Der Superrechner

Im Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart steht einer der leistungsfähigsten Rechner der Welt. Von Crashtest bis Klimasimulation: „Hornet“ hilft Forschern, Szenarien zu errechnen – und die richtigen Entscheidungen zu fällen.

© Christoph Pueschner Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (Foto: Christoph Pueschner / Zeitenspiegel)
Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (Foto: Christoph Pueschner / Zeitenspiegel)
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Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (Foto: Christoph Pueschner / Zeitenspiegel)
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Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (Foto: Christoph Pueschner / Zeitenspiegel)

Uwe Wössner hebt die virtuelle Limousine per Fernbedienung über seinen Kopf und betrachtet den Unterboden. Von der Kühlerhaube bis zum Heck verlaufen schmale gelbe Stränge. Sie machen die Luftströme sichtbar, die während der Fahrt entstehen. Wössners Aufmerksamkeit gilt den Radkästen, in denen die Stränge wie wild durcheinanderwirbeln: „Das erhöht den Luftwiderstand beim Fahren“, sagt er. „Wir wollen wissen, wie man das vermeiden kann.“ Dann setzt er die 3-D-Brille ab und legt die Fernbedienung beiseite. Der Wagen bleibt in der Luft hängen.

Willkommen in der „Cave“, der „Höhle“: So nennen Uwe Wössner, Leiter der Abteilung für Visualisierungen am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) und seine Kollegen den dunklen Kellerraum, in dem Computersimulationen zum Leben erweckt werden. Hier drehen und wenden Wössner und sein Team 3-D-Projektionen von Autos auf der Suche nach aerodynamischen Schwachstellen. Oder kurven mit einem Fahrsimulator durch Computerstädte, um Fahrzeugassistenten der Zukunft wie Brems- und Ausweichautomatiken zu testen.

Von Automobil- bis Energiewirtschaft, von Klimaforschung bis Medizin: Immer öfter nutzen Wirtschaft und Wissenschaft Simulationen, um komplexe Prozesse detailgetreu darzustellen und mögliche Entwicklungsszenarien zu errechnen. Rechenkunst, die Leben retten kann, etwa, wenn die 3-D-Simulation eines individuellen Blutkreislaufs zeigt, welche Folgen Gefäßverengungen haben, und wo ein Infarkt droht. Was 2006 als Forschungsprojekt am HLRS gestartet ist, wird heute regelmäßig in der Therapie eingesetzt.

Allgemein gilt: In den vergangenen Jahren stiegen die Anforderungen an Simulationen – und mit ihnen die Kapazität der Rechner. Kürzlich wurde das neueste Modell des Computers „Hornet“ am HLRS installiert. Hinter hochgesicherten Türen summen und blinken Kästen, groß wie Familienkühlschränke. Gemeinsam bilden sie einen Superrechner, der 3,8 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde, ausführen kann. Er gehört zu den 16 leistungsfähigsten Computern der Welt.

Der Leiter des HLRS, Professor Michael Resch, hat sein Büro ein Stockwerk über dem Riesenrechner. Auf seinem Schreibtisch surrt ein Ventilator, der einst dazu diente, einen PC zu belüften. Jetzt hilft er dem 50-jährigen Mathematiker, einen kühlen Kopf zu bewahren. Zahlreiche Forschungsprojekte wollen koordiniert werden, daneben fliegt Resch um die Welt und hält Vorträge oder berät Unternehmen. Während die Statistik stets in die Vergangenheit schaut, richten Simulationen den Blick gen Zukunft. Das macht sie für viele Forschungsfelder unersetzlich.

Auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart selbst dagegen ist der Weg zwischen Forschung und Anwendung denkbar kurz: Im Gebäude neben dem HLRS sitzt das Automotive Simulation Center Stuttgart (ASCS). Unter dem Dach des Instituts haben sich 24 Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen, um Simulationen für die Produktentwicklung nutzbar zu machen. „In der Automobilbranche etwa wurden viele reale Crash-Tests mittlerweile durch virtuelle Tests ersetzt“, sagt ASCS-Geschäftsführer Alexander Frederic Walser. Von der Beschaffenheit einzelner Bauteile bis hin zur Konstruktion des gesamten Autos: Das Verhalten verschiedener Fahrzeugvarianten beim Aufprall kann detailgetreu simuliert werden. „Wer Knautschzonen testen will, muss heute nicht mehr reihenweise Autos gegen die Wand fahren.“

Uwe Wössner geht derweil durchs Feuer. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er eine 3-D-Simulation eines Heizkraftwerks visualisiert. Die Projektion in der Cave erlaubt ihm jetzt, die Anlage bei vollem Betrieb zu inspizieren. Also spaziert der durch die Lüftung in den Kessel, schwebt über einem Pool voller roter Bälle, die das Feuer darstellen, und folgt dem Dampf Richtung Turbine. Was nach einem fantastischen Computerspiel aussieht, ist Wissenschaft pur, diesmal im Auftrag eines Energiekonzerns. Ziel des Projekts: die Anlage zu optimieren. „Technischer Fortschritt dieser Art ist dringend geboten“, sagt HLRS-Leiter Michael Resch. „Simulationen helfen uns, ihn zu beschleunigen.“

Text: Mathias Becker