mehr Mit aktuellen und frechen Inszenierungen erfreut die Leutenbacher Rems-Murr-Bühne das Publikum und beeindruckt die Kritiker. Seit fast 30 Jahren bringt die Hobbytruppe jährlich ein neues Mundart-Stück auf die Bühne, darunter auch populäre Klassiker wie „D‘r Entaklemmer”, „Arsen ond Spitzahaub” und „Der Besuch der alten Dame”. Der Kleist-Klassiker „D‘r zerbroch‘ne Krug” brachte dem Ensemble 2010 den Mundarttheater-Preis des Landes Baden-Württemberg ein, für die beste Bühne und für den besten Schauspieler. Das neue Stück „D‘r verkaufte Großvater” ist in einer Doppelpremiere im November in Leutenbach erstmals öffentlich zu sehen.
Voraus in die Zukunft
Professor Michael Resch ist eine Art Captain Kirk. Mit seinem klimatisierten Raumschiff im Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart taucht er ein in die unendlichen Weiten der ... mehr Eigentlich sieht er aus wie ein ganz normaler Erdling, der in seinem Büro auf einem roten Sofa sitzt und über ein Leben redet, in dem es manchmal zugeht wie in einer anderen Galaxie. "Captain, ich weiß nicht, was es ist, aber es ist riesig und es kommt direkt auf uns zu." So was in der Art begegnet Michael Resch öfter. Mit seiner Besatzung beamt er sich in unvorstellbare Weiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Professor Michael Resch ist der Direktor des Stuttgarter Höchstleistungsrechenzentrums und als solcher von Haus aus bemüht, die Zukunft in die Gegenwart zu befördern. Dabei unterstützt ihn eine blinkende Rechenmaschine, die hinter einer dicken Stahltüre auf 700 Quadratmetern ihrem anstrengenden Tagwerk nachgeht. Die Gute ist ein bisschen eigen, deshalb muss die Diva so stark mit Luft gekühlt werden, dass man sich in ihrer Nähe unter einem Föhn wähnt. Mehr als eine Million Euro blättert das Rechenzentrum in der Nobelstraße jedes Jahr dafür an Stromkosten hin. Die Diva und der Denker sind ein Team. "Ich löse gerne Probleme", sagt er und zeigt auf seine Supermaschine, 15 Meter lang und zwei Meter hoch. Hochkomplexe Vorgänge laufen in Sekundenbruchteilen hinter den gläsernen Fassaden des Großrechners ab. Man stellt sich das vor wie in Charly Chaplins Werkstatt von Moderne Zeiten. Der Mensch wird hier plötzlich ganz klein und verschwindet in den Eingeweiden eines Giganten, der 12,7 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde vertilgt. Und doch genügt er damit nicht mehr den Ansprüchen seines Herrn, dessen Befund ein vernichtender ist. "Dieser Rechner ist langsam!" Nun ja, einer der schnellsten der Welt ist er schon noch, aber die Welt der Hochleistungscomputer dreht sich schneller als die übrige. Resch macht das an einem Beispiel deutlich. Früher wurden Prototypen von Autos gebaut, um zu testen, wie sich ihre Form bei Unfällen verändert. Nach dem Crash bauten die Ingenieure wieder einen Prototyp, und am Ende einer langen Reihe stand nicht selten die Erkenntnis, dass es so nicht funktioniert. Jetzt hilft der Supercomputer, Irrwege in der Entwicklung zu vermeiden, indem er alles durchspielt. Im Rechenzentrum sind dafür 20.000 Prozessoren vernetzt, 2.500 Festplatten und 560 Kilometer Glasfaserkabel. Was gestern noch unmöglich erschien, ist längst von der Realität überholt. "1990 hätten wir für eine Unfallsimulation, die heute einen Tag braucht, eine Million Tage gebraucht", sagt der Professor. "Im Jahr 2000 wären es 1.000 Tage gewesen und in zehn Jahren werden es nur noch zwei Minuten sein." Bei solchen Zahlen kann einem gewöhnlichen Aldi-PCNutzer schon mal schwindelig werden. Der Professor begegnet dem Wahnsinn mit landsmännischem Schmäh, ein bisschen humoristisch, ein bisschen verharmlosend. Das hat mit seinen biografischen Wurzeln zu tun. Michael Resch, 1964 in Graz geboren, ist Österreicher. Geprägt hat ihn vor allem sein Großvater. "Was du tust, das tue ganz", empfahl er dem Zögling. Der beherzigte den Rat, studierte in Graz Mathematik und entdeckte dabei vor anderen, dass schnellen Computern die Zukunft gehört. Er spezialisierte sich auf Parallelrechner und entschied sich früh, der Alpenrepublik den Rücken zu kehren, in der zwar die Berge hoch, aber die Anforderungen an Rechenmaschinen umso niedriger waren. Mit 28 kam der Macher samt Gattin Ines nach Stuttgart. Eine Annonce in der Zeitung hatte ihn an den Neckar gelockt. Er hat es bis heute nicht bereut. "In der Welt gibt es nicht viele Unis, die es schaffen, Forschung und Entwicklung wie in Stuttgart mit der Praxis zu verbinden." Nebenbei sei es auch noch ganz hübsch, dass es gute Theater gibt, eine Oper, reichlich Wald und eine Autobahn auf die Schwäbische Alb, wo sich der ewige Grübler entspannen kann wie sonst nirgendwo. Das ist auch bitter nötig in seinem Geschäft. Nach einer neunmonatigen Forschung in Houston, wo er sich mit den Grundlagen der Computersimulation befasst hat, leitet Resch seit 2002 das Höchstleistungsrechenzentrum, das auch vom Direktor nicht selten Höchstleistung fordert. 120 Tage im Jahr ist er unterwegs, doziert über intelligente Rechner und berät Unternehmen. "Ich betrachte mein Leben als Aufgabe", sagt er und verweist ein zweites Mal auf den Großvater, dem er noch einen zweiten Lehrsatz verdankt. "Erst das Notwendige, dann das Nützliche und am Ende das Angenehme!" Blöd nur, dass der Professor schon in der täglichen Praxis mit dem Notwendigen kaum fertig wird. "Also mache ich mir halt das Notwendige möglichst angenehm", sagt Resch und grinst. Angenehm ist es für einen wie ihn, wenn sich Fakten und Fiktives immer wieder aufs Neue so vermengen, dass sich die Dinge zum Besseren verändern. Das passiert tatsächlich. Vor einiger Zeit haben Wissenschaftler den Stuttgarter Großrechner mit Daten über Flugzeuge gespeist. Am Ende des Rechenprozesses stand der Befund, dass sich 15 Prozent Treibstoff einsparen lassen, wenn die Flügeloberflächen optimiert werden. Laufzeiten von Batterien, Klimamodelle für die Zukunft, Verbrennung von Motoren, dreidimensionale Bauwerke - Höchstleistungsrechnen ist die Formel 1 der Forschung. Sie kann Firmen Millionen sparen, aber sie kostet auch eine Menge. Damit die Stuttgarter vorne bleiben, kaufen sie nächstes Jahr einen neuen Supercomputer. 45 Millionen soll er kosten und zu den schnellsten drei in Europa gehören. Bezahlt wird die Rechenzeit von der Kundschaft aus Industrie und Forschung. Bei kompletter Nutzung der Anlage kommen da schnell mal 2.000 Euro pro Stunde zusammen. "Ich möchte, dass die Physiker, die Chemiker, die Ingenieure, aber auch der Mittelstand hier ihre Probleme lösen können", sagt der Direktor. Fragen an die Zukunft gibt es mehr als genug. Lässt sich bald vorausberechnen, welcher Stent für einen vorher gescannten Herzpatienten mit verengten Gefäßwänden am besten passt? Lässt sich per Computer ermitteln, welches Hüftgelenk bei einem Menschen die längste Haltbarkeit verspricht? Solche und andere Probleme treiben den Familienvater um, wenn er im Büro ist, seinen Tee neben das rote Sofa stellt, eine blaue Baumwolljacke überstreift und sich durch virtuelle Welten beamt. Ein moderner Abenteurer ist er, gesegnet mit Mutterwitz und einem Blick, der streng auf das Morgen gerichtet ist. "Ein Mensch lebt, wenn er weiß, was er tut. Ein Mensch, der das nicht weiß, existiert nur", sagt Michael Resch und packt seinen Rucksack. Es zieht ihn nach Hause, für eine Nacht ins Hier und Jetzt. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Tiemo Hauer und seine Band
In der Musikregion Stuttgart sorgt derzeit keiner für so viel Gesprächsstoff wie Tiemo Hauer aus Stuttgart-Degerloch mit seiner Band. Der 20-Jährige komponiert seine deutschen ... mehr In der Musikregion Stuttgart sorgt derzeit keiner für so viel Gesprächsstoff wie Tiemo Hauer aus Stuttgart-Degerloch mit seiner Band. Der 20-Jährige komponiert seine deutschen Popsongs selbst und begleitet sich dabei am Klavier. Mit Charme und Authentizität begeistert er ein breites Publikum. Platz für Kreativität bietet das älteste private Tonstudio Deutschlands: die Bauer Studios in Ludwigsburg, wo die Musiker gerade mit Tiemo sein Debutalbum einspielen.
Sommers Zeit
Fast vierzig Jahre ist es her, dass Hans Sommer ein kleines Ingenieurbüro mit aus der Taufe gehoben hat. Heute ist Drees & Sommer der Branchenprimus im Projektmanagement und zählt ... mehr Sein Haar ist pfeffergrau wie der Nachmittag in Stuttgart. Ein Vorhang aus feinen Regentropfen hängt über der Stadt. Draußen ist Winter, drinnen ist Sommer, Vorname Hans, ein fröhlicher Abendländer, 68 Jahre und kein bisschen müde. Ein Espresso, bevor er seine Geschichte erzählt. Die Geschichte eines Mannes, der klein angefangen hat und jetzt Aufsichtsratsvorsitzender einer weltweit agierenden Unternehmensgruppe ist, deren Zahlen für sich sprechen. Betreutes Jahres-Bauvolumen 6,6 Milliarden Euro, 1.050 Mitarbeiter, 137 Millionen Euro Konzernumsatz. China, Russland, Türkei, Vietnam, Spanien, Italien Deutschland - das Leben von Hans Sommer ist konserviert in vielen Mauern und Großbauten. Aqua City Palace in Moskau, Silver Star Tower in Dubai, Potsdamer Platz in Berlin, Daimler in Möhringen. Den Anfang macht Stuttgart. Hans Sommer wird 1941 geboren. Sein Vater ist Beamter beim Autobahnamt in der Jägerstraße. Der Bub treibt sich am Bahnhof auf ungenutzten Gleisen herum. Dort verhilft er nicht nur seinen Lederhosen zu speckig glänzender Patina, sondern sich selbst auch zur Erkenntnis, dass Stuttgart ein Tor zur Welt ist, wenn man es bloß richtig anstellt. Beide Eltern sterben früh, weshalb die Gebrüder Sommer sechs Jahre auf dem Internat der evangelischen Brüdergemeinde in Korntal verbringen. Mit 15 Halbwüchsigen teilen sich die beiden einen Schlafsaal. Hans Sommer, der ein schlechter Schüler ist, lernt eine wichtige Lektion: "Gemeinschaft macht stark." Die Erzieher in Korntal sind hart und streng. Bei Verstößen verlangen sie von der Gruppe, den Übeltäter zu verraten. Ansonsten werden alle bestraft. Die Burschen im Internat halten in der Not zusammen. Nach dem Abitur wird Sommer Bauingenieur und Architekt. Eher zufällig stößt er 1971 auf ein kleines Planungsbüro, in dem sich Gerhard Drees mit zwei Kollegen darauf spezialisiert hat, die Struktur von Bauabläufen zu entschlüsseln und genaue Terminpläne für Großprojekte zu erstellen. Netzplantechnik nennt sich die aus der Raumfahrt stammende Methode. Bei Polieren und Bauleitern kommt sie anfangs nicht gut an. Die ständigen Nachfragen kosten Zeit und überhaupt: Was soll das neumodische Zeugs? Hans Sommer lernt schnell. Es dauert nicht lang, bis in ihm der Gedanke an ein anderes Problem aufsteigt, das einer Lösung harrt: die Kosten. Immer öfter liest er in der Zeitung von explodierenden Ausgaben bei Großbauten. Viele Architekten taxieren den Preis ihrer Gewerke über die Maßeinheit Kubikmeter umbauter Raum. Zwischen theoretischem Aufmaß und tatsächlichen Ausgaben liegen Welten. Der Laden brummt, der Laden wächst. Das Stuttgarter Ingenieurbüro übernimmt Aufgaben von Bauherren in ganz Deutschland. Termine einhalten, Kosten überwachen. Projektmanagement wird salonfähig, und Hans Sommer ist in vielen Salons unterwegs. Als sich die Wende ankündigt, gerät in Berlin ein Platz in den Fokus, welcher den Geist der Geschichte atmet. Was den Londonern in den goldenen Zwanzigern ihr Piccadilly Circus, war den Berlinern der "Potsdamer". Viel ist nicht übrig von ihm. Wer sich im Herbst 1989 auf dem Areal am Rand der Berliner Mauer umsieht, benötigt reichlich Fantasie, um sich vorzustellen, was hier früher war und mehr noch, was hier künftig sein könnte. Hans Sommer hat diese Fantasie. Die Stuttgarter Unternehmensgruppe wird Teil eines gigantischen Projekts. Es geht um das neue Herz Berlins, und es geht um zwei Milliarden Euro. Zeitweise überwachen bis zu 200 Mitarbeiter die Bauleistungen am Potsdamer Platz. Sommer ist oft sieben Tage pro Woche unterwegs. Seine Frau, die sich um die beiden Söhne kümmert, sieht ihren Mann selten. Sie plant zu Hause die gemeinsamen Urlaube. "Manchmal habe ich erst am Flughafen erfahren, wohin die Reise geht", sagt Hans Sommer und grinst. Einmal schließt sie im Hotel sein Geschäftshandy in den Safe. Die Zahlenkombination behält Inge Sommer für sich. Es sind bewegte Zeiten. Eines Abends fliegt er von Berlin zurück ins Ländle, als zufällig ein hagerer Landsmann neben ihm sitzt. Gestatten Heinz Dürr, Bahnchef. "Was schaffet Sie?", fragt er. Sommer erzählt von seinem Auftrag und hat wenig später den nächsten. Wieder geht es um Milliarden, und zwar dort, wo er als Kind gespielt hat. Am Bahnhof in Stuttgart. Sommer wird Mitgesellschafter der DB Projekt GmbH Stuttgart 21 und einer der intimsten Kenner des milliardenschweren Bauvorhabens. "Das Ding war voll auf der Schiene", sagt er im Rückblick. Bis der spätere Bahnchef Johannes Ludewig die Notbremse zieht und eine jahrelange Hängepartie beginnt. 2001 verkauft Sommer seine Anteile zurück an die Bahn. Im Gegenzug setzt er sich dafür ein, dass die Planer auch weiter in der Landeshauptstadt bleiben. Lange her. Stuttgart 21 ist jetzt wieder auf dem Gleis, aber Sommer fährt nicht mehr mit. "Ich bin nach wie vor von Stuttgart 21 begeistert. Die Vorteile werden im Ausland ganz anders gesehen als bei uns. Das ist ein Geniestreich", sagt er. Seine Firma ist als Projektsteuerer engagiert, er selbst hat andere Pläne. In Zeiten der Erderwärmung und sich zu Ende neigender Ölreserven reizt es ihn, ältere Bürogebäude zu sanieren und wieder marktfähig zu machen. "Ökonomie und Ökologie unter einem Dach", sagt er als wäre es das elfte Gebot. Seine Augen glänzen, wenn er davon schwärmt. Ein neues Thema. Wie früher kniet er sich hinein, auch wenn die Knie jetzt aus Titan sind. Was soll's? Für vorauseilende Befunde vom Altwerden ist Hans Sommer nicht zu haben. Als Freunde neulich bei einem Geburtstag erzählten, dass sie sich in der Seniorenresidenz Augustinum eingekauft haben, wäre er am liebsten davongerannt. Seine Frau hat die Situation gerettet. "Wenn es bei uns soweit ist", sagte sie, "dann kriegt er eine polnische Pflegerin und ich einen italienischen Chauffeur!" Es ist spät geworden über der Geschichte von Hans Sommer. Sein nächster Termin steht an. Bevor er hinauf in sein Büro geht, trägt er die leere Espressotasse hinüber zur Spülmaschine der Cafeteria von Drees & Sommer. Einige Kollegen haben auf der Anrichte ihr dreckiges Geschirr stehen lassen. Hans Sommer räumt es ein. Wahre Größe offenbart sich im Kleinen. Text: Michael Ohnewald Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.
Jugendfarm Möhringen-Vaihingen
Betreten der Baustelle erwünscht: Auf der Jugendfarm Möhringen-Vaihingen toben sich Jungs und Mädels zwischen sieben und zwölf Jahren gründlich aus – und lernen nebenbei ... mehr Betreten der Baustelle erwünscht: Auf der Jugendfarm Möhringen-Vaihingen toben sich Jungs und Mädels zwischen sieben und zwölf Jahren gründlich aus – und lernen nebenbei Grundtechniken des Bauens. Neben Werkstatt und Ställen mit Hühnern, Ziegen, Eseln und Pferden lädt ein riesiger Hüttenbaubereich ein zum kreativen Bauen, Spielen, Klettern und Experimentieren. Mit rund 40 vergleichbaren Einrichtungen hat die Region Stuttgart ungewöhnlich viele betreute Aktivspielplätze.
Feldküche der Hochschule Esslingen
Forschungsauftrag für Mechatroniker und Elektrotechniker: Die interdisziplinäre Projektgruppe der Hochschule Esslingen in Göppingen betreut eine Auftragsarbeit der Firma Kärcher ... mehr Forschungsauftrag für Mechatroniker und Elektrotechniker: Die interdisziplinäre Projektgruppe der Hochschule Esslingen in Göppingen betreut eine Auftragsarbeit der Firma Kärcher Futuretech. Für den Katastropheneinsatz soll mit Hilfe von Thermoelektrik eine Feldküche ohne elektrische Netzspannung oder Stromaggregat betrieben werden, um so eine maximale Flexibilität im Einsatz zu erreichen.