Schmuckstücke für die Vorweihnachtszeit

Der Richard Sellmer Verlag in Stuttgart-Rohr gilt als die Heimat der Adventskalender

© Richard Sellmer Verlag

Adventskalender gehören zur Vorweihnachtszeit wie der Tannenbaum zu Heiligabend. Millionen davon liefert der Stuttgarter Richard Sellmer Verlag jährlich in über 30 Länder. Schon kurze Zeit nachdem Richard Sellmer den Verlag gegründet hatte, galt er in den 1950er Jahren in den USA als „Home of the Advent Calendar“. Selbst die amerikanischen Präsidenten Nixon und Eisenhower ließen sich mit Sellmer-Kalendern fotografieren.

Das vielfältige Verlags-Programm umfasst rund 110 Motive in unterschiedlichen Formaten. Hinzu kommen Sonderanfertigungen auf Wunsch, beispielsweise als Werbemittel. Rund 50 Prozent des Geschäfts entfallen heute auf den internationalen Markt, in England gibt es sogar ein eigenes Verkaufsbüro. Zwar hat auch der Sellmer Verlag in vielen Bereichen die Handarbeit durch Automation ersetzt, an der liebevollen Gestaltung und der Sorgfalt, mit der die beliebten Produkte aus Stuttgart hergestellt werden, hat sich dadurch aber nichts geändert.

In seinem Roman „Buddenbrooks“ ließ Thomas Mann den kleinen Hanno das „Nahen der unvergleichlichen Zeit“ auf einem Abreißkalender verfolgen, und auch im Zeitalter von SMS und Internet scheint die Faszination der rasch dahinfliegenden Tage in der Vorweihnachtszeit und die Neugier auf die tägliche Überraschung hinter den 24 Türchen des Adventskalenders ungebrochen zu sein.

Interessanterweise handelt es sich beim Adventskalender um ein relativ junges Phänomen – das erste Exemplar wurde im Jahr 1904 hergestellt. Flächendeckend populär wurde er sogar erst in den 1950er Jahren. Damals wurde er zum preisgünstigen Massenartikel – und der Stuttgarter Richard Sellmer Verlag, der sich als einziger Verlag in Deutschland ausschließlich auf die Produktion von Adventskalendern konzentriert, hat erheblichen Anteil daran. Millionen Exemplare der schmucken Vorweihnachts-Kalender liefert das Familienunternehmen alljährlich an Vertriebspartner in rund 30 Ländern.

Richard Sellmer hatte den Verlag im Jahr 1946 gegründet, heute führen seine Enkel Frank und Oliver Sellmer die Geschäfte. Zehn feste Mitarbeiter befassen sich am heimeligen Firmensitz in Stuttgart-Rohr mit Herstellung und Vertrieb von Adventskalendern. Für die künstlerische Gestaltung sind freie Grafiker zuständig, die Druckaufträge werden außer Haus vergeben.

Gestaltung mit Liebe zum Detail und Sinn für inhaltliche Bezüge der Bilder

„Es ist ein so schönes Produkt, die Begeisterung dafür hat sich über die Generationen vererbt“, erklärt Annette Sellmer, warum während des nun schon über 70 Jahre dauernden Bestehens der Firma sämtliche Familienmitglieder dem Adventskalender die Treue gehalten haben. Die Frau von Frank Sellmer ist für die Öffentlichkeitsarbeit des Verlages verantwortlich. Die nostalgischen Stadtansichten, trauten Weihnachtsszenen, romantischen Schneelandschaften mit Weihnachtsmann und die vor allem in England beliebten religiösen Motive der Adventskalender haben eines gemein: Sie sind mit Sorgfalt und großer Liebe zum Detail gestaltet und hergestellt. „Nach unserer Firmenphilosophie muss das, was hinter den Türchen abgebildet ist, inhaltlich zum Motiv der Kalendervorderseite passen“, sagt Annette Sellmer.

Schon der erste Sellmer-Kalender mit dem Motiv „Die kleine Stadt“ – der immer mal wieder als Reprint wieder aufgelegt wird – zeigt diese sorgsame Liebe zum Detail und die ausgefeilte, kunsthandwerkliche Gestaltung. Richard Sellmer senior hatte ihn im Wohnzimmer seines Hauses in der Schmellbachstraße, gegenüber dem heutigen Sellmer-Firmengebäude, in Handarbeit alleine gefertigt. Es war der erste deutsche Adventskalender, der nach dem Zweiten Weltkrieg angeboten wurde, die amerikanischen Besatzungsbehörden erteilten am 9. Dezember 1946 die Druckgenehmigung. Obwohl ein guter Teil der Adventszeit des ersten Nachkriegsjahres schon vorbei war, wurde Sellmers Kalender ein Riesenerfolg, so dass er das Programm in den folgenden Jahren sukzessive erweiterte.

Amerikanische Präsidenten werben für „the Home of Advent Calendar“

Über internationale Fachmessen gelang es Richard Sellmer schnell, Kontakte zu amerikanischen Kunden zu knüpfen. Der Adventskalender, der in den USA bis dahin noch gänzlich unbekannt gewesen war, fand auch dort begeisterte Abnehmer. Sellmers Verlag wurde sogar bald als „The Home of Advent Calendar“ bezeichnet.

Die opulenten Fotoalben, die die Firmengeschichte dokumentieren, enthalten neben Schwarz-Weiß-Fotos aus der frühen Produktion auch einige Briefe von Kindern aus aller Welt, adressiert an den „Secretary General of Father Christmas“ oder gleich an „Santa Claus“. Zu den am besten gehüteten Erinnerungsstücken zählt eine Weihnachtskarte von Bill Clinton: Der Präsident bedankte sich persönlich für das Exemplar einer Adventskalender-Sonderanfertigung aus den 1950er Jahren mit dem „Weißen Haus“ als Motiv, das Sellmer ihm geschickt hatte. Bereits zuvor war die Popularität von Sellmer-Kalendern durch US-Präsidenten vorangebracht worden. Die US-Präsidenten Eisenhower und Nixon hatten sich mit ihren Familien mit einem Kalender aus Stuttgart-Rohr fotografieren lassen.

Verkaufsbüro London: International ist wichtig

Bei Sellmer entfallen mittlerweile rund 50 Prozent des Umsatzes auf den internationalen Markt. Was die Nachfrage angeht, sind die Briten einsame Spitze. Deshalb wurde im Jahr 2001 bei Birmingham ein Verkaufsbüro eingerichtet. Aber auch in Ländern ohne große christliche Tradition wie Japan oder Saudi-Arabien wächst die Nachfrage stetig.

Ein ganz wichtiger Geschäftszweig ist inzwischen der Bereich Sonderanfertigungen. Meist handelt es sich um Werbegeschenke, die Firmen ihren Kunden und Mitarbeitern schicken. Neben schlichten Ausführungen, bei denen ein vorliegendes Motiv mit einem Aufkleber versehen wird, gibt es auch die Anfertigung nach individuellen Vorlagen – sowie die beliebten Schokoladenkalender. Die Modekette H&M beispielsweise gab einen aparten Schoko-Kalender im Magazin-Look in Auftrag, bedruckt mit einem weihnachtlich ausstaffierten Cover-Girl.

Während Käufer und Nutzer frühestens wenige Wochen vor Beginn der Adventszeit an Weihnachtskalender denken, nimmt die Produktion der papiernen Schmuckstücke beim Hersteller das ganze Jahr in Anspruch. Ab Ende Januar werden drei große Fachmessen besucht – die Nürnberger Spielwarenmesse, die Paperworld in Frankfurt am Main und die Frühjahrsmesse in Birmingham. Schon im März gehen die ersten Sendungen nach Übersee aufs Schiff, dann folgt die Auslieferung an den Großhandel in Europa und schließlich an den Einzelhandel und die Privatkunden. Die Kalender für das jeweils folgende Jahr werden ab September entworfen, gleich nach Weihnachten werden sie gedruckt.

Wurde in den Anfängen des Verlags noch fast alles aufwändig von Hand gefertigt, laufen heute Produktion und Verpackung bis auf ganz wenige Arbeitschritte automatisch; selbst für das Auftragen von Glimmer gibt es eine Maschine. Für die Rationalisierung der Produktion war nach dem Tod Richard Sellmers im Jahr 1969 dessen Sohn Tim verantwortlich. Seine Maßnahmen machten die großen Stückzahlen, die heute benötigt werden, erst möglich.
Das Sellmer-Verlagsprogramm umfasst derzeit rund 110 Motive, fünf neu gestaltete kommen jährlich dazu. Einige Motive sind seit den 1950er Jahren ununterbrochen im Sortiment; besonders beliebt sind Reprints. Ob im gängigen DIN A4-Format, ob als Postkarte, ob dreidimensional mit Kulissen zum Aufstellen – so unterschiedlich die Vorlieben der Kunden auch sein mögen: Glitzerstaub und nostalgische Romantik sind für Adventskalender einfach ein Muss – es ist schließlich bald Weihnachten.