Ein Stern für Stuttgart

Aufs Detail kommt es an: Nico Burkhardt leitet die Küche im "Olivo" des Steigenberger Graf Zeppelin. Besuch beim jüngsten Sternekoch Stuttgarts.

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© Heinz Heiss
Sterne-Koch Nico Burkhardt und sein Team im Restaurant Olivo im Hotel Steigenberger Graf Zeppelin in Stuttgart. (Foto: Heinz Heiss / Zeitenspiegel)

Behutsam senkt er die Pinzette über den Teller und steckt eine hauchdünne Pilzscheibe in einen kreisrunden Klecks Pilzcreme. Es folgen eingelegte Pilze, Kresse und Geleewürfelchen: In einer Miniaturlandschaft würde das, was Nico Burkhardt arrangiert, glatt als Zauberwald durchgehen. Auf seiner Speisekarte heißt es „Pilzgarten“. Die essbare Skulptur ist kaum fertig, als das Wandtelefon klingelt. Nico Burkhardt, die Haare streng zurückgekämmt, in blütenweißer Kochjacke, wischt sich die Hände ab und greift zum Hörer. Ein paar knappe Sätze später hat er eine Kiste „Rock Chives“ bestellt. Der asiatische Schnittlauch dient als Deko für seine delikaten Skulpturen. Nur bei wenigen Lieferanten ist er zu haben. Burkhardt sagt danke und legt auf.

Es werden nicht viele Worte gemacht in der Küche des „Olivo“ des Steigenberger Graf Zeppelin. Schon gar nicht, kurz bevor die ersten Zettel mit Bestellungen der Gäste hereinflattern. Ist auch nicht nötig, denn jeder Handgriff und Ablauf ist zigmal erprobt. Gemüse blanchieren und kunstvoll schneiden. Soßen in allen Tönungen und Geschmacksrichtungen einkochen, Schäume steif schlagen, Cremes anrühren. Und schließlich Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts anrichten: Gerichte, so schön, dass man sie nur anschauen möchte, würden sie nicht so überraschend aromatisch schmecken.

„Jedes Detail muss stimmen“, sagt Burkhardt und blickt durch die Glastür des Ofens, in dem bei schwacher Hitze hauchdünne dunkelrote Quadrate trocknen: Rote-Beete-Papier. Im Juni 2011, erst 27 Jahre alt, übernahm er die Leitung des Restaurants im Fünf-Sterne-Hotel gegenüber des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Es war seine große Chance: Das „Olivo“ war bereits mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Würde es die Auszeichnung unter seiner Leitung erneut erhalten, wäre das sein Entrée in die Königsklasse. Ein halbes Jahr später war es soweit: der eigene Stern im eigenen Restaurant. „Das war schon lange mein Traum!“

Nico Burkhardt wuchs in Ostberlin auf. Es wurde immer gern und gut gekocht in der Familie, sagt er: Königsberger Klopse, Rinderrouladen mit Rotkohl. Er half früh mit, lernte schnell dazu und trat mit 16 eine Kochlehre im Berliner Restaurant Dressler an. Es war der Beginn einer rasanten Karriere. Schon mit nicht mal 20 wurde er Sous Chef in der Küche des „Atoll Ocean Resort“ auf Helgoland. Später lernte er bei Heinz Winkler in Aschau am Chiemsee die kulinarischen Feinheiten der Haute Cuisine kennen. Kochte in so berühmten Häusern wie dem Adlon in Berlin und dem „Mar a Lago“ in Palm Beach, um danach fünf Jahre lang als Sous Chef im Gourmetrestaurant „Seven Seas“ in Hamburg zu arbeiten: ein Restaurant mit einem Michelin-Stern und 17 Gault-Millau-Punkten. Der Wunsch, einen eigenen Stern zu gewinnen, treibe ihn an, alles noch besser zu machen, sagte er damals in einem Interview.

„Französische Küche mit internationalen Einflüssen“ – so charakterisieren Experten die Kreationen des Sternekochs, der schon mal Gänseleber mit Himbeeren und Hummer mit Kakao kombiniert. Privat mag Burkhardt es lieber bodenständig: In Berlin macht er gern beim Traditionsimbiss Konnopke Station: „Meiner Meinung nach die beste Currywurst der Stadt.“ An der neuen Heimat im Südwesten schätzt er die regionale Küche – von Maultaschen bis Gaisburger Marsch. Sein Favorit: gutbürgerlicher Zwiebelrostbraten, den man hier in einer der zahlreichen Gaststätten essen kann.

Die freien Stunden zu genießen, ist überhaupt so ein Thema. „Gar nicht so einfach“, gibt er zu. Ein Stadtbummel führe ihn jedes Mal schnell in berufliche Bahnen – zum Beispiel in die Stuttgarter Markthalle, wo so viele exquisite Delikatessen zu begutachten sind. Oder er würde einen Bastelladen ansteuern, auf der Suche nach ausgefallenen Servierideen. Selbst im Baumarkt wird er fündig: Digitale Thermometer helfen ihm, ein Wasserbad konstant auf 70 Grad zu halten. Nicht selten zieht er mit einem Zahnspachtel eine Creme zur Grundierung auf die Teller. Wenn er auf andere Gedanken kommen will, hängt er sich als Kitesurfer in den Wind, strampelt auf dem Mountainbike bergauf oder schwingt sich auf dem Snowboard bergab. Action muss sein, das Extreme. „Dabei kann ich abschalten.“

Mittag im Olivo. Am Tresen klebt ein Dutzend Bestellzettel. Von Rehrücken an Rote Beete bis Steinbutt mit Erdnuss: Burkhardt und seine Kollegen garen Filets im Wasserbad. Gestalten Gerichte, die an bunte Kompositionen des Malers Kandinsky erinnern. Burkhardt selbst wirft auf jeden Teller noch einen kritischen Blick, bevor das Gericht die Küche verlässt. Den Stern zu ergattern, war das Eine, jetzt geht es darum, ihn zu behalten. „Ich bin eben ein schlechter Verlierer“, bekennt er. Das sei ihm spätestens klargeworden, als ihn seine Freundin zum Mensch-ärgere-dich-nicht verleitete. Nach ein paar Partien hatte er keine Lust mehr. „Ich habe mich zu sehr aufgeregt.“ Einer wie er behält die Abläufe lieber selbst in der Hand. Würfeln ist nichts für ihn.

Text: Mathias Becker